Fantasy Filmfest Special: The Tall Man

Fantasy Filmfest Special 3

Als 2008 der Horrorfilm Martyrs in die Kinos (außerhalb Deutschlands) drang, wurde so mancher eines Besseren belehrt, der dachte, das französische Genrekino wäre in Sachen Härte und Schonungslosigkeit endgültig nicht mehr zu steigern.
Der Erfolg schwemmte Regisseur und Drehbuchautor Pascal Laugier in die USA, wo sein nächster Film The Tall Man mit bekannteren Schauspielern, weniger Ekel, aber ähnlichem Prinzip unter Beweis stellen soll, dass der Überraschungserfolg von Martyrs keine Einmaligkeit gewesen ist.


But that feeling didn’t last long.

Story

Das Bergarbeiter-Kaff Cold Rock ist nah dran, eine Geisterstadt zu werden. Die Minen sind geschlossen, Arbeit ist rar und die Stimmung ist am Boden. Diese Probleme wirken aber vergleichsweise nichtig im Schatten der Geschehnisse, die sich seit Jahren in der Stadt abspielen.
Es verschwinden Kinder. Und das oft, absolut spurlos und auf ausgesprochen unheimliche Art und Weise. Eine großgewachsene, vermummte Gestalt mit Hut wird für den Missstand verantwortlich gemacht und in Cold Rock mit Flüsterstimme und unter vorgehaltener Hand nur ehrfürchtig „Tall Man“ genannt. Eine neue, kinderraubende Legende ist geboren.
Als der gefürchtete Entführer plötzlich im Haus von Krankenschwester Julia steht und den kleinen David quasi vor ihren Augen aus dem Bettchen raubt, nimmt sie die Verfolgung auf.

Kritik

Es scheint eine Masche von Monsieur Laugier zu sein, dass er zu Beginn seiner Filme so tut, als handele es sich um durch und durch typische Genrekost. Startete Martyrs einst ganz klassisch mit zwei durchschnittlichen Mädels in einem bedrohlichen Haus, so beginnt The Tall Man wie ein archetypisches Gruselfilmchen mit einer furchtbar mittelmäßigen Sagengestalt als Unhold, die sich ohne aufzufallen zwischen dem Schwarzen Mann, der Zahnfee und dem Klabautermann einreihen könnte.
Doch natürlich ist dann alles anders und nach dem anfänglichen, recht souverän aufgebauten Täuschungsmanöver überholen die unerwarteten Wendungen einander beinahe mit ihrem hohen Tempo.
Und genau hier liegt auch das Problem des Filmes. So gerissen The Tall Man auch tut, so schlecht durchdacht und inkonsequent fallen die mit viel Freude inszenierten Plot twists aus. Ein paar der Enthüllungen können für den ersten Moment durchaus die gewünschte Verwunderung beim Zuschauer erwirken, fallen meistens aber beschämt in sich zusammen, sobald man etwas eingehender über sie nachdenkt. Vor allem die beiden großen Trümpfe, die The Tall Man in seinem Ärmel wähnt, können selbst einer oberflächlichen Inspektion nicht standhalten. Selbiges trifft eigentlich auch auf die Ausgangssituation zu, die so verzwickt und unlösbar, wie sie in der Einführung dargestellt wird, eigentlich gar nicht ist.
Zum Glück verlässt sich der Film zwar sehr, aber nicht ausschließlich auf seine vermeintlichen Aha-Momente, sodass auch ohne sie immer noch ausreichend Substanz übrig bleibt, um einen halbwegs brauchbaren Film zu ergeben.
Sein Handwerk versteht der umstrittene Franzose nämlich ganz ohne Frage. Der Film hat ein Gespür für Timing, setzt seine Schockmomente halbwegs gut dosiert und ist professionell ausgeleuchtet. Auch die Schauspieler geben ihr Bestes, sind aber natürlich Gefangene des Drehbuchs. Jessica Biel, die dem Film ihr Gesicht verleiht, erzeugt mit ihrem seltsam unterkühlten Spiel ein paar nette Momente, wirkt an anderen Stellen aber ein wenig blass.

Fazit

Kein zweites Martyrs, sondern ein prätentiöser Einfallspinsel von einem Film, dessen viele Twists nur selten aufgehen. Ausgerechnet das Ende enthüllt Pascal Laugiers Drittwerk als schlecht durchdachtes Etwas, das dem eigenen Ehrgeiz kaum gerecht wird.
Dass der Film trotzdem nie in die wenig vergnüglichen Regionen eines M. Night Shyamalan stolpert und wenigstens bei der ersten Sichtung anständig unterhält, ist dem Können des Regisseurs auf formaler Ebene zu verdanken.