The Rover

David Michôds Animal Kingdom war ein beachtlicher wie berechtigter Überraschungserfolg. Es war überdies sein erster Langfilm. Zwischendurch sammelte er noch etwas Drehbucherfahrung beim skurrilen Kleinstadtchaos-Kaleidoskop Hesher, ehe er sich zum zweiten mal hinter Drehbuch und Kamera setzte, um einen Endzeitfilm im australischen Outback zu drehen.
Und was für einen.

I was a farmer and now I am here.

Story

Australien, 10 Jahre nach dem Zusammenbruch; die Welt ist Hinterland. In der großen Weite aus Staub steht ein Bretterverschlag, in dem Bretterverschlag steht ein bärtiger Mann, dessen Gesicht mit der Welt und ihrem Treiben nichts mehr zu tun haben scheint, er selbst ist Hinterland.
Plötzlich stehlen drei Menschen seinen vor der Tür parkenden Wagen und er nimmt die Verfolgung auf. Auf seinem Weg trifft er Reynolds, einen einfach gestrickten Jungen, der sich als der Bruder eines der Verfolgten herausstellt, welcher zum Sterben zurückgelassen wurde.
Der Verfolger nimmt ihn als Mittel zum Zweck mit auf seine Reise, die das ungewöhnliche Dou ins trockene Herz der Finsternis führt.

Kritik

Wir erinnern uns an Mad Max. Nicht den zweiten oder dritten Teil, sondern den ersten. Jenen Teil, in dem die Postapokalypse nicht durch Selbstbau-Boliden und unterkomplexe Freaks mit Irokesenschnitt definiert wurde, sondern durch ein Setting, das tatsächlich nur ein paar Jahre von der Gegenwart entfernt zu liegen scheint, aber Komfort ebenso vermissen lässt wie Ordnung und Sicherheit einer staatlich geregelten Gesellschaft. Hieran erinnert The Rover zu Beginn. Nicht abgehoben, aber definitiv nach der Sozialordnung, die wir kennen. Jeder ist auf sich gestellt, Vertrauen Luxus und statt manischer Anarchie herrscht bittere Gnadenlosigkeit in einem brachliegenden Land, wo der Mensch isst, was er in die Hände bekommt, den Wert von Leben nicht mehr so recht kennt und wo das Auto – oder irgendein anderer wahllos erwählter Gegenstand – höchstes Gut ist.
Die Parallelen beginnen im weiteren Verlauf undeutlicher zu werden. Die Welt von Mad Max besitzt ein eindeutiges Verständnis von Gut und Böse, Falsch und Schlecht. Moral mag nicht allgegenwärtig und aller Menschen Maxime sein, aber vergessen ist sie keineswegs.
Dies ist ein Punkt, der in The Rover nicht existiert. Das macht den Film schockierend schmerzhaft, wahrhaft erschreckend und beinahe schon ekelhaft. Wenn das Maß von Richtig und Schlecht nicht mehr nur ignoriert wird, sondern wenn es schlichtweg nicht mehr vorhanden ist, scheint plötzlich alles möglich, auch das Undenkbare. Dies führt der wortkarge und ausgesprochen zielgerichtete Protagonist, dessen Namen erst im Abspann offenbart wird, nach gut einer halben Stunde Filmlaufzeit auf scheußliche Weise vor Augen. Der Turn, der den Zuschauer hier erwartet, ist einzigartig in seiner markerschütternden Drastik.
In diesem Land der mürben Gesichter, zusammengekniffen von Leuten, die ob der Umstände und fehlenden Spiegel längst nicht mehr wissen, dass, geschweige denn wie sehr sie ihre Gesichter zusammenkneifen, sind ethische Richtwerte verschluckt. Manch einer hat eine mürbe Erinnerung an Zeit, in der sie noch existent waren, doch es ist die Erinnerung an abgeschlossene Zeit, die mit der Gegenwart nichts mehr zu tun hat. Es gibt kein gemeinsames Wertesystem mehr, sondern nur noch individuelle Prioritäten. Antagonismus entsteht damit auf unkalkulierbare Weise, Rechtschaffenheit und ihr Gegenteil sind nicht mehr denkbar. The Rover formuliert dieses Gedankenspiel mit einer kunstvollen Konsequenz aus, wie es zuvor kaum ein Film gekonnt hat. Während viele Geschichten nihilistisch sind, fehlt es in dieser Endzeitversion gar an Dingen, die sich verneinen lassen.
Die Handlung selbst ist minimalistisch, denn auch die klassische Vorstellung von Abenteuer und dessen Ausmaßen hat keinen Wert mehr. Was regiert ist eine widerwärtige, unerbittliche Kontingenz, die zu Ende bringen wird, was der große Zusammenbruch ein Jahrzehnt zuvor zu beenden begonnen hat: Die Menschheit.
Umwickelt ist das karge Geschehen von einer fest verzahnten Bild-Ton-Ästhetik, die dem Rahmen dieses kaum auszuhaltenden Portraits eine perfide Schönheit verleihen. Die Bilder, die in ihrer Farbgebung, die unterdrücktem Lodern gleicht, tief eindringen und bedrückend schöne Panoramen liefern, werden getragen von manischem Zupfen und kakophonischen Streichern in gedrosseltem Tempo. Überhaupt ist die gesamte Soundkulisse, in der jeder Ton, so unbedeutend er auch sein mag, eine große Schwere in sich trägt, eine Klasse für sich. David Michôds Film ist in seiner Ästhetik ebenso kompromisslos und bis ins Detail stimmig und durchdacht, wie das durch sie Erzählte.
Dass das so gut funktioniert, liegt insbesondere an der Ein-Mann-Show, die Guy Pearce abliefert, der als Monolith von einem Menschen undurchdringlich und –durchschaubar wirkt, zugleich aber nie zur Gänze gleichgültig. Sein Namenloser Jäger ist ein Mann, der das, was er tut, abgrundtief hasst und es dennoch mit gnadenloser Inbrunst ausführt. Sein beschränktes Mitbringsel, auf dessen Gesicht sich ununterbrochen die einfachsten Emotionen in brachialer Größe bekriegen, wird gemimt von Robert Pattinson, der hier endgültig versucht, seinen Twilight-Fluch loszuwerden. Dass ihm das hiermit gelingt, steht außer Zweifel, auch wenn seine Figur in jeder Szene immer einen Deut zu viel mit ihrem verkrampften Gesicht zappelt. Der Rest des Casts ist an einer Hand abzuzählen und gleichsam ausnahmslos großartig.
The Rover ist so grausam und erbarmungslos, wie ein Film nur sein kann. Dabei ist er in seiner Gewaltdarstellung nicht über die Maßen explizit und die Anzahl der Sterbenden ist nicht übermäßig hoch. Es ist das Drumherum, das ihn so unerträglich gestaltet.
Das Ende bringt dann schließlich Schönheit, zumindest eine Art von Schönheit, aber auch noch mehr Wut, Verhärtung und Bitternis. Und es zeigt, wie verheerend Unschuld sich auswirken kann, wenn alles andere nur noch Schuld ist.

Fazit

Zwischen Mad Max, Twin Peaks und dem Kahlschlag der Menschlichkeit erzählt The Rover eine Geschichte, die mit verstörender Einmaligkeit in einer Welt spielt, die zur Gänze von Moral befreit ist. In The Rover ist quasi gar nichts mehr intakt. Es macht keinen Spaß, diesen Film zu schauen – so hinreißend schön er auch ist –, es verursacht Schmerzen. Wenn er am Ende berührt, tritt diese Rührung mit einer qualvollen Erleichterung ein.
In seiner Kompromisslosigkeit, seiner formvollendeten Ausführung, der enorm tiefgreifenden Stimmung und den Figuren, die sämtlich am Rande des Wahnsinns ihren eigenen Untergang unterstreichen, ist der Film aber auch eine der intensivsten, mächtigsten und beachtlichsten Genreproduktionen überhaupt.