Briefe eines Toten

1986 brachte Konstantin Sergejewitsch Lopuschanski mit dem postapokalyptischen Nihilismusmanifest Briefe eines Toten ein Biest von einem Magnum Opus hervor, das damals wie (vor allem) heute viel zu wenig Zuwendung seitens der Medien erhielt und -hält. Zwar spukt der Film immer noch ganz oben in den heiligen Hallen einiger Filmliebhaber herum, die Aufmerksamkeit, die er ungebrochen verdient, bleibt ihm aber bisher verwehrt. (Das nachstehende Video ist ausnahmsweise kein Trailer, da sich keiner finden ließ, sondern ein beispielhafter Ausschnitt.)

I love it for it’s tragic fate.

Story

Die Welt, wie wir sie kennen, verbrannt einer Art von Feuer, die sich Prometheus wohl nie zu erträumen gewagt hätte. Die Menschen verscharren sich selbst in maroden Kellergewölben und bauten mit der Zeit eine Gesellschaft aus den Trümmern des Jetzt, die ihre ganz eigenen, den widrigen Umständen angemessene Gepflogenheiten hat. Alle leben in Angst davor, dass die Regierung das versprengte Trüppchen aufspürt und mit in ihre zweifelhaften Pläne zur Rettung der Menschheit einbezieht, die noch weniger geheuer sind als das Todesurteil des Status quo, in der jede Art von Existenz nur ein Provisorium im Schatten des Zerfalls sein kann.
Die Verbliebenen schaffen sich mit ihrer unbeholfenen Sicherheit eine absurde, grausam neue Art von Alltäglichkeit, wenn sich die Menschen ihre Hüte auf die Gasmasken setzen und Normalität aus etwas machen müssen, was ein ständiges Extrem ist. Sie versuchen weiterzumachen. Nicht aus Hoffnung, sondern weil ihnen nichts anderes bleib.
Ein Professor versucht derweil, etwas Zuversicht zwischen den sich und einander aufgebenden Trümmermenschen zu säen.

Kritik

Die Kamera bewegt sich rückwärts aus dem Bunker, durch ein Loch in einer Wand aus Schutt, die unsinnig dem radioaktiven Wind trotzt, und die Musik schwillt an, wird unangenehm, als würde uns ein Hauch von eben diesem berühren. Wir begeben uns nach draußen, durch das Loch, aus dem Loch, in das sich die Menschen zurückgezogen haben, um wie in einem Kerker zu kauern und darauf zu warten, dass alles endet Doch noch sehen wir nichts. Langsam schält sich der Rest von Zivilisation aus dem Giftdunst. Es zeichnen sich Wracks ab, noch mehr Schutt, Müll in Säcken und ohne Säcke, und Wahnsinn. Unrat auf Unrat, Elend neben Elend. Am Ende der Fahrt, wenn die Rückwärtsbewegung stoppt, stellen wir fest: Sie verdecke gar nichts, hinter der Kamera wurde uns nichts vorenthalten, denn mehr als das ist da draußen nicht. Nur die Asche der Vergangenheit, Staub und Nebel, so dicht gedrängt, das kein weiterer Platz für Hoffnung ist. Herzlich Willkommen in der Welt von Briefe eines Toten, ein Film, der aussieht, wie eine Krankheit.
Bei der Optik wurde auf Farben fast gänzlich verzichtet, sie sind dank bis aufs Maximum reduzierter Sättigung nur leicht, manchmal auch gar nicht vorhanden, lediglich ein eitriges Tschernobyl-Gelb färbt die Bilder des Bunkers – semantisch andere Räume bekommen andere Farben, in jedem Fall aber sondern die monochromen Duplex-Töne eine unangenehme Wirkung ab.

Nach dem kurzen Blick auf das, was mal das Freie war, geht es zurück in die Katakomben. In dieser sonderbaren Welt werden auch die Bewohner sonderbar und wuchsen zu verschrobenen, bitteren Kreaturen heran, die als pathologisches Splitterwerk durch die Gedärme eines ehemaligen Museums rotten und nicht einmal sich selbst noch die Nahesten sind. Die Kinder schweigen als wären sie stumm, die Erwachsenen sind im besten Falle kalt, jeder lebt in seiner ganz eigenen Art von destruktivem Schock. Häufig bewegt sich die Kamera auf Kinderaugenhöhe. Der Zuschauer ist – wie auch jeder andere – in dieser Welt ein Kind, das das Grauen schaut und zum ersten Mal überhaupt nicht als Symbol für Hoffnung und Zukunftsglauben herhalten kann. Ständiger Wind ist auch in den tiefsten Kammern zu hören und über fast allem liegt ein elendes Dröhnen, als wäre es die Welt selbst, die unter Schmerzen klagt.

Man macht dort weiter, wo man aufhörte: Das Treffen fataler Entscheidungen aufgrund von Egoismus, verdrehter Annahme von Effizienz und höherem Allgemeinwohl. Aufgenötigter, in sich selbst verdorbener Altruismus siecht allüebrall und wucherte zu seiner eigenen Antithese heran. So oft man es sonst auch hört, hier stimmt es wirklich: Alle Hoffnung ist gefahren. Die Ausgangssituation von Briefe eines Toten ist bekannt, die Umsetzung aber absolut brillant. In gnadenloser Differenziertheit portraitiert der Film eine Gesellschaft von Übermorgen, die ihren eigenen Nährboden verseuchte und sich nun nur noch dabei betrachten kann, wie sie langsam von Innen heraus fault.
Völlige Verzweiflung schlägt in Wahnsinn um. In jeder Figur sitzt ein wenig davon, während sie ihre persönlichen Vorstellungen auf eigentümliche Weise in die traurige Tat umsetzt. Das gipfelt nicht nur in ein paar niederschlagenden Kuriositäten, sondern auch in interessante Gespräche. Gezeigt werden in einzigartig einnehmender Weise Dinge, die passieren, wenn eine Generation feststellt, dass alle Vorherigen vernichtet und alle Nachkommenden unmöglich sind.

Eine klar auszumachende Geschichte gibt es zwar ebenso wie einen Protagonisten, doch stehen beide ganz im Dienste der Situationsstudie. Wichtig ist nicht, was passiert, sondern dass es überall auf eben diese Weise passiert. Dabei verkommt Konstantin Lopuschanskis Abgesang aber niemals zu einer selbstgerechten und selbstzweckhaften Leidensschau, die nichts tut, außer mit all ihrem Pessimismus den Zuschauer zu quälen. Dank der handwerklichen Raffinesse des Filmes, dank der Passion, mit der gedreht wurde, und dank der völlig trittsicheren Regie ist der Film zu einem vollkommenen Erlebnis geworden, das nie langweilt, nie lediglich durch seine Ödnis betrübt, sondern ein bewundernswerter Schaukasten ist, der einen Blick auf eine Welt voller Details, ausgeklügelter Einfälle und unabsehbarer Ereignisse gewährt. Und später, wie aus dem Nichts, überrumpelt einen das tschechische Kleinod mit Bildern, die in ihrer Ästhetik zeitlos sind, in ihrer unnahbaren Mächtigkeit bestürzend und ob ihrer Schrecklichkeit schön, aber auch erstarren lassend. Eine von Wahnsinn beseelte Aufnahme des Auslösers dieses Elends trifft wie ein herzhafter Schlag in die Magengrube. Diese Szene ist der Kern des Filmes, unnachahmlich und unnachgiebig intensiv. Eine der schönsten Hässlichkeiten, die mit Widerhaken aus Zucker tief unter die Haut geht.

Wie um das zu verstärken, gibt es trotz dieses Bildes der vollkommenen Niederlage auch Humor. Ein paar Szenen sind umschmeichelt von stautrockenen Pointen, die in ihrem Rahmen aus Bitterkeit stichgleich Wirkung zeigen. Es ist wie die störrische Hoffnung, das ewige Weitermachen der Menschen, von dem der Film erzählt. Humor ist Teil davon, denn Humor ist das Ignorieren von Tatsachen, aus dessen Bewusstmachung eine Erkenntnis gerinnt, die Absurdität verlachen lässt. Humor ist eine Art Triumph trotzdem; etwas, das dem Menschen nicht genommen werden kann, mag auch alles andere vergehen.

Fazit

Bei Briefe eines Toten handelt es sich um das vielleicht eindringlichste Angstzeugnis aus Zeiten des Kalten Krieges. Es ist ein kluges Portrait über ein speziesübergreifendes Selbstbegräbnis mit eindringlichen Sequenzen, einer fesselnden Ästhetik erschütternden Bildern und voller Perfektion. Es wird nie langweilig oder zäh, immer ist es trotz dem repetitiven Bunkeralltag fesselnd und interessant. Die 87 Minuten sind voll mit durchdachte Bilder in durchdachter Reihenfolge, jede Szene birgt Potenzial für Gänsehaut und in seiner völlig eigenen Stimmung ist Briefe eines Toten letztlich selbst ein rares Unikat.
Konstantin Lopuschanski schuf einen großen Film mit großen Ideen und großer Eindringlichkeit, der in seiner Bekanntheit – zuvorderst wohl wegen Verfügbarkeitsproblemen – auf fast schon herätische Weise sehr klein geworden ist.

Nothing Lasts Forever

Nur einen Wimpernschlag bevor Bill Murray und Dan Aykroyd mit Ghostbusters Weltruhm erlangten und Zach Galligan mit Gremlins einen Plüsch-Hype auslöste, wurde Nothing Lasts Forever mit diesen Schauspielern abgedreht. Das abgedrehte Projekt erschien dem Studio MGM damals zu waghalsig und es erlebte nie einen Kinostart. Stattdessen legte man es, unwissend, was damit anzufangen sei, in ein staubiges Verlies und es fiel dem Vergessen anheim.
Bis es vor wenigen Tagen dank der Magie des Internets wieder auftauchte.

I have to do it my way.

Story

Der junge Dan hat die Nase voll von Show und Täuschung in der Unterhaltungswelt. Wirklicher Künstler will er werden. Als er sich mit diesem Ziel nach Detroit begibt, muss er wie alle anderen auch zuallererst den allgemeinen Künstlertest bestehen, um einer Kunstform zugeordnet zu werden. Das Ergebnis des ungeschulten Jungspundes führt ihn nicht zum erwarteten Schöngeistdasein, sondern an das Ende eines langen Tunnels, als Aufseher von eben diesem.
Seine Mildtätigkeit und Güte, die er an den Tag legt, bringt ihn das erst einmal zwar nicht unbedingt näher an den Künstlertraum heran, sehr wohl aber näher an den Mond. Und vielleicht auch an die Liebe.

Kritik

Namen wie Bill Murray, Dan Aykroyd, Zach Galligan oder Tom Schiller zu lesen, ist im Laufe des fast dreiminütigen Vorspanns wie das Entdecken eines Fremdkörpers, so sehr ist Nothing Lasts Forever an das Kino der frühen Schwarzweißfilm-Ära angelehnt. Wie ungemein passend, dass der Film damit startet, eine Musikaufführung als faulen Zauber zu entlarven, indem das Piano ganz von alleine spielt und so das Publikum zum Narren hält, ehe es der Pianist nicht länger ertragen kann, Teil dieser Illusion zu sein, und das Volk mit Gebrüll die Bühne stürmt.
Adam stolpert durch ein Heer schräger Figuren, die sämtlich wunderliche Dinge zu sagen haben, und begibt sich dabei von einer skurrilen Situation in die nächste, in der Regel noch viel skurrilere Situation. Die Ideenfülle des Filmes ist so groß und konstant und dabei derart unverbraucht, dass man um Worte wie ‚zeitlos‘ nur schwer herumkommt, wenn man das vergessene Werk zu beschreiben versucht. Oder anders gesagt, der Film ist wunderbar unverfroren witzig. Dass er sich nicht steigert, liegt einzig daran, schon von Anfang an große Geschütze aufgefahren werden, die Nothing Lasts Forever zu einem erfreulichen und in höchstem Maße beschwingten Kuriosum machen, dem man sich kaum entziehen kann.
Dabei lässt Schiller sich die Gelegenheit, Bezug auf etliche Klassiker zu nehmen, natürlich nicht aus. Die wilde Mischung aus Things to come , le voyage dans la lune und irgendwie auch aus dem legendären starbesetzten und ebenfalls vollkommen vergessenen 68er-Kult Candy ist gespickt mit zahlreichen Referenzen an vornehmlich Stummfilme; und das sowohl auf bildlicher wie auch auf narrativer Ebene. Entsprechend sind auch die Spezialeffekte zu bewerten, die sich bewusst pappig präsentieren und damit dem Künstlichkeitskommentar sein i-Tüpfelchen spendieren. Dass der Film gerade hinsichtlich dieser Thematik auf poetische Weise versöhnlich endet, macht ihn ganz besonders rund und bläst den kurzen Eindruck von Episodenhaftigkeit lockerleicht davon. Zu erwähnen, dass diese sonderbare Kreatur, die dieses Werk des Saturday Night Live-Writers darstellt, als Beinkleid en transparentes Musical trägt, ist in Anbetracht all dessen eigentlich fast nur noch Formsache.
Am Ende steht fest, dass vielleicht nichts ewigen Bestand hat, einiges sehr wohl aber viel zu lange. So zum Beispiel die oftmals schwerverständliche, an Willkür grenzende Handlungsmotivation vieler Studios, die damals wie heute offensichtlich Großartiges aus Angst vor Neuem verkennen und verschmähen.

Fazit

Dass Nothing Lasts Forever endlich an die Öffentlichkeit gedrungen ist, nachdem der Film seit seiner Fertigstellung verschollen ist und in Folge rasch vergessen wurde, ist eine Sensation. Die Allstar-Besetzung mit überbordender Spielfreude bei der Arbeit zu sehen, ist eine helle Freude, denn Tom Schiller ist eine auch heute noch perfekt funktionierende SciFi-Komödie gelungen, deren frecher Witz vor allem von seiner großen Spontaneität profitiert.

Bleibt nur zu hoffen, dass das Kleinod nun endlich eine Veröffentlichung erfährt, die sich seiner als würdig erweist.