Gravity

Nach Children of Men hat man eigentlich nur eines getan: Darauf gewartet, dass Regisseur und Autor Alfonso Cuarón sich endlich wieder ins Science-Fiction-Gebiet wagt und seinen Erfolg wiederholt. Nach vielen Jahren der Abstinenz tut er das mit Gravity und beweist, dass alles beim Alten geblieben ist. Nämlich etwas zu konstruiert, aber dafür ziemlich packend.


I hate space!

Story

Das Space-Shuttle STS-157 fristet ungestört sein Dasein neben der Erde. Während Veteran Matt Kowalski seinen letzten All-Abstecher macht, ist dies der Jungfernflug von Dr. Ryan Stone. Man schraubt gewissenhaft am  Hubble-Weltraumteleskop rum, bis Houston mitteilt, dass die Russen einen ihrer eigenen Satelliten abgeschossen hätten und dessen nun um die Umlaufbahn der Erde schnellenden Trümmer bald mit ihrer Position kollidieren würden.
Nun geschieht alles Schlag auf Schlag. Während Kowalski, Stone und ihr Begleiter den Außeneinsatz abbrechen wollen, treffen die ersten Bruchstücke ein. Stone treibt plötzlich hilflos und ohne Halt im All, das Shuttle ist zerstört und der dritte Kollege tot. Zwar kann Kowalski die Verschollene erreichen, doch ist dies erst der Startschuss zu einem alles fordernden Spießroutenlaufs in der Schwerelosigkeit.

Kritik

Gravity wurden Ersten gezeigt und sofort war das Internet voll mit innig geschmetterten Lobeshymnen und ebenso innigen Versicherungen, dass hier ein neuer 2001 – Odyssee im Weltraum vorläge. Ein stolzer IMDB-Wert von aktuell 8,7 stimmt dem zu und gewährt dem Sci-Fi-Film einen Platz in der Top 100.
Alles beginnt mit dem Besten, was Filme haben können – einer ellenlangen Plansequenz. Der Ticketpreis hat sich bereits gelohnt, der Rest ist Bonus. Sofort danach schaltet Gravity in den höchsten Gang und lässt ihn bis zur letzten Minute drin – egal, was das Getriebe davon hält. Als erstes fällt aber die unglaublich perfektionistische Inszenierung auf, zu welcher fast ausschließlich der Kameraführung zu gratulieren ist. Der exotische Schauplatz Weltraum als alleiniger Handlungsort ist etwas gänzlich Unverbrauchtes. Emmanuel Lubezki (The Tree of Life) berauscht sich an dieser Neuheit und macht aus dem Weltraum einen Ort der Schönheit und des im doppelten Sinne Überirdischen. Vor allem die Kameras, die aus den Helmen heraus filmen, liefern atemberaubende Bilder. Doch auch sonst reiht sich eine geniale Einstellung an die nächste, wodurch pittoreske Eindrücke am laufenden Band entstehen. Hinzukommt, dass man – vor allem, weil im Weltraum ablenkende Objekte fehlen – ständig ganz nah an den Gesichtern dran ist. Dies schafft eine Nähe und Verbundenheit, die ganz unabhängig von der Geschichte entsteht. Und das wiederum ist einzig Sandra Bullocks Verdienst. Die Bullock, die olle, schnöde, dröge, töfte Bullock kann endlich mal wieder zeigen, dass sie mit Gründen für große Filme gecastet wird und dicke Schecks einstreicht. Nicht nur die Kamera, auch die Hauptdarstellerin hat wenigstens eine Nominierung verdient.
Das 3D ist nicht nötig, für sich aber wunderbar gelungen. Und das ist wohl das Schönste, was man über einen 3D-Film und seinen Effekt verkünden kann. Beide sind für sich gut und gemeinsam noch etwas besser.
Nicht ganz so elegant wie bei den berauschenden Weltraumimpressionen geht es im Mikrokosmos der Figuren zu. Mit dem altgedienten, nonchalanten Profi-Astronauten, der nie aus der Fassung zu bringen ist und immer einen forschen Spruch auf der Lippe hat, und der zaudernden Ärztin, die in der Schwerelosigkeit mit rebellierendem Magen kämpfen muss, hat man sich zweier Figuren mit möglichst extremen Gegensätzen bedient. Entsprechend grob ist deren Profil geworden, weil sie sich mehr durch ihre überpräsenten Haupteigenschaften Erfahren/Cool und Unerfahren/Unsicher definieren statt über tatsächliche Charakterarbeit. Dass die mittelmäßigen Figuren sich über mittelmäßige Dialoge verständigen, fällt aufgrund der bravourösen Inszenierung umso stärker auf. Man muss dem Film aber zugutehalten, dass es fraglos realistisch ist, dass Menschen in einer solchen Extremsituation häufig nur reden, um sich mit dem Klang ihrer eigenen Stimme zu beruhigen und nicht, um gehaltvolle Dinge zu sagen.
Dazu kommt eine Musik, die ständig anwesend scheint, aber niemals zurückhaltend ist. Laut und aufdringlich ist die klangliche Untermalung aufgefallen. All das passt aber zu dem, was Gravity dann tatsächlich ist. Kein Film über die Schönheit des Weltraums und nichts, was einen tief in die menschliche Psyche tauchen lässt, sondern ganz einfach ein Actionfilm. Nach dem Unfall, der die Astronauten aus ihrem Alltag schleudert, startet eine Kettenreaktion der Unglücksfälle sondergleichen. Ein Schicksalsschlag folgt dem nächsten und jeder Schritt aus dem Regen bringt die gebeutelte Protagonistin tiefer in die Traufe. Luftknappheit in verschiedenen Variationen, vielfach feindlich gesonnene Elemente und todbringende Geschwindigkeiten… das Ableben lauert an jeder Ecke und damit wirkt der Film mit seiner überdramatisierten fatalistischen Art häufig wie eine Sci-Fi-Version von Final Destination, so viele aus dem Nichts kommende Unglücksfälle setzt das Drehbuch der Heldin ohne Atempause entgegen. Auch hier wäre weniger eindeutig mehr gewesen. Hätte man sich auf eine Auswahl der Probleme konzentriert und diesen mehr Zeit zum Wirken gelassen, anstatt sie wie Perlen einer Kette aneinanderzureihen; hätte man sich mit dem Bombast der musikalischen Diktatur deutlich zurückgehalten und mal Stille erlaubt; hätte man die Figuren nicht am laufenden Band plappern, sondern auch mal ihre stummen Gesichter zu Wort kommen lassen, was für ein einmalig intensives Meisterwerk hätte Gravity werden können.
Und was ist nun mit den endlosen Paralleleisierungen mit Kubricks Odyssee? Wie gesagt, Gravity ist ein reinrassiger Actionfilm. Als Entwicklungsweg einer Frau kann er ebenso gelesen werden – und die reichlich platte, zum Glück aber nicht sehr aufdringliche Symbolik am Ende besagt, dass er das auch möchte. Der Kampf gegen die Urängste ist gewonnen. Das Leben findet seinen Neubeginn. Letztlich aber ist die private Leidensgeschichte und Hauptfigur zu aufgesetzt und wirkt wie ein Fremdkörper in der Geschichte. Was am Ende bleibt, ist Adrenalin.
Der Rausch der Bilder und die kleinen Menschen, die in ihren plumpen Raumanzügen unbeholfen hin und her zuckeln, laden ihrerseits tatsächlich dazu ein, über Leere, Ferne, Wesen und Bedeutung nachzudenken. Doch lenkt der Actionteil immer wieder von derlei ab. Das ist beileibe nichts Schlimmes, schließlich ist die Action denkwürdig intensiv und mitreißend choreographiert.
Trotzdem lässt Gravity einen mit leicht lakonischem Gefühl zurück, denn er hätte noch so viel mehr sein können als ein hochkarätiger Action-Parcour.

Fazit

Ein fesselnder, antreibender Actionfilm mit überwältigen Bildern eines Spielortes, der auf diese Weise noch nie genutzt wurde. Das reicht, um 90 verdammt erstaunliche und in erster Linie kurzweilige Minuten zu verbringen. Viel mehr als das ist Alfonso Cuaróns Weltraum-Hatz aber nicht. Die überragende Kamera und eine endlich mal geforderte Bullock sind zudem starke Argumente dafür, den Film auf der großen Leinwand zu genießen. Denn der größte Pluspunkt dieses Filmes sind seine einmaligen Bilder.