Cloud Atlas

Die Verfilmung des verschachtelten Romans Cloud Atlas stammt von dem Deutschen Tom Tykwer (Das Parfum) zusammen mit den Wachowski-Geschwistern (Matrix) und ist die mit großem Abstand kostspieligste Produktion aus deutschem Lande, überwiegend finanziert durch diverse Fördergelder.
Überraschender und gewiss auch erfreulicher Weise sieht das Ergebnis weder deutsch aus noch wie ein Werk der Wachowskis. Macht man sich die Mühe, es zu sezieren, stellt sich sogar schnell heraus, dass Cloud Atlas im Kern eigentlich klassisches Hollywood-Kino ist. Im besten Sinne.

That’s it, the music from my dream.

Story

Im Jahre 1849 freundet sich ein junger Mann während einer Schiffsreise mit einem entflohenen Sklaven an. Er  hadert mit sich, ob er den blinden Passagier verraten oder beschützen sollte, und sein körperlicher Zustand verschlechtert  sich zusehends. Nur ein zweifelhafter Herr mit noch zweifelhafterer Medizin verspricht Rettung.
Im Jahre 1936 quartiert sich ein junges Talent bei einem alten Talent ein, um endlich erfolgreicher Komponist zu werden.
Im Jahre 1973 muss eine Journalistin Courage beweisen, als sie einer Verschwörung auf die Spur kommt.
Im Jahre 2012 landet ein raffgieriger Verleger ohne sein Wissen im Altersheim und plant die Flucht.
Im Jahre 2144 wird unbequeme Arbeit von Klonen ausgeführt. Sonmi 451 ist ein solcher Klon, der über sich hinauswächst und aufbegehrt.
Im Jahre 2346 ist die Zivilisation zerfallen. Die Menschen leben in Stämmen und müssen sich vor Kannibalen schützen. Eine Fremde mit wunderlicher Technik sorgt für Staunen in der Gemeinde und für Skepsis bei einem Hirten.

Kritik

Begrüßt wird man von der Antwort auf die Frage, was eigentlich so teuer an diesem Projekt gewesen ist. Umwerfend schöne Bilder, die manchmal an die verspielte Pracht eines Tarsem Singh (The Fall) denken lassen. Gedreht wurde an imposanten Orten, die mit technischen Kniffen noch an Imposanz gewannen. Ebenfalls nicht geknausert wurde mit der Ausstattung, und das sieht man. Jedem der sechs Erzählstränge nimmt man seine spezielle Epochenzugehörigkeit ab. Unzählige kleine Details bewirken, dass der Zuschauer sich in Sekundenbruchteilen in der richtigen Zeit weiß. Nicht zuletzt diesem verschwendungssüchtigen Kunststück ist es zu verdanken, dass man in den dreistündigen Weiten von Cloud Atlas nie in Gefahr läuft, die Orientierung zu verlieren. Gleiches lässt sich über die Masken sagen. Wüsste man nicht, dass Tom Hanks, Halle Berry und der Rest des prominenten Casts in jedem Zeitabschnitt mit variierender Relevanz auftauchen, würde man sie in manchen Fällen schlicht nicht erkennen. Sechsmal sieht ausnahmslos jeder wichtige Darsteller vollkommen anders aus, sechsmal ist die Illusion perfekt. Die Verwandlungen sind teils so gut gelungen, dass es nicht nur beeindruckend ist, sondern fast schon ein wenig gespenstisch.
Die Handlungsbögen en détail aufzudröseln, ist hier nicht der richtige Ort. Deswegen sei in aller gebotenen Knappheit versichert, dass das Konzept überall aufgeht. Jede Geschichte interessiert und betört auf ihre Weise, die Darsteller wurden hervorragend besetzt und an den entsprechenden Leistungen lässt sich nicht einmal im Kleinen Kritik üben. Der Kontrast zwischen den mit Unrat befüllten Gassen des 19. Jahrhunderts und der dystopischen Zukunftsvision der Wachowskis, die hier eine Variation ihres Matrix-Helden Neo durch die Klonwelt jagen, ist maßgeblich und trägt einerseits dazu bei, dass jedes große Genre vertreten ist und zeigt andererseits in fast schon nüchterner Ergebenheit auf, dass alles nur ein großer Kreislauf ist.
Stück für Stück auf die sechs Ebenen einzugehen, ist aber auch deshalb nicht notwendig, weil sie letztlich einer einzigen Sache dienen und eine gemeinsame Aussage haben. Es sind, wenn man so möchte, sechs Belege für eine Behauptung. Cloud Atlas handelt von den großen menschlichen Fragen, die bereits unzählige Male thematisiert wurden, bei denen eigentlich ein vollkommener Konsens herrscht, wenn man „den gesunden Menschenverstand“ befragt, und die nichtsdestotrotz ständig aktuell sind – weil gesunder Menschenverstand und tatsächliche Praxis allem Anschein nach nur selten übereinstimmen.
Die Themen sind Verantwortung, Gerechtigkeit, Freiheit, Mut und Menschlichkeit – was immer man darunter für sich verstehen mag. Alle werden sie in jeder Geschichte auf ihre, oft auch auf gleiche Weise angeschnitten und zum Hauptmotiv der Geschichte gemacht. Mal ernst vorgetragen und mal heiter, mal schnell und mal langsam. Und vergessen wir nicht, es sind diese elementaren Reflexe, die – wenn von einem Film auf geschickte Weise ausgelöst – diesen zu einem wirklich guten Kinoerlebnis machen.
Tom Hanks hat hiermit einen Film mitgeschaffen, der in vielerlei Hinsicht direkt an Forrest Gump anschließt. Große, eigentlich jedem evidente Fragen mit Herz und einfallsreicher Naivität präsentiert. Nur, dass hier im Gegensatz zum „Life was like a box of chocolates“-Klassiker auch vor Sex und zerplatzenden Körpern nicht zurückgeschreckt wird, wenn es der Geschichte hilft.
Und Hanks zeigt endlich mal wieder, was für ein enormes Talent er besitzt, wenn man ihm nur herausfordernde Rollen anbietet.

Man könnte dem Werk vorwerfen, dass es mit langem Atem Botschaften predigt, die letztendlich flach und simpel sind. Und läge damit sicherlich auch gar nicht so falsch. Entscheidend ist hier aber die Art, wie das Anliegen vorgetragen wird. Und die ist eben packend und den Atem verschlagend, sodass die 172 Minuten lange schon vergangen sind, bevor man den Drang verspürt, das erste Mal auf die Uhr zu blicken.
Das liegt vornehmlich an dem Trick, dass der Film aus hunderten kleinen Cliffhangern besteht. Immer dann, wenn von einer Geschichte in die nächste gewechselt wird – und dies passiert sehr, sehr oft – steht mindestens ein großer ungelöster Konflikt im Raum. Das ist im höchsten Grade manipulativ, funktioniert aber hervorragend.
Für sich gesehen sind die Einzelerzählungen bestenfalls durchschnittlich. Die Art und Weise, wie sie vorgetragen werden und die gewaltige Masse an Reizen, die durch die Vielfalt der Szenarien geboten werden, macht die Angelegenheit trotzdem zu einem enormen Vergnügen. Sicher, prinzipiell handelt es sich um faulen Zauber. Dazu gehört auch der Fakt, dass viele Informationen nicht durch Dialoge vermittelt werden, sondern eine Erzählerstimme aus dem Off dies erledigt.
Aber es ist nun einmal verdammt guter Zauber und wie bei jedem guten Zauber ist man gerne bereit, sich widerstandslos hinzugeben.

Nicht immer, aber doch sehr häufig hat man sich für die Szenenübergänge nette bis brillante Spielereien überlegt. Bei den kunstvollen Zeitsprüngen – die manchmal nur für Sekunden währen, ehe ein weiterer Sprung bereits ansteht – werden Rösser zu Zügen, Worte zu Schiffen und die Naturelemente greifen ineinander. Diese ständige, sich über 15000 Jahre ziehende Verbundenheit wird nicht bloß durch die Montage angedeutet, sondern auch auf inhaltlicher Ebene. Ständig gibt es subtile oder offenkundige Querverweise auf Zukünftiges und Vergangenes, die immer wieder mit sanftem Druck bestätigen: Alles hängt zusammen.

Fazit

Technisch perfekt und inhaltlich stilvoll schlicht. Keine Minute unnötig und ein stetes Vergnügen. Das Mammutwerk erreicht alles, was es sich vorgenommen hat – nur die Besucher sind nicht ganz so zahlreich, wie erhofft. Spätestens auf Blu-Ray wird sich der Film aber seinen Kultstatus verdienen.
Trotzdem – oder gerade deswegen – sollte man versuchen, Cloud Atlas im Kino zu erleben. Denn die Farbenpracht und Bildgewalt wirkt auf der großen Leinwand einfach am intensivsten.

Es lohnt sich übrigens, beim Einsetzen des Abspanns auch noch die letzten Minuten auszuharren. Denn dann entlüftet eine kurze Galerie, welche Darsteller sich hinter den Masken verborgen haben und welche teils grotesken Verwandlungen sie durchmachten.