The Time to Die

Das Jahr 1970 war ein wunderliches Jahr für Kinogänger. Der Bruch zwischen zwei Zeiten war spürbar – besonders im europäischem Film. The Time to Die von André Farwagi ist ein Paradebeispiel hierfür mit seiner träumerischen Eleganz, eine durch und durch komische, verwunschene Welt darzustellen.

A film can be destroyed. Not this one.

Story

Ein Mädchen flieht zu Ross vor einer unbekannten Gefahr, verliert die Kontrolle und stürzt. Aus ihrer Hand löst sich eine Filmrolle und kullert davon, bis sie direkt neben dem im Wald ein Nickerchen machenden Leibwächter von Max Topfer liegenbleibt.
Was darauf zu sehen ist, ist mehr als verstörend: Max Töpfer wird von einem Unbekannten in einem seiner Räume erschossen. Doch Max Töpfer lebt und die Filmrolle selbst scheint nirgends registriert. Auch das verunfallte Mädchen ist mehr Rätsel als Hilfe. Nach ihrem Sturz scheint sie an partieller Amnesie zu leiden, weiß aber noch genau, dass sie im Domizil von Max Töpfer wohnt und scheint es auch bestens zu kennen. Nur wurde sie noch nie zuvor von Töpfer oder einem seiner Untergebenen gesehen.
Das vermeintliche Opfer ist wie besessen von dem mysteriösen Filmdokument und macht sich an die Analyse – bis mit dem wohlhabenden Firmeninhaber Hervé Breton der auf dem Band zu sehende Mörder identifiziert ist und mit der unmöglichen Aufzeichnung konfrontiert werden soll.

Kritik

Anna Karino, die schöne Dänin, die als Muse Jean-Luc Godards große Bekanntheit erlangte und in zahlreichen seiner erfolgreichsten Filmen mitspielte, hat im Laufe ihres Lebens schon so einiges gemacht – sie war erfolgreich auf der Theaterbühne, am Mikrofon, auf dem Regiestuhl, an der Schreibmaschine und so fort. Bis zum heutigen Tage. Da ist es von fast schon zwingender Notwendigkeit, dass manche ihrer Arbeiten in Vergessenheit geraten. Dass wiederum andere aber nie, auch nicht zur Zeit ihres Erscheinens, einem größeren Kreis von Leuten bekannt waren, ist hingegen schon ungewöhnlich. Gerade dann, wenn es sich um einen französischen Film handelt, der außerdem auch noch Größen wie Bruno Cremer und Jean Rochefort in den Hauptrollen vorzuweisen hat. The Time to Die ist aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz ein solches Phänomen. Dass Regisseur André Farwagi ansonsten kaum etwas und vor allem nichts Besonderes gemacht hat, kann zum Teil als Erklärung dienen – jedenfalls so lange, bis man sieht, was der Regisseur hier Bemerkenswertes geleistet hat. Doch der Reihe nach.
The Time to Die scheint in einer nicht näher definierten Zukunft zu spielen, macht aber keine große Sache daraus. Neben einigen Apparaturen ist es vor allem, ein bläulicher Kopf von beunruhigender, an klassische Aliens erinnernder Form auf einer Leinwand in der Villa des Protagonisten, der Zukünftiges markiert. Und dieses merkwürdige Artefakt vereint alle Sonderbarkeiten in sich, die auch den Rest der Welt ausmachen. Seine Herkunft und Beschaffenheit: Ungeklärt und auch nicht zu hinterfragen. Seine Disziplin: Rationalität. Füttert man ihn mit Informationen, vermag er es, Lösungen und Wahrscheinlichkeiten auszurechnen. Dabei scheint er aber nicht bloße Maschine zu sein, sondern hat durchaus Züge eines eigenständigen Charakters. Zugleich scheint Max Topfer dieser Entität ausgeliefert, übergibt er doch jede neue Information sofort an das blaue Orakel und überlässt diesem den Großteil der Kombinationsarbeit. Wieso es auf einem Bildschirm zu sehen ist, ob es nur ein Programm, ein Avatar oder ein tatsächlich irgendwo real lebendes Wesen ist, man weiß es nicht. In vielerlei Hinsicht präsentiert der Film nur einen hermetisch abgeriegelten Mikrokosmos, der als geschlossenes System funktioniert, in das nichts unkontrolliert ein- oder ausdringen kann.
Max Topfer, der mafiös anmutende, exzentrische Patriarch des abgelegenen Anwesens, umgibt sich mit einer Heerschar aus Leibwächtern und scheint in der Welt eine Legende zu sein – als und für was genau, erfährt der Zuschauer aber bestenfalls indirekt. Die von Bruno Cremer geliehene Mimik und Körpersprache erinnern an die italienische Schauspiellegende David Hemmings und verleihen der unnahbaren Figur Charisma, Gefühl, Eleganz und große Ausstrahlung, sodass sie in allem, was sie tut, interessant wirkt.
Der ihm entgegenstehende Hervé Breton wird gleichsam als kühler Herrscher über sein kleines Reich dargestellt, nur dass er in der totalen Öffentlichkeit und nicht in der totalen Abgeschiedenheit lebt. Als Kopf seiner Firma, aufgebaut durch das Geld seiner Frau, wirbt er für die Art von Urlaub, die Max in seinem ausgegrenzten Walddomizil rund um die Uhr hat. Er ist ein abgeklärter Geck und Dandy, den in seiner wohltemperierten Arroganz kaum etwas aus der Fassung zu bringen scheint. Das Aufeinandertreffen der beiden markanten und zugleich undurchsichtigen Figuren, von denen sich ein jeder auf unbekanntes, unheimliches Gebiet begibt und dort verletzlich macht, ist unaufdringlich und gelassen inszeniert, wirkt dadurch aber nicht minder spannend.
Das führt zum Herzstück von The Time to Die – die lupenreine, glasklare Inszenierung, die, auch aufgrund ähnlicher Ausgangssituation und Verortung, an Gialli aus eben jener Zeit oder die elegantesten Neo-Noirs erinnert. Die Bildsprache der Kamerabilder Willy Kurants ergibt zusammen mit dem klugen Schnitt eine Stimmung, die den Film vor allem besonders macht. Die durch kleine Einrichtungsdetails und Kameraeinstellungen immer etwas fremdartig wirkenden Räume, die Natur außerhalb des Anwesens, in welcher dem Zuschauer nie klare Orientierungspunkte gegeben werden, die tänzerischen Bewegungen der Figuren – all das wirkt die ganze Zeit über wie ein merkwürdiger Traum. Dass es sich bei The Time to Die um einen dieser Filme handelt, die sich durch die Filmrolle als MacGuffin stark selbstreferenziell sind, verstärkt diese Wirkung beträchtlich. Da ist es fast schon passend, dass der eigentliche Plot fast schon egal ist – wohin all das führt, wie es aufgelöst wird, all das ist im Großen wenig befriedigend und zum Glück auch gar nicht so wichtig. Es ändert nichts an der mysteriösen Ausstrahlung, dem unheimlichen Fatalismus hinter allem und der Schönheit der einzelnen Elemente.

Fazit

The Time to Die ist ein weiteres obskures Relikt aus dem Frankreich der 70er – und wie so viele andere dieser Relikte so unbekannt wie schwer zu bekommen. Doch die Suche lohnt sich. Belohnt wird man nämlich mit einem Film, der sich in eine diffuse Lücke zwischen Science-Fiction, Mystery und Krimi setzt, sich von Anfang bis Ende wie ein aufregender Traum anfühlt und einen allein durch die Stimmung so geschickt mitnimmt, dass der verhältnismäßig dünne Plot (vor allem durch die Augen der Gegenwart) zur totalen Nebensächlichkeit verkommt.

The Divide – Die Hölle sind die anderen

Der Franzose Xavier Gens ist – wieder einmal auch dank Tausendsasser Luc Besson im Hintergrund – vor allem für seinen ersten Langfrilm Frontier(s) bekannt, stolperte er mit dem Schocker doch genau richtig in die Zeit der Euphorie über das neue harte französische Horror-Kino zwischen High Tension und Martyrs. Nur so richtig gut war sein Film nicht – was ebenso auf seine kurze Stippvisite nach Hollywood in Form der Videospielverfilmung Hitman – Jeder stirbt allein zutrifft. Mit The Divide – Die Hölle sind die anderen brachte Gens dann aber einen Film hervor, der sich in jeder Hinsicht positiv von seinen Vorgängerwerken abhob. Nur wollte ihm da schon kaum noch jemand Beachtung schenken – und die wenige Beachtung, die der Film erhielt, ist ob seiner Lust an Grenzauslotung überwiegend ablehnender Natur. Und das ist schade.

There is something in the storageroom you don’t know about.

Story

Als grelle Blitze, Explosionen und Beben New York überziehen, bleiben einer neunköpfigen Truppe nur Sekunden, um sich in dem Keller eines Hochhauses zu verbarrikadieren, welcher von Hausmeister Mickey für ebensolche Notfälle präpariert wurde. Die einander weitestgehend unbekannten Menschen sitzen auf engstem Raum in diesem unterirdischen Komplex, während sie nicht wissen, was draußen vor sich geht – ob die Gefahr gebannt oder gestiegen ist, ob die Stadt Opfer eines Unfalles oder eines Angriffes wurde.
Sorge bereiten außerdem nicht nur von Draußen eindringen wollende Männer in weißen Schutzanzügen und mit voller Bewaffnung, sondern auch die sich aufstauenden Energien innerhalb der Gruppe. Was anfangs noch normale Wortgefechte sind, steigert sich für die Dauer des Aufenthalts und unter dem Mantel der Verzweiflung immer weiter, bis die Grenze des Normalen weit überschritten wird.

Kritik

Als ich The Divide 2011 damals lange vor seiner offiziellen Veröffentlichung in einem Kinosaal sehen durfte, dauerte es nicht lange, bis das Publikum auf eine außergewöhnliche Weise reagierte. Einige verließen den Saal, weit mehr jedoch – alles abgebrühte Genrefans – saßen mit vor den Mund gedrückten Händen auf ihren Plätzen und starrten regungslos und mit vor Schreck geweiteten Augen auf die Leinwand.
The Divide bewegt die richtigen Hebel und hat die richtigen Pläne. Ein Höchstmaß an Beklemmung, an vollkommener Anspannung, an Annäherung an die Eskalation. Mit den Worten „Let there be light.“ aus Michael Beans Mund beginnt eine neue Welt, deren Anfang nicht die Schöpfung, sondern die Zerstörung der vorherigen war. Fortan beginnt ein mitleidloser Schraubstock sich immer weiter zuzudrehen, um erst die äußeren Wände der menschlichen Exklave  einzudrücken und sich mit fast schon fatalistischer Unaufhaltsamkeit seinem Kern anzunähern. Serviert wird dies mit einer sehr durchdachten, ausgefeilten, aber ungemein schmutzigen Ästhetik. Wie ein Musikvideo, mit all den oberflächlichen Perversionen, die mit diesem Inszenierungsgestus einhergehen, spielt sich das Grauen über zwei Stunden hinweg ab. Und Hossa, ist das wirkungsvoll.
The Divide mutet sich und dem Zuschauer eine haarige Gratwanderung zu, indem es zwischen Panik-Psychogram Einzelner, Dynamiken eines gesellschaftlichen Querschnitts im Stile eines King’schen Mikrokosmos und der neuen französischen Hardcore-Horror-Welle angesiedelt werden möchte. Naturgemäß klappt dies nicht immer tadellos. Die Figuren werden nicht ausgiebig ausgeleuchtet, Konflikthergänge werden um des Tempos willen beschleunigt dargestellt und sehr viele Handlungen sind schlicht kaum nachvollziehbar. Andererseits liegt gerade hier der spezielle Reiz des Filmes: Es ist gerade dieser Zwischenraum, diese kaputte Heterotopie eines Kellers, der plötzlich zum Zentrum der Welt degeneriert und alle Räume zugleich zu sein hat, in dem alle bisherigen Regeln und jede normal nachvollziehbare Folgerichtigkeit außer Kraft gesetzt zu sein scheint, die grausige Faszination ausstrahlt. Wenn alles im Niedergang befindlich ist, warum, so lässt sich der Film lesen, sollte dann irgendetwas noch bekannten Bahnen folgen?
Nicht auf allem liegt ein schmutziger Staub, sondern er scheint in allem zu liegen.

Was The Divide perfekt beherrscht und was Regisseur Xavier Gens weder davor noch danach auch nur im Ansatz so gekonnt vollzogen hat, ist die Generierung immens intensiver Situationen. Die Momente, in denen die sowieso schon permanent hohe Spannung nicht mehr gehalten werden kann und irgendwo etwas unvermeidlich explodiert. In einer Heftigkeit, in einer Unfassbarkeit, die nur schwer auszuhalten ist.
Auffällig sind die immer gleich verlaufenden Kamerabewegungen, die mit einer Nahaufnahme beginnen und in einer Parabel bis zu einer Totalen zurückfahren. Der Film nähert sich den Personen nicht an, sondern entfernt sich mit ihnen im gleichen Tempo, wie sie von der Situation und sich selbst entmenschlicht werden. In diesem Extrem ist nicht jeder dem anderen Wolf, sondern etwas viel Schlimmeres.
An anderen Stellen wiederum ist die Kamera  zu bewegungsfreudig und der Schnitt zu hochfrequentiert. Viele von der Montage verstümmelte Rundfahrten um die Personengruppen wären als durchgängige Bewegungen weit intensiver gewesen. Hier stört die Musikvideo-Ästhetik dann doch das Konzept.
Ebenso übertrieben ist der Einsatz der Pianomusik, die manchmal etwas zu laut und eine Spur zu dramatisch die Tasten klingen lässt. Auch hier wäre nicht weniger, sondern einfach gar nichts mehr gewesen. Diese Augenblicke fehlender Stille kosten den Film in seiner ersten Hälfte einige Möglichkeiten, was ob der Tatsache, dass die Veranlagungen dafür vorhanden sind, doch etwas schade ist.

Was The Divide außergewöhnlich, in seinem gebiet einzigartig und in vielen Augen auch ziemlich schlimm macht, ist seine Wandlung, die er nach der Hälfte der Laufzeit durchläuft. Es ist nicht direkt ein Plottwist, es ist nicht direkt ein Bruch oder eine Wendung der Geschichte – und eigentlich ist es all das doch. In ungeahnter, ungekannter und wohl auch ungewollter Weise. Denn die klassische Intensivität, die bisher aufgebaut wurde und auch einen ebenso klassischen Gipfel erklomm, weicht einer, die in dieser Richtung nicht erwartet und in dieser Form noch nicht oft vorgekommen ist. Und diese Intensität wird gesteigert, überdreht und einfach weiter gesteigert. Über alle Konventionen, Regeln und Erwartungen hinweg. Über jede Form von Geschmack und auch über die Formen des Zumutbaren hinaus.
Und hier fallen die Vorhänge. Denn so wie die Personen ihre unnatürliche Schönheit verlieren, verliert sie auch der Film. Das Piano schwärmt seltener, Die Montage beruhigt sich.  Und auch die Kamerafahrten kehren sich um – nun wird von der Totalen zur Nahen gezoomt. Hinein in das Grauen, das nicht mehr Mensch ist.

Fazit

Es hätte ein unvergleichliches Manifest des Grauens und der filmischen Gnadenlosigkeit werden können. Dass The Divide fast überall abgelehnt und belächelt wird, liegt in der Natur extremer Filme. Unnötige, weil aussagelose Schaumschlägerei der Inszenierung gerade in der ersten Hälfte spielen den Kritikern aber in die Hände und verwehren Xavier Gens‘ einzig guten Film auch hier widerspruchsfreie Würdigung. Denn dafür vertraut der Film letztlich zu wenig auf seine inhärente Effektivität und verwässert sie mit effekthascherischem Geplänkel. Dessen ungeachtet ist der SF-Terror aber mehr als nur einen Blick wert, setzt er doch auf seine Weise Maßstäbe und besitzt eine Wucht und Eindringlichkeit, der man sich unmöglich widersetzen kann.

ARQ

ARQ ist eine Netzflix-Produktion, die Tony Elliott schrieb und inszenierte – sein erstes großes Regieprojekt. Bekannt ist der Filmemacher besonders durch sein fleißiges Mitwirken an Orphan Black.

I don’t know.

Story

Die Welt wird von einer kapitalistischen Gruppierung mit Krieg und Elend überzogen. Die Luft ist verpestet, viele Städte liegen in Trümmern. Renton lebt in seiner großen Wohnung und ist halbwegs wohlhabend – und außerdem ein Dieb, der die Kriegstreiber bestahl. In seiner Garage lagert eine Maschine, die das Energieproblem der Welt lösen könnte.
Um 06:16 Uhr liegen er und Hannah im Bett, als drei maskierte Männer den Schlafraum stürmen, die beiden überwältigen und anfangen, das Haus zu plündern. Renton und Hannah können sich zwar befreien, doch endet ihr Versuch, den Einbrechern die Stirn zu bieten böse.
Um  06:16 Uhr liegen er und Hannah im Bett, als drei maskierte Männer den Schlafraum stürmen – es wiederholt sich, wieder und wieder. Der rottierende Zylinder in Rentons Garage ist weit mehr als eine Energiequelle, er hat eine Zeitschleife geschaffen. Was folgt, ist eine Art blutiges Schach, bei dem Hannah und Renton nicht nur gegen die Invasoren bestehen müssen, sondern sich Schritt um Schritt auch brenzlige Geheimnisse offenbaren.

Kritik

ARQ spielt geschickt seine Karten aus – wenn man sich zuvor nicht über Gebühr informierte. Zu Beginn ist der Zuschauer im Ungewissen darüber, wer die Protagonisten sind, in was für einer Welt sie leben und was überhaupt wirklich geschieht. Dafür kündigt der Film gleich als allererstes an, dass man sich besser nicht auf das zu Sehende verlassen sollte. Denn: Inszenatorisch – und inszenatorischen Traditionen folgend –, könnten all die Zeitsprünge auch Träume sein. Renton und Hannah wachen jedes Mal erneut auf.
Ein günstiger Film, dessen Prämisse es erlaubt, eine Art Sci-Fi-Kammerspiel zu sein, da wie eine Matrjoschka funktioniert: Mit jeder neuen Zeitschleife wird weiter zum Kern vorgedrungen. Der Film ist nicht übermäßig clever, aber clever genug, um bei der Stange zu halten. Geschickt platzierte Perspektivwechsel und Ellipsen sorgen gekonnt dafür, dass das Interesse nicht abflaut. Der repetitive Elektrosoundtrack sorgt für Hektik und generiert seine ganz eigene Stimmung, ist auf der anderen Seite aber auch fernab von originell und manchmal nah dran, dem Zuschauer auf die Nerven zu steigen.
Das Gute ist: ARQ hat auch etwas zu sagen und schafft es außerdem, nicht mit Wiederholungen zu langweilen.
Der wahre Pluspunkt aber ist der Mut, kantige, schroffe Charaktere ins Drehbuch geschrieben zu haben. Mit jedem erneuten Durchlaufen der Zeitschleife erfährt man primär mehr über Hannah, Renton und die drei Einbrecher, ohne dass anstehende Offenbarungen zu gekünstelt und konstruiert wirken. ARQ ist ein kesser kleiner Indie-Thriller ohne Effekte, dessen futuristisches Setting überwiegend als Backstory erzählt, aber kaum gezeigt wird – gut so, bleibt so doch genügend Raum für die Figuren, um die sich alles dreht.
Da ist es fast schon schade, dass der Film sein Tempo manchmal durch unglaubwürdige Handlungen der Figuren erkauft – gleich mehrmals werden Personen in kürzester Zeit die unglaublichsten Informationen verklickert und diese schauen zwar skeptisch, schlucken aber, was man ihnen sagt. Dadurch wirken die spannenden Figuren letztlich ein wenig dümmer als sie sein müssten. Das ist aber nur eine Randnotiz. Im Internet wird über ein paar Plot Holes gemosert, aber einige davon sind keine, wenn man sich vor Augen führt, nach welcher Logik die Maschine in der Garage funktioniert. Es bleibt am Ende aber trotzdem eine Ungereimtheit – basierend auf einer Drehbuchentscheidung, die darüber hinaus auch noch vollkommen überflüssig zu sein scheint. Sei’s drum: Wie es sich für gute Zeitreisefilme gehört – auch wenn dies hier eigentlich eine Art Und täglich grüßt das Murmeltier ist, wie es zuletzt erst Edge of Tomorrow gewesen ist –, wird auch in ARQ noch eine kleine Geschichte hinter der Geschichte erzählt, die man für die Freude am Schauen nicht mitbekommen muss, die es aber durchaus wert ist, sich am Ende noch ein paar Minuten Gedanken über die Geschehnisse und die vonstattengehenden Prozesse zu machen. Trotzdem ist ARQ nicht großartig verkopft und verworren, was ihn von einigen Genrekollegen unterscheidet, für die eine verwirrende Erzählstruktur bei Zeitreisen zum guten Ton zu gehören scheint.

Fazit

Ein kleiner, feiner, düsterer Thriller, bei dem die Science-Fiction eher im Hintergrund ist und als Aufhänger für die schachartige Struktur des Filmes dient. Ordentlich gespielt und anständig geschrieben, sorgt ARQ für ein kurzweiliges, bisweilen recht spannendes Sehvergnügen mit gut ausgearbeiteten Figuren und cleverer Reduktion.

Predestination

Allerorts wird im Augenblick gerufen, dass Predestination ein neuer Hoffnungsbringer sei. Der kongenieale Looper ist quasi vergessen, der neue von den Spierig-Brüdern im Augenblick als Zeitreise-Revival dafür in aller Munde. Zu Recht? Nur so halb. Ihr neuer Film, der eine Adaption des Buches —All You Zombies— von Robert A. Heinlein (am bekanntesten vielleicht dank seiner Buchvorlage zu Starship Troopers) ist, macht einiges richtig und wichtiges falsch.

I never understood why my parents abandoned me.

Story

Ein Gast macht den sich nach einer guten Unterhaltung sehnenden Barkeeper neugierig. Der eigenbrötlerische Mann ist anfangs nicht für dafür zu haben, taut nach ein wenig Bearbeitung aber langsam auf. Schweres lastet ihm offenbar auf den schmalen Schultern. Eine Flasche Schnaps als Einsatz, beflügelt seine Stimme dann endgültig. Sie ist der Preis, wenn seine Geschichte besser ist als jede vorherige, die der Barkeeper bisher zu hören bekam.
Dass etwas höchst Sonderbares im Gange ist, wird nicht erst dann klar, wenn sich herausstellt, dass Zeitreisen, ein berüchtigter Terrorist und eine geheime Organisation sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart große Rollen spielen.

Kritik

Das Brüderpaar Michael und Peter Spierig hat eigentlich seit über 10 Jahren eine Glückssträhne. Alles begann damit, die privaten Ersparnisse für eine assoziative Horrorkomödie mit Zombies und Ufos auf den Kopf zu Hauen und damit ordentliche Festivalerfolge zu erleben. Undead war intendierter Blödsinn, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nach siebenjähriger Pause folgte schließlich ein wenig unter dem Radar der großen Aufmerksamkeit Daybreakers, ein Film, der gerne sehr viel gewesen wäre, abseits der anheizenden Prämisse aber so arm an Seele wie an Blut ist, wenn er auch einen beeindruckenden Cast auffahren konnte. Andere Regisseure wären nach einem Erfolg, der mäßige Wellen schlug, vergessen worden. Ob es die Sympathie durch persönliche Einbringung oder ob die mythische Brüder-Aura ist, die die Filmemacher rund um den Globus im Zuschauergedächtnis haften lässt, lässt sich nicht so recht beantworten, ohne dabei sämtliche Seriösität aufzugeben. Jedenfalls wird auch das Drittwerk mit dem Namen Spierig beworben und jeder weiß, wer damit gemeint ist.

Predestination
hat sich nach Zombies und Gegenwartsvampirismus also ein weiteres Mal einem Sub-Genre verschrieben: dem Zeitreisefilm. Das allein sorgt beim Schreiber dieser Zeilen gewöhnlicherweise schon dafür, Großzügigkeit bei der Bewertung walten zu lassen. Nur hat dieser nischenartige Genre-Raum das lästige Problem, dass die meisten seiner Vertreter essenzielle Gemeinsamkeiten haben, die sich nur zu schnell wiederholen. Schon zu Beginn kann man getrost davon ausgehen, dass mehr oder weniger große Unerklärlichkeiten und vermeintliche Zufälle nur dafür da sind, um im späteren Verlauf völlig überraschend durch Zeitschleifen aufgeklärt zu werden. Das ist es, was Geschichten mit dieser Thematik so keck und aufregend macht. Alles ist Puzzle in Kreisform und wenn es anständig vorgepuzzelt wird und alle halbwegs Teile passen, bereitet das Nachbauen immense Freude. Wird zuvor aber mehrmals schon angedeutet, wie das fertige Bild am Ende aussehen könnte, löst sich die Spannung und die Frage, wo welche Teile hingehören, ist mit einem – viel zu frühen – mal gar nicht mehr so groß. Predestination geht leider schon sehr früh viel zu großzügig mit Lösungsandeutungen um. Geheimnisvoll tuende, tatsächlich aber banal transparente Prophezeiungen, verräterische Kameraeinstellungen und nicht zuletzt eine leicht zu erahnende Grundidee machen den Film zu etwas, was Zeitreisefilme nie sein sollten: berechenbar. Das wäre an sich nur halb tragisch, ginge der Sci-Fi-Film mit seinen kaum verhüllten Geheimnissen nicht zusätzlich so prahlerisch um, indem es bedeutungsschwangere Dinge anreiht und voraussetzt, dass der Zuschauer dabei einfach nicht mitdenkt.

All das ist zwar schade, aber bei weitem kein totales Scheitern. Auch wenn man sich hier eine kleine Blöße gibt, ist das Geschehen dennoch unentwegt unterhaltsam anzuschauen. Dadurch, dass der Film mit einer ausführlichen Analepse in einer Bar beginnt und erst viel später von dort aus die Geschichte weiterführt, findet eine interessante und durchaus als geglückt zu bezeichnende Zweiteilung des ganzen Filmes statt. Und ansonsten passiert einfach jede Menge und das schnell aufeinander, wodurch sich die Autoren beileibe nicht vorwerfen lassen müssen, auf der Stelle zu treten. Ordentlich gefilmt war Daybreakers auch, routiniert gespielt ebenso. Das große Manko des Filmes waren die steifen Dialoge und damit zwangsweise auch das Schaffen glaubwürdiger Figuren. Auch bei Predestination hapert es noch mit dem gesprochenen Wort. Floskeln und vermeintlich coole Phrasen sind an der Tagesordnung. Mehr als einmal wirkt es so, als hätte man beim
Drehbuchschreiben einfach nicht so recht gewusst, wie denn nun diese Stille zwischen den plotrelevanten Aussagen zu füllen ist. Wie Figuren eine Natürlichkeit erhalten, die über ihren rein funktionalen Daseinsgrund als Informationsgeber hinausgeht, ohne dabei geschwätzig zu wirken. In Ermangelung einer Lösung für dieses Dilemma wird das Henne-Ei-Problem auch schon mal als innovative Frage verkauft. Diese allseits bekannte Grundsatznot bei der schriftlichen Generierung von Charakteren zieht sich durch den Film und verhindert, dass man sich vollkommen in diese Welt versetzt fühlt. So dramatisch wie dereinst bei Daybreakers fällt das Ergebnis zwar nicht aus, doch ist es auch hier schade, dass die prinzipiell ja einladende Welt für den Zuschauer per se unzugänglich bleibt, da einfach alles zu sehr nach Fälschung riecht.
An diesem Punkt gehen Figuren und Geschichte Hand in Hand, denn erstere sind so schrecklich funktional geschrieben, dass es ihnen überhaupt nicht schwerfällt, den ganzen abstrusen Humbug für bare Münze zu nehmen, anstatt ihn als Zumutung zu empfinden. Den Durchschnittsmenschen in Predestination juckt es gar nicht, wenn da jemand um die Ecke kommt und zugibt, er sei Zeitreiseagent eines Zeitreisebüros. Da schaut man höchstens kurz skeptisch, bevor man gutgläubig nickt, als hätte da eben jemand kundgetan, in Wirklichkeit Sohn eines Schäfers zu sein.
Eigentlich ist das schade, denn wie jeder gute Zeitreisefilm entfaltet auch Predestination erst nach und nach – und je mehr, desto näher am Ende – seine eigentliche Ganzheit. Wie sich nach und nach die Fäden zusammenfügen, das ist schon nicht blöd und, wie ja der ganze Film einigermaßen, allemal unterhaltsam. Doch tölpeln sich Drehbuch und Regie immer wieder selbst vor die Füße.
Die prinzipiell ergreifende Tragik, die hinter der Geschichte steht, ist dabei fast selbst schon tragisch, verpufft ihre Wirkung doch fast zur Gänze vor den Fehlern, die dieser ja keineswegs schlechte Film macht.

Fazit

Weniger Übermut, weniger Kühle, vielleicht einen externen Berater, der bei der Figurengestaltung hilft. Mehr bräuchte es eigentlich gar nicht und der vierte Film aus dem Hause Spierig könnte etwas uneingeschränkt Tolles werden. Das notwendige Faible für spleenige Genres und kraftvolle Grundideen haben die Herren nämlich.
Predestination krankt leider an oben Genanntem. Das hindert den Film nicht daran, interessant und auch spannend zu sein. Doch hindert es den Zuschauer ebenfalls nicht daran, sich über viele Kleinigkeiten zu ärgern und deshalb immer wieder aus dem Film geschmissen zu werden.

Europa Report

Es werden zwei DVDs zum Film verlost beim SciFiFilme.net-Gewinnspiel.

Der ecuadorianische Festival-Günstling Sebastián Cordero drehte mit Europa Report seinen fünften und erfolgreichsten Film. Trotzdem darf das Werk nur die Leinwände einiger Festivals besuchen, während ihm eine reguläre Kinoauswertung verwehrt bleibt. Völlig zu Unrecht.

So little space in here. And so much space out there.

Story

Im Jahr 2061 macht sich die Europa One, besetzt mit einer sechsköpfigen internationalen Crew, auf den langen Weg zum Jupitermond Europa, um endlich die Frage zu klären, ob das Wasser, welches unter der Oberfläche des Mondes vermutet wird, vielleicht Leben in sich trägt.
Die Pioniere um den Piloten Willam Xu sind aufgeregt und voller Erwartung. Noch nie hat ein Mensch den Weltraum jenseits des Mondumfeldes bereist.
Weder der monatelange Flug noch die anschließende Landung auf dem Jupiter-Trabanten verlaufen ohne Turbulenzen. Der Funkkontakt zur Erde bricht ab und die Landezone wird  um knapp 100 Meter verpasst.
Um die Mission durchführen zu können muss das Schiff außerplanmäßig verlassen werden. Hinzu kommt, dass seit der Landung einiges nicht mit rechen Dingen zuzugehen scheint.

Kritik

Die von Europa Report gewählte Erzählform ist ein ungewöhnlicher Hybrid. Man hat sich auf das (mittlerweile muss man wohl sagen ‚klassische‘) Found-Footage-Verfahren eingelassen, zeigt das Material aber nicht in chronologischer Reihenfolge, verzichtet weder auf musikalische Untermalung noch auf stimmungsgebende Schnitte und fährt sogar Kommentatoren auf. Zu sehen gibt es nicht das rohe Filmmaterial direkt von der Kamera, sondern eine im Nachhinein aufbereitete Version im Stile eines Doku-Dramas.
Das wirkt erst einmal inkonsequent, entpuppt sich im Fall von Europa Report aber als kleiner Geniestreich, denn der Film profitiert von den Vorzügen der ‚Echte-Aufnahmen-Prämisse‘ und umschifft durch den Nachbearbeitungskniff gleichzeitig einige ihrer Probleme.
Dass der Zuschauer das Geschehen nur über die (zahlreichen) Kameras im und am Schiff sowie über die Helme zu sehen bekommt, drückt die Intensität des Gezeigten gewaltig nach oben, während man auf der anderen Seite aber nie das Gefühl hat, Entscheidendes zu versäumen.

Zirka in der Mitte gibt es einen plötzlichen Rückblick ausgerechnet dann, wenn es auf der Mondoberfläche richtig spannend wird. Erste Befürchtungen, der Film nähme damit eine falsche Richtung und drossele die Anspannung im falschen Moment, stellen sich aber bald als verkehrt heraus. Stattdessen gibt es eine der intensivsten und tragischsten Szenen der jungen Sci-Fi-Geschichte. Wegen ihr allein lohnt sich Europa Report schon.

Die Spielzeit beläuft sich auf 87 Minuten, was für einen Film, der sich mit dem Aufspüren außerirdischen Lebens beschäftigt und seinen zudem Figuren viel Platz einräumt, wenig Zeit ist. Dementsprechend hält sich der Science-Fiction-Film nicht mit einer langen Einführung auf und startet direkt mit dem Verbindungsabbruch zur Erde, um dann in ähnlichem schnellem Tempo fortzufahren. Der durchdachten Regie Sebastián Corderos ist es zu verdanken, dass der Film nie gehetzt wirkt und jede Szene schlüssig aus der  vorangegangen hervorgeht.
Trotzdem wünscht man sich, dass der Regisseur sich im ersten Drittel doch noch ein paar weitere Minuten genommen hätte, um das Gefühl der Isolation und Ungewissheit der Crew, die ohne Kontakt zur Erde im schwarzen Nichts ins Ungewisse reist, noch stärker wirken zu lassen. Diese Momente kommen wunderbar zur Geltung und hätten gerne vertiert werden dürfen. Opressiv, wie man es vielleicht 2001: Odyssee im Weltraum wohlwollen dunterstellen könnte, wird Europa Report jedoch nie. Von Beginn an kreiert er eine mustergütige Spannung, in der man sich ohne Umschweife tief verliert. Diese wird bis zum intensiven Ende gehalten ist in erster Linie der großartigen Sounduntermalung zu verdanken, die omnipräsent ist, dabei aber kaum auffällt, so harmonisch und natürlich fügt sie sich ins Gesamterlebnis, während sie es eigentlich streng diktiert.

Daneben lebt der Film vor allem von seiner Bodenständigkeit. Europa Report ist Sci-Fi mit hohem Authentizitätsanspruch. Geerdete Charaktere, Technik auf heutigem Stand und eine Geschichte, die auf aktuellen Daten basiert – nämlich der Vermutung von Ozeanen unter der eisigen Kruste auf Europa. Zwei oder drei wissenschaftliche Ungenauigkeiten gibt es trotzdem, doch fallen die erstens nur auf, wenn man mir pedantischen Argusaugen hinsieht, und zweitens nicht ins Gewicht. Weil die Geschehnisse so gekonnt realitätstreu aufgezogen sind, gerät der Moment, in dem die Kapsel auf Europa landet und sich der Brocken erstmalig direkt menschlichen Augen zeigt, fast schon magisch. Auch und weil der Film auf pompöse Inszenierung gänzlich verzichtet.
Es sind viele Andeutungen, die zu Spekulationen einladen, und die guten Schauspieler, die diese Spekulationen aufregend werden lassen. So werden kleine Bilder plötzlich zu etwas viel Größerem. Mehr als einmal erwischt man sich selbst dabei, offenen Mundes zu staunen und gleichzeitig auf ein Anhalten der aktuellen wie auf das rasche Zustandekommen der nachfolgenden Szene zu hoffen. Mit sehr reduzierten Mitteln gelingt es Europa Report, das Gefühl zu transportieren, auf einer gänzlich unbekannten Welt zu sein, die so wundervoll wie unheimlich ist. Tatsächlich stellt sich der Eindruck ein, gemeinsam mit den Astronauten diesen fernen Ort zu erforschen, der plötzlich nicht nur ein wissenschaftlich interessanter Mond in der direkten Nachbarschaft ist, sondern gleichzeitig auch Unvorstellbares und Märchenhaftes, ja schlicht und ergreifend alles bereithalten könnte.

Fazit

Europa Report ist nicht nur ein Film über Mut, Einsamkeit und Verhältnismäßigkeit, sondern auch einer über Träume, Sinn und die Kraft des menschlichen Pioniergeistes. Kleines Spannungskino mit kleiner Geschichte, aber groß erzählt.
Wie so oft ist die Erfahrung umso wirksamer, je weniger der Zuschauer am Anfang weiß. Wer ohne Ahnung und Erwartung an das Sci-Fi-Abenteuer herangeht, dem schenkt es eine der kräftigsten Filmerfahrungen jüngerer Genregeschichte.

Repo Men

Ein Regieneuling schnappt sich Oscargewinner Forest Whitaker und den immerhin zweifach nominierten Jude Law, um einen Science-Fiction-Film zu drehen. Die Namen lassen an Filme wie Species, A.I. – Künstliche Intelligenz, eXistenZ und Gattaca denken. Und vielleicht auch an Sky Captain and the World of Tomorrow, hat man diesen Film nicht erfolgreich verdrängt.
Trotz der qualitativen wie thematischen Bandbreite dieser Assoziationskette weiß Repo Men aber noch zu überraschen.

He’s gone to get more meat.

Story

2025 sind Organtransplantate ein riesiger Markt. Lahmt die Lunge, Leber oder Niere, schaut man kurz bei den zuvorkommenden Vertretern von The Union vorbei, führt ein lockeres Verkaufsgespräch und kriegt ein neues Exemplar, Garantie inklusive. Wirklich günstig ist das Ganze zwar nicht und vor allem die Zinssätze machen dem Normalbürger zu schaffen, aber irgendetwas ist ja immer.
Problematisch wird es dann, wenn ein Käufer mit den Raten in Rückstand gerät. Dann wird ein Vertreter geschickt, der sich das Eigentum der Firma auf unglimpfliche Weise zurückholt.
Repo Men werden diese Außendienstler genannt. Remy und Jake sind solche Repo Men und gehören zu den Besten der Besten. Davon abgesehen, dass Remys Ehefrau ihn drängt, einen weniger aufregenden Job zu wählen, läuft alles bestens. Der alltägliche Sprung von eiskaltem Todesengel zum fürsorglichen Familienvater klappt problemlos.
Bis Remy nach dem Kontakt mit einem defekten Defibrillator eines Tages im Krankenhaus aufwacht und feststellen muss, dass er nun selbst ein künstliches Organ seiner Firma im Körper hat.
Von der Familie verlassen und erschüttert in seinen Überzeugungen, gerät er in eine tiefe Sinnkrise, die dazu führt, dass die Raten nicht bezahlen kann.

Kritik

Dem Futurismus der Welt von Morgen sieht man zwar an, dass das Budget ruhig noch eine Schippe mehr Finanzen vertragen hätte, trotzdem ist die Welt insgesamt sehr stimmig. Atmosphärischer Lichtwurf, technische Details und interessante Überlegungen schaffen eine dichte und ungemütliche Atmosphäre. Auch die grundsätzlich gelungen Figuren tragen mit ihren fragwürdigen Moralvorstellungen und Handlungen dazu bei.
Leider sind sie es auch die Figuren, genaugenommen deren Entwicklung, woran es dann in erster Instanz ein wenig hapert.
Die Gestalt des Remy, der kaltblütiger Organeintreiber und warmherziger Ehemann und Vater zugleich sein muss, ist spannend angelegt und mit Jude Law strategisch durchdacht besetzt. Dass dieser Konflikt mehr gezeigt als ausformuliert wird, ist darüber hinaus eine ausgezeichnete Entscheidung. So wirksam der Status quo der Figur sich aber darstellt, so wenig nachvollziehbar gestalten sich Remys Veränderungen. Dass er ein unsympathischer Zeitgenosse ist, mit dem sich zu identifizieren kaum möglich ist, ist eine Sache, die durchaus beabsichtigt sein mag. Dass seine Handlungen einer kaum zu erahnenden Logik folgen, wird wohl weniger der Wille der beiden Drehbuchschreiber gewesen sein, was dazu führt, dass die grundsätzlich sehr möglichkeitsoffene und tragische Figur ein wenig anstrengend und ärgerlich wird, weil der Zuschauer sich einfach nicht auf sie verlassen kann. Sie tut, was sie tut, damit die Geschichte vorangeht. Nicht aber handelt sie aus eigenen, natürlichen Motivationen heraus. Vor allem der obligatorische Gesinnungsumschwung des Repo Man mag auf dem Papier gerade so funktionieren, wirkt direkt an Charakter und Schauspieler gekoppelt, aber unverständlich. Und das, obwohl der Prozess ausführlich über Off-Texte erläutert wird.
Der guten Ausgangslage nicht gerecht werden kann man auch bei einem weiteren flexiblen Element des Filmes nicht. So sorgsam der Anfang und der Startpunkt der Charaktere ausgeleuchtet sind, so vorhersehbar verhält sich das Weitere. Repo Men ist durchaus spannend, immer nett anzusehen und langweilt nicht, das sei festgehalten. Aber die Geschichte um den Organjäger, der geläutert wird, indem er selbst zum Gejagten wird und unterwegs seine große Liebe findet, ist faules Malen nach Zahlen im Lehrbuch für schematische Charaktergrundlagen.

In der düsteren Welt von Repo Men ist man nicht sehr sauber, aber akkurat. Akkuratesse kann in diesem Zusammenhang auch mal bedeuten, dass jemandem mit einer Schreibmaschine der Kopf zerdellt wird. Wie man an den künstlichen Organen und Körperteilen rumfingert, sie nach Herzenslust rein- und rausoperiert und dabei nach Laune Körper öffnet, grenzt an Splatter und ist nichts für schwache Mägen. Kein Vergleich zu Laws Auftritt im modernen Sci-Fi-Klassiker Gattaca, der im gegen das hier geradezu steril und prüde wirkt. An diesem Punkt wird auch noch einmal die Doppelmoral des Charakters in der Handlung und der Charakterentwicklung des Drehbuchsdeutlich. Zwar wechselt Remy die Seiten, doch seine Methoden bleiben die gleichen. Nur dass jetzt eben die Menschenleben des gegenüberliegenden Ufers ihr Existenzrecht in seinen Augen verwirkt haben. Menschen, wie er selbst vor ein paar Tagen noch einer war. Die, die ihm in Ausführung ihrer Arbeit – und wenn es nur Polizisten sind – im Weg stehen, werden nicht nur gewissenlos niedergemäht, sondern regelrecht hingerichtet. Der Kampf gegen die eigenen Arbeitskollegen zum Ende hin schlägt mit seiner menschenverachtenden Ästhetik dann eindeutig dem Fass den Boden aus und hat außerdem mit dem bisherigen Grundton des Filmes überhaupt nichts mehr gemein.
Ein Mann, dessen Motive irrational erscheinen, der nach der Trennung von seiner Gattin die nächstbeste Frau an seine Seite zerrt und blindlinks Freund wie Feind mordet, kann nur schwerlich als tauglicher Filmprotagonist herhalten. Hauptfiguren müssen natürlich nicht immer sympathisch und können sogar gerne, wenn es denn richtig angegangen wird, hassenswerte Unholde sein. Doch muss man sich fratgen, ob dies bei Repo Men in der vorliegenden Form beabsichtigt war. Das verleiht dem Film besonders in der zweiten Hälfte einen sehr unbequemen Beigeschmack. Sollte dies Plan von Regisseur und Drehbuchautor gewesen sein, darf man aber verhalten gratulieren. Denn die Botschaft des Filmes wäre dann eine ganz andere, in Anbetracht der mauen Grundgeschichte vielleicht sogar deutlich erzählenswertere. Einen ähnlich vor den Kopf stoßenden Zwist gab es schon mal bei Equilibrium.
Wenn man so möchte, wird das Ganze durch einen Dreh am Ende vollkommen relativiert, ohne an dieser Stelle zu viel verraten zu wollen. Ob – und wenn ja, in welchem Maße – das die Botschaft beeinflusst, mag jeder für sich selbst entscheiden. Vielleicht ist aber auch gerade das die Stärke von Repo Men: Dass er es dem Zuschauer nicht leicht macht und erst recht nicht abnimmt, sich selbst für eine Seite zu entscheiden und moralische Fragen für sich tatsächlich beantworten zu müssen. So gesehen ist dieses Werk nicht unbedingt besser, tatsächlich aber in mancher Hinsicht wertvoller als die meisten anderen Filme.
Die Handvoll Kampfeinlagen wird demgemäß ausgiebig gezeigt. Dank dem dynamischen Schnitt sind diese auch nett anzusehen und aufgrund ihrer intensiven Körperlichkeit keineswegs unspannend.

Dass das Szenario so unglaubwürdig ist wie bösartig ist, darüber muss hinweggesehen werden. Angesichts der souveränen Inszenierung und dem guten Score ist das auch keine unlösbare Aufgabe. Nimmt man hin, dass der Protagonist ein ziemlicher Schuft ist, und sieht man über grobe Schnitzer in der Charakterentwicklung hinweg, bleibt dem altbekannten Grundplot zum Trotz ein sauber gedrehter, sehr atmosphärischer Sci-Fi-Thriller mit viel Abwechslung und einem wirklich dreckigen Jude Law.

Fazit

Ein seltsamer Mischling ist Repo Men. Ganz ohne Vorwissen würde man nicht erahnen, dass der Sci-Fi-Film mit Jude Law eine knallharte, an vielen Strecken unangenehm brutal bebilderte Geschichte ohne wirkliche Identifikationsfigur ist.
Schwächen in eigentlich essenziellen Punkten werten den Film ab, die gekonnte Inszenierung und die unangenehme Stimmung machen ihn dennoch zu einem immerhin nicht uninteressanten und grundsätzlich auch sehenswerten Genrebeitrag.