Parasiten-Mörder

Psychische Deformationen, repräsentiert durch körperliche Deformationen. David Cronenberg, der ‚Baron of Blood‘, wie er zu seiner frühen Schaffenszeit von einigen mehr oder weniger freundlich gesonnenen Kritikern betitelt wurde, hat in genau eben dieser ein Untergenre nicht bloß geschaffen, sondern gleichzeitig auch seine besten Vertreter hervorgebracht.
Lange vor seinen bekannten Sci-Fi-Kultwerken wie Scanners – Ihre Gedanken können töten, Videodrome und seinem Die Fliege-Remake, kam Parasiten-Mörder aka Shivers.

It’s crazy. But who cares?

Story

Eigentlich meinten die idealistischen Wissenschaftler auf ihrem abgeschotteten Eiland es nur gut, als sie anfingen, Parasiten zu züchten, die anstatt dem Wirt zu schaden, seine defekten Organe ersetzen und eine symbiotische Beziehung mit ihm eingehen sollten. Doch bei der Versuchsperson scheint es Komplikationen zu geben, die sich in besonders abnormem und immer mehr auf die Triebe reduziertem Verhalten äußern. Der Parasit will sich vermehren und immer mehr Menschen befallen. Jede schadensbegrenzende Maßnahme ist hoffnungslos.
In einem luxuriösen Wohnkomplex auf der Insel häufen sich die Seltsamkeiten. Auch Nicholas Tudor verhält sich merkwürdig, während er immer kranker wird. Seine Freu sieht keinen anderen Ausweg, als hinter seinem Rücken den  Arzt Roger St Luc zu konsultieren.
Dieser kommt der Sache zwar langsam auf die Schliche, ist angesichts des Ausmaßes und der Unaufhaltsamkeit der Bedrohung aber ebenfalls hilflos.

Kritik

Alles beginnt gut. Beinahe jedenfalls. Ein paar halbwegs beschauliche Impressionen eines Ferienortes, eine warme Stimme zählt die Vorzüge der Lokalität auf. Ein Paradies für die Geschafften, Überarbeiteten, von der Gegenwart Erdrückten.
Ein Start, der nur von der Musik verraten wird, die zwar einladend und sanft klingt, aber einen unverkennbar trügerischen, prophezeienden Unterton hat. Die Idylle bröckelt. Schon der Anfang atmet eine schräg-beunruhigende Atmosphäre.
Der direkt anschließende Mord eines archetypischen Akademikers an einer schmächtigen Frau bestätigt den Verdacht. Im hochmodernen Appartement-Komplex außerhalb von Montreal liegt etwas gewaltig im Argen.
Besagte Szene wäre hochgradig schockierend, stünde sie alleine da. Doch immer wieder wird sie unterbrochen von einem höchst kuriosen Check-In einer Familie. Die kontrastierende Ironie schwächt kaum die Wirkung der gezeigten Greuel, aber gibt dem Gesamten eine stark schwarzhumorige Note, die den Zuschauer regelmäßig auflachen und sich entspannen lässt. Immer mal wieder flutschen skurrile Abschnitte vollkommen reibungslos in reinrassige Horrorperspektiven, was schlicht wunderbar gelingt.
Und damit wäre der Film eigentlich hinreichend auf den Punkt gebracht. Sonderbar, eigentümlich witzig und nicht ganz ohne.
Das Komische gibt es auf mehreren Ebenen, die sich allesamt auf die absurden Auswüchse gesellschaftlicher Konventionen beziehen. Für die Handlung selbst völlig irrelevante Gesprächsfetzen über Gurken und die richtige Technik, um Rosen zu schneiden, dringen  von nebenan durch. Beiläufig finden so abgedrehte wie größenwahnsinnige wissenschaftliche Theorien Erwähnung und an anderer Stelle ist eine Dame mit grotesk hässlichem Schirm, den sie trotz der Abstinenz von Sonne oder Regen aufgespannt hat, blind für die Welt, so sehr klammert sie sich an ihren Schutz. Das Amüsante liegt aber nicht nur platt auf der Oberfläche, sondern findet sich auch im Subtilen. Auf so manchen Witz stößt man nur dann, weil andere Zuschauer begeistert kichern.
Zeitlich perfekt abgestimmt, lockert der Humor das Grauen auf und führt es gleichermaßen vor. Seine Wirkung bleibt dennoch erhalten, weil Cronenberg schon damals die filmischen Werkzeuge meisterhaft einzusetzen wusste. Obwohl es lange dauert,  bis es zur tatsächlichen Eskalation kommt, ist die Spannung permanent am Hochpunkt. Jedes Bild ist schwanger mit düsterer Vorahnung und Befürchtung. Cronenberg weiß einfach, wie lange und vor allem auf was die Kamera gehalten werden muss. Eine einfache und ebenso seltene Gabe. Die Bildästhetik seines frühen Schaffens ist einmalig und die Soundauswahl zwar konventionell, aber sehr durchdacht. Wenn das markerschütternde Dröhnen, Surren und Streichergekreische sich biestig über die Bilder legt, kann kein Gag der Welt verhindern, dass Parasiten-Mörder gnadenlos ernst ist, wenn er es denn möchte. Sogar die an sich ruhigen Flöten strahlen Unheil aus. Auch die sparsam eingesetzten Effekte, die nach wie vor vorzüglich aussehen, leisten ihren Beitrag. Die parasitären Schleimklumpen sind ein wahrlich widerwärtiges Gewürm.
Dass man Zeuge der Anfangszeit des Body-Horror ist, wird zu jeder Zeit deutlich. Körper werden geöffnet und mit Säure aufgefüllt und Brechstangen werden zum Brechen benutzt. Hier ist auch die eine ‚skandalöse‘ Szene zu finden, die Piranha 3DD kopierte und direkt im Trailer verbriet. Dennoch wird die Gewalt nie gefeiert oder plakativ um die Leinwand gewickelt. Der passende Winkel, die richtige Geschwindigkeit und Neigung der Kamera und gute Schnitte verbergen den eigentlichen Brennpunkt fast immer und überlassen es der Fantasie des Zuschauers, sich die hässlichen Details auszumalen.
Dass die ganze Handlung in kleinstem Raum stattfindet, verschärft die Stimmung. Dabei wird zwar ein ganz typisches Slasher-Gerüst umbaut, doch fühlt sich der Film in keiner Sekunde wie ein solcher an. Dafür haben die starken Figuren einfach viel zu viel Substanz. Jeder des Ensembles ist gleichwertig in seiner Relevanz. Trotzdem, zumindest dem Gefühl nach, gibt es eigentlich keine wirklichen Helden, sondern nur Betroffene.
Das ganze wunderbar funktionierende Geflecht aus Charakterarbeit, Humor und Grauen fordert für sein Gelingen allerdings ein paar mittelgroße Opfer von der Logik. Das Verhalten einiger Figuren ist zwangsläufig weniger nachvollziehbar, damit die Geschichte so verläuft, wie sie es tun muss, und weshalb niemand schon früh im Film auf die Idee kommt, einfach mal Hilfe zu holen, ist eines der großen ungelösten Rätsel. Stimmung geht eindeutig über Plausibilität. Aber das funktioniert auch ganz ausgezeichnet bis zum ruhelosen Ende, wenn sich Parasiten-Mörder immer deutlicher zu einer Zombiefilm-Version verwandelt, als wäre der Film selbst in seinem eigenen Fortgang an einer Infektion erkrankt.

Bei alledem sollte nie vergessen werden, dass Cronenbergs häufig zelebrierte Dekonstruktion des Leibes eine Metapher für die Schizophrenie einer ganzen Gesellschaft ist, die bei all der zivilisatorischen Scharlatanerie zwanghaft vergessen muss, dass hinter ihrem mehrschichtigen Schminkmassiv und unter dem Öl der Großstadtfloskeln ganz erbarmungswürdig einfache Triebe liegen. Wie belastend diese Unterdrückung auf lange Hinsicht sein kann, das zeigen Cronenbergs frühe Filme. Die Sehnsucht nach dem betörend Unverfälschten, für die wir uns schämen und bestrafen. Deswegen verschwendet auch niemand einen Gedanken daran, ein Gegenmittel zu entwickeln. Der Parasit lässt sich nur zusammen mit dem Wirt ausmerzen, das verrät schon die erste richtige Szene des Filmes. Übrig bleibt nur die Flucht und auch sie ist vergebens.
Am Ende versucht der ganze Apparat modernen Scheins sich aufzulehnen und kann dabei nur scheitern.

Fazit

Bittersüße Abrechnung mit der modernen Gesellschaft eines noch jungen Genies, der mit 32 ein kleines Meisterwerk schuf. Filmisch ausgereift, mit individueller Bildsprache und der perfekten Mischung zwischen Humor und Horror, ohne dass die beiden Gegenteile sich die Show stehlen.
Ein großer Sci-Fi-Film mit Effekten, die vom Alter völlig verschont geblieben sind.