Dass die Besten oftmals nicht auch die Wichtigsten ihrer Zeit sind, liegt vielleicht in der Natur von Gut und Schlecht, von Zeitgeist, hässlicher Ungerechtigkeit aufgrund internationaler Unterschiede und Zufall. Alexei Jurjewitsch German jedenfalls ist einer dieser Besten, während bis vor kurzem kein einziger seiner Filme auch nur auf DVD in Deutschland veröffentlicht wurde.
Sein Œuvre erstreckt sich über viereinhalb Jahrzehnte, umfasst aber nicht einmal ganz 6 Filme. „Nicht einmal ganz“, weil der visionäre Russe die Vollendung von Es ist schwer, ein Gott zu sein nicht mehr erleben konnte.
I see. But it feels like I can’t see.
Story
Auf einem fernen Planeten lebt eine Zivilisation in mittelalterlichen Verhältnissen, die den Menschen sehr ähnlich ist. Doch im Vergleich zu ihnen kam nie eine erlösende Epoche im Stile der Renaissance – man lebt immer noch in Feindschaft im Dreck und jeder ist sich ein Wolf. Intellektuelle werden verachtet, gejagt und aufgeknüpft.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern wurde von der Erde entsandt, die Bevölkerung auf diesem Planeten zu observieren, wobei sie jedoch keinesfalls in die Lebenspraktiken eingreifen dürfen. Einer der Erdlinge ist Don Rumata. Er wird von den Ansässigen zweifelnd als Gottessohn akzeptiert und genießt ein entsprechend hohes Ansehen, doch fällt es ihm selbst immer schwerer die barbarischen Zustände zu ertragen und tatenlos hinzunehmen, ohne selbst von ihnen beeinflusst zu werden.
Kritik
Die Adaption von Arkadi und Boris Strugazkis Science-Fiction-Klassiker war so etwas wie Germans Lebenstraum – und darf auf eine Genese zurückblicken, die der Dramatik von Terry Gilliams Kampf um sein fortwährend scheiterndes Don Quixote-Projekt in nichts nachsteht. Nach vielen Jahrzehnten konnte die Erschaffung des Filmes endlich angegangen werden und die Dreharbeiten sollten sich ber 6 Jahre ziehen. Während der nicht minder langen Postproduktionsphase verstarb Aleksej German; er konnte sein eigenes Magnum Opus nicht mehr erleben. Zusammen mit seiner Frau vollendete Germans gleichnamiger Sohn schließlich Es ist schwer, ein Gott zu sein.
Man kann sich nur schwer vorstellen, was für ein enormer Aufwand in diesen 6 Jahren des Drehs betrieben wurde, um dieses Abschiedswerk zu verwirklichen. Minutenlange Takes ohne Pause, voller Bewegung, voller Aktion. Ein Meer und ein Mehr von Details. Und all das unter den widrigsten Umständen.
Das Königreich Arkanar ist ein Land, das in Matsch errichtet wurde, in einer Welt aus Matsch. Regen fällt wie Steine ohne Unterlass auf die Straßen, weicht die Dächer, Böden und Hirne auf. Es ist, als brächten die Wolken den Wahnsinn, als wären sie Urheber dieser Hölle von einer Welt, die zur ewigen Wiederholung, zum ewigen Stillstand im hässlichsten aller Zustände verdammt ist. Wenn es nicht regnet, zieht in plumpen Schwaden ein schwerer Nebel über die fauligen Plätze und verbindet sich mit dem Rauch, der von ebenso plumpen Feuerstellen aufsteigt. Doch er will nicht in den Himmel. Aus irgendeinem Grund verweilt er auf dem Boden und füllt die aufgeweichten Wege Arkanars, ohne das Elend auf ihnen zu verdecken.
Raue und Schwachsinnige jagen sich müde durch den Schlick, jemand prustet Rotz aus einem Nasenloch dann wird einen unbedachte Mann gezwungen, an der Unterseite eines Straßenaborts so lange auszuharren, bis sich ihm dampfende Ausscheidungen ins Gesicht legen. Frauen gibt es keine, auf 30 Männer scheint eine zu kommen. Sie bieten ihren Körper feil, befingern sich den Wanst, in dem eine Leibesfrucht die vollen 9 Monate vermutlich nicht überstehen wird. Hundert Meter weiter ragen Speere in die undurchsichtige Luft und tragen die Kadaver unzähliger armer Seelen auf ihren Spitzen zur Schau. Das Wetter frisst von ihnen. „Die Bienen töten ihre Königin“, sagt ein spindeldürrer, heruntergekommener Bursche und grient in die Kamera, als hätte er jetzt schon die Pointe des Filmes verraten. Es brummt unruhig in einem Korb.
Durch die Geräusche zertrampelten Unrats, das Quieken sadistischer Dummköpfe und dem heiseren Lamentieren eines linkischen Bettlers dringt der Klang schwerer Stiefel. Ein brutaler Bärtiger schiebt sich nach vorne, seine Augen huschen herrisch durch die Gegend, sein Gesicht ist nicht lesbar. Der Hüne spielt Bluesiges auf etwas, das eine Klarinette sein könnte. Geräusche sind laut, stark, nachdrücklich. Die Kreaturen schmieren sich schwarze Bracke ins Gesicht, ihre Physiognomie verschwimmt mit dem widerwärtigen Land. Mensch, Gefühl, der endlose Marsch auf der Stelle, die kahle, zerklüftete Ebene und ihre Geschichte – alles wird eins.
Es ist schwer, ein Gott zu sein ist eine Art Historien-Science-Fiction. Und, nur fürs Protokoll, wer nun an Zeitreiseklamotten á la Die Besucher denkt, möge das doch bitte unterlassen.
Aleksei Germans letzter Film ist viel mehr ein ehrfurchtgebietendes Monument, beinahe selbst ein sterbender Gott, der sich drei Stunden dabei beobachten lässt, wie er sich würgend und schnaufend auf die Seite wälzt.
Es geht in diesem russischen Epos um eine Geschichte. Sie zu verstehen, ist hingegen nicht Voraussetzung, um auch den Film zu verstehen. Aus den unerklärlichen Extrakten des fremdartigen Alltags der Bewohner dieses Landes, die von Mythologie, Gerüchten, Denunziationen und Betrügereien schwafeln, lassen sich nur vage Schlüsse ziehen. Die wilden Einblicke in das unerbittliche Leben auf diesem in der Zeit gefangenen Planeten lassen erkennen, dass viel vorgeht, verwehren dem Zuschauer zugleich aber auch die ständige Antwort auf die gleichsam ständige Frage, was genau denn nun gerade geschehe. Es geht um einen Krieg von Grauen und Schwarzen, die im kristallenen Schwarz-Weiß des Filmes kaum auseinanderzuhalten sind. Es geht um die systematischen Lynchmorde an Intellektuellen, die in der Schar aus darbenden Rohlingen nur schwerlich auszumachen sind. Es geht um die Frage der Moral und die Last der Verantwortung – beides Worte, deren Bedeutungen sich verlieren in einem Strudel aus Herrschsucht und den daraus hervorgehenden Gräuel.
Es ist oftmals schwer zu erkennen, was passiert, im tatsächlichen wie auch im übertragenen Sinne. Die abstoßenden Gepflogenheiten, die verschiedenen Charaktere, die Fremde. Man erkennt alles klar und die zahlreichen Episoden lassen sich weitestgehend problemlos verfolgen; wie sie zusammengehören, das hingegen bleibt oftmals ein Rätsel. Aber auch das schnell gesprochene Russisch und die ebenso schnell passierenden Untertitel machen den Film zu einer Herausforderung auch inhaltlicher Natur. Trotzdem und vor allem deswegen dann kommt ihm von seiner Faszination nichts abhanden, im Gegenteil. Der Sog wird stärker. Und der Ort, zu dem er zieht, ist einer der Andersartigkeit. Man kann den Schmutz riechen, den Dunst spüren, den Rotz schmecken und in dieser Mammutperversion etwas finden. Man muss dem Film, der so viel Schlimmes zeigt, vertrauen, damit er funktionieren kann. Zum Glück ist es leicht, das zu tun und der Geschichte zu verfallen, sich ihr hinzugeben und sich ohne zu fragen durch ihre rückweglosen Irrungen schleppen zu lassen. Es ist schwer, ein Gott zu sein ist zwar genauso anstrengend und gnadenlos fordernd, wie es hier anklingt, mit der gleichen unwiderstehlichen Kraft aber auch verlockend und verführerisch, faszinierend in seiner Atemlosigkeit.
Denn die Geschichte wird in einer deliriumartigen Logik eines fabelhaften Albtraums erzählt, der genauso fesselnd wie abstoßend ist.
Die fehlenden Farben machen die Bilder nicht trostloser als sie sind, sie machen sie klar und präzise. Und Bilder sind es wahrhaftig, in denen Es ist schwer, ein Gott zu sein erzählt wird, mächtige Gemälde formte Kameramann Yuri Klimenko in der wüsten Szenerie. Und es wird sich gehütet diese kinetischen Kraftakte durch unnötige Schnitte zu ruinieren. Der Film funktioniert in langen, bisweilen ausufernden Plansequenzen, in denen die Kamera durch die Pfade und Felder des sinisteren Königreichs irrlichtert, überall das Gleiche findet und nicht genug davon bekommt. Mit energischer Begeisterung umschleicht sie die großen kleinen Tragödien, die sich auf dem Weg des mürrischen Wissenschaftlers ereignen, wendet den Blick nicht ab und zeigt alles. Es ist die entfesselte Magie der Bilder, die diese Mammut-Dystopie nicht nur ihre vorschlaghammerartige Wirkung, sondern auch die hypnotisierende Intensität verleiht. Es sind Bilder großer, glutofenheißer Kühle und Grausamkeit, ohne die Scheu vor Provokation, aber auch ohne den plumpen Wunsch, provozieren zu wollen.
Dabei ist das mürbe Spektakel der Spielorte keineswegs nur schlimm, es gibt auch erhabene, gar komische Augenblicke, die die Wolkendecke für einen kurzen Augenblick aufreißen lassen. Szenen der Menschlichkeit, die viel kräftiger wirken als jeder Akt müheloser Bösartigkeit und dem Film seinen letzten Schliff verleihen.
Fazit
Aleksei German hinterließ seinen ganz eigenen Essay darüber, was es bedeutet, Mensch zu sein; eine Oper des Ausuferns und Austrocknens, des Zerfalls und der Konzentration von Fragen, die keine Antworten bekommen. Was hier vorliegt, ist eine morastige Wucht von einem Film, der mahlt und mörsert, um zu zeigen, dass sich Dinge bis in die Unendlichkeit zerkleinern lassen. Und doch strahlt er etwas Essentielles aus, atmet eine Art von Filmmagie aus den perfekten Bildern, den atemberaubenden Einstellungen, der unfassbaren Ambition, der man sich nur schwer entziehen kann. Es ist schwer, ein Gott zu sein zieht einen tief in sich hinein und hinterlässt die Gewissheit, etwas Einmaligem beizuwohnen.
Trotz dessen kann sich Es ist schwer, ein Gott zu sein als Geduldsprobe herausstellen, die so zäh ist wie die Gesellschaft, die sie illustriert. Die vom Film entfesselte Kraft ist eine, die nur allzu schnell verpuffen kann, wenn sich herausstellt, dass jede Anstrengung in der fatalistischen Tretmühle aus Elend und Grausamkeit umsonst ist.