Der russischstämmige Ilja Naischuller erlangte 2013 weltweite Aufmerksamkeit durch das Musikvideo seiner Band Biting Elbows (Link), durch das er nun also nicht nur Sänger und Gitarrist, sondern auch Drehbuchautor und Regisseur wurde – und dafür derart viel Zuspruch erhielt, dass er auf Basis des viralen Hits gleich einen ganzen Film drehte. Hardcore Henry war geboren.
You’re half machine, half pussy!
Story
Herny wacht auf einer Laborliege in einem Wassertank auf und weiß nichts. Auch nicht, dass er Henry weiß. Zum Glück kann ihm die Wissenschaftlerin vor Ort, die sich glücklicherweise ebenso als seine Frau herausstellt, über seinen Namen aufklären. Und darüber, dass er einen stark modifizierten Körper und durch ihn tausendfach gesteigerte Kräfte besitzt. Letzteres kommt ihm zugute, als als ein manischer Wissenschaftler ihm unter fahrlässigem Einsatz telepathischer Kräfte eine ganze Armada rauf- und schießwütiger Untertanen auf den Hals setzt, um seine Kreation wieder in den Besitz zu bekommen. Und so rast Henry im Parcour-Stil durch ein mörderisches Russland, zerlegt Auftragskiller und stolpert von einem ominösen und häufig recht kurzlebigen Informanten zum nächsten, um nach und nach aufzudecken wer und was er ist – und wieso er tut, was er tut.
Kritik
Der große Clou an Hardcore ist, dass der Film sich ausschließlich in der Egoperspektive des Protagonisten abspielt. Da jener außerdem keinerlei Erinnerung an seine eigentliche Identität besitzt, handelt es sich also um eine recht konsequente Umsetzung interner Fokalisierung, die diese Geschichte anwendet: Der Zuschauer weiß exakt so viel wie die Hauptfigur, nicht mehr, nicht weniger. Und die Hauptfigur nutzt ihr begrenztes Wissen ausschließlich dazu, zu rennen und massenweise Menschen effektvoll an die Gurgel zu gehen.
Ist Hardcore eine marktschreierische Stapelung Gewaltpornographischer Inhalte? Man kann es nicht so ganz verhehlen. Natürlich weiß der Film genau das und hält seine eigene Eiseskälte für so cool, dass die ganze Sache nur noch lächerlich ist und nicht mehr abschreckend. Klar, das klappt, die grenzenlos übertriebene Over-The-Top-Metzelei tut keinem weh und macht Spaß. Sie lässt das Adrenalin kochen, kitzelt die Schaulust und im besten Fall lässt sie darüber staunen, wie endlos die Regler der Absurdität überdreht werden können. Trotzdem ist genau das aber nun einmal auch das einfachste Mittel, Gewalt zu verharmlosen, sie bekömmlich, ja sogar launig und wünschenswert erscheinen zu lassen – ein bloßes Spektakel für die eigene Lust. So gesehen ist Hardcore ganz die Gladiatorenarena; dafür da, sich 90 Minuten lang an möglichst kurzweiligem Gewaltzirkus zu ergötzen. Der Film liebt sich dann am meisten, wenn ein paar namenlose Schießbudenfiguren mit kantigem Gesicht in Nahaufnahme zu Menschenbrei werden. Und ja, damit handelt es sich um einen Film den man gut und gerne als verwerflich bezeichnen kann.
Und sonst? Wie funktioniert das Konzept des Ego-Films (das keineswegs völlig neu ist, unter den vielen Postern, die es im Film zu sehen gibt (u. a. vom First-Person-Shooter Payday 2, mit dem ein Cross-Marketing-Deal bestand) ist auch Lady In the Lake, bei dem dereinst versucht wurde, Film-Noir mit diesem Konzept zu verschmelzen, woraufhin pures Kassengift entstand)? Erst einmal irritiert es sehr, dass es Schnitte gibt. Deswegen, weil das vorgeblich rein und unvermittelt miterlebte Bewusstsein des Protagonisten, mit diesen Aussetzern plötzlich im Niemandsland der Montage verschollen geht und die ganze behauptete Direktheit des Geschehens ad absurdum geführt wird. Aber es existieren auch einige Schnitte, die nur ein paar Sekunden überbrücken. Auf diese Weise wird die hochgehaltene Agenda außerordentlicher Perspektive in ihrer Illusion gleich noch einmal gedämpft. Ein ausschließlicher, reiner Point-of-View verliert bei einem Schnitt deswegen schnell die Orientierung der Zuschauer, weil ständig Achsensprünge geschehen – bei einem Perspektivwechsel von über 180 Grad ist das Hirn nicht mehr in der Lage, anstandslos die Kohärenz der Szenen zu verstehen. Dass es sich um handwerkliche Unkenntnis handelt, ist bei einem Projekt dieses Produktionsniveaus realiter auszuschließen. Folglich muss es ein gewollter Kniff sein. Tatsächlich ist das Ringen um und mit Orientierung etwas, das Hardcore fast schon definiert – nicht nur innerdiegetisch anhand der vollkommenen Selbstverlorenheit der in gleich mehrfacher Hinsicht gesichtslosen Hauptfigur. Durch die ungewöhnliche Perspektive fehlt es zwangsläufig schon einmal stark an Übersicht, während ein „natürliches“ Sichtfeld schon allein deswegen nicht originalgetreu simuliert werden kann, weil der Sichtbereich der Augenwinkel hier unumgänglich ausgespart werden muss. Eine Menge Anfangsprobleme müssen also erst einmal überwunden werden, um sich in dieses durchaus exzentrische Kinoexperiment rein zu finden. Probleme, die für manchen Zuschauer gewiss eine größere Hürde darstellen als für andere, Stichwort Wackelkamera. Das Vorkommen desorientierender Schnitte verschwindet zum Glück recht früh und wertet den Sehkomfort merklich auf.
Wenn das erst einmal errungen ist, kann man langsam anfangen, die sehenswerten, außergewöhnlichen Seiten des Films zu würdigen: Die Kreativität in seiner szenischen Gestaltung, im Umgang mit Raum, Sounddesign und letzten Endes eben doch auch: Perspektive. Allen hausgemachten Problemen zum Trotz ist es einfach enorm einnehmend, wenn Airbags ins Kameragesicht explodieren oder man bei einer minutenlangen Verfolgungsjagd durch eine belebte Innenstadt über mehrere Stationen und mit anschließendem Faustkampf einem vor Rasanz schon mal die Sprache wegbleiben kann.
Dabei strengt der Film sich an, verschiedene Settings mal mehr, mal weniger nahtlos ineinander überfließen zu lassen und verpasst ihnen allesamt exklusive Höhepunkte. Man könnte auch sagen, dass Hardcore eine Variation von Crank darstellt. Denn hier wie dort hetzt der Protagonist von einem selbstzweckhaften Abenteuerwahnsinn zum nächsten, während in ihm ein dramatisch runterzählender Timer sitzt und man weder weiß, was exakt da eigentlich passiert, noch aufrichtiges Interesse an einer Auflösung dieser Unklarheit empfindet. Denn der fehlende Ernst untergräbt auch jede Dramatik – nicht, dass der Film es überhaupt darauf anlegen würde, etwas derartiges entstehen zu lassen.
Mit zunehmender Laufzeit wird Hardcore immer faszinierender, die Perspektive immer vertrauter und fesselnder; weil man sich an den Modus gewöhnt hat und weil es der Film irgendwie anstellt, stets abwechslungsreich zu bleiben, seine Besonderheiten hübsch auszuschmücken und an den richtigen Stellen auftreten zu lassen.
Und dann gibt es manchmal Einfälle, die ganz einfach das Prädikat frech und witzig verdient haben.
Fazit
Hardcore ist letztlich aber genau das, was es vorgibt zu sein: Ein filmgewordener Egoshooter, der immer dann mitnimmt, wenn es Radau gibt. Es ist ein blutrünstiger Trip, schiere Extravaganza – eine Idee, die sich gerade so nicht über die Filmlaufzeit abnutzt, aber auch nicht viel länger hätte dauern dürfen. Für ein wenig geschmacklose Adrenalinzufuhr im Alltag ist der Film durchaus zu empfehlen, für ein paar Momente des Staunens ebenso – Zartbesaiteten ist der Streifen allerdings aller Brüche durch Komik und Skurrilität nicht zu empfehlen.
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