Slum-Polis

15. Japan-Filmfest Special 3

Frischer, unbefangener Esprit eines Teams von Grünschnäbeln, große Inspiration durch ein ebenso großes Vorbild, Gespür fürs Essenzielle, ein glückliches Händchen für Locations und das glücklichste für Ästhetik. Mehr braucht es nicht.

Kalt!

Story

Ein gewaltiges Erdbeben zerstörte im Jahre 2018 das bekannte Gesicht Japans. Während die Schäden in den urbanen Zentren mit der Zeit behoben wurden, herrscht in den Randgebieten immer noch das Chaos. Ein solcher Bezirk ist Slum-Polis, wo das Gesetz das Feld freiwillig rivalisierenden Gangs überlassen hat, die das Leben in den Trümmern mit Prostitution und Drogenhandel bestimmen.
Als die beiden Freunde Asu und Joe eine zentrale Figur des Rauschgifthandels töten und sich seine Ware unter den Nagel reißen, eröffnen sich ihnen verheißungsvolle Perspektiven, während sie gleichzeitig auf der Abschussliste der großen Gangs landen.
Verkompliziert wird die Situation durch die mittellose Künstlerin Anna. Anfängliche Streitpunkte verlieren rasch an Bedeutung. Die zarte freundschaftiche Dreiecksbeziehung gewährt den Dreien einen Augenblick des Friedens. Man malt, schießt auf Büchsen und klimpert auf dem Keyboard, stets in der Gewissheit, dass der Frieden nicht von Dauer sein kann.

Kritik

Wird bei Menschen gemeinhin der erste Eindruck als der Wichtigste erachtet, liegt es bei Kunst anders. Entscheidend ist, was man mit hinausnimmt, wie sie nachhallt, sich entwickelt und im besten Falle erst dann so richtig wächst, wenn sie von sich allein gelassen wurde, immer wieder bereichert durch die Arbeit des Rezipienten.
Daher stellt diese Rezension Slum-Polis gleich zu Beginn als eine unverkennbare Nachahmung vor. Die Art der Inszenierung, die Zusammensetzung der Diegese, die Betrachtungsweise der Figuren, dr Verlauf und die Gangart der Geschichte; das Grundgefühl des Filmes bis hinein in einzelne Szenenbilder und -verläufe ist übernommen von Shunji Iwais großem Meisterwerk Yentown – Swallowtail Butterfly.
Und nun zu den wichtigen Aspekten, die es verdienen, in Form des finalen Eindrucks erinnert zu werden.
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Slum-Polis, und das ist das Verblüffendste, ist ein Uni-Abschlussfilm. Aber auch das ist eigentlich sofort zu vergessen und wird auch ab der ersten Szene vergessen. Denn Slum-Polis ist außerdem ein perfektionistisches Kleinord, das in sämtlichen formalen Aspekten brilliert.
Die Geschichte entrollt sich wie von alleine aus der erdrückenden Atmosphäre, die unter dem allgegenwärtigen Elend der Menschen, die ihr Heil in Selbstaufgabe suchen, ständig Lebenswillen und ungebremst eurphorische, im besten Sinne romantische Energie grollen lässt. Der Kamera gelingt es, den verheerten Landstrichen der Fukushima-Katastrophe eine urtümliche und bewegende Friedfertigkeit abzugewinnen. Die ungezwungene, sehr aufmerksame Kameraarbeit und die bestechend stimmige Mise en Scène kreieren freche wie sanftmütige Eindrücke. Hand in Hand mit dem visuellen Ästhetikbewusstsein geht das Gespür für den richtigen Ton. Immer wieder präsentiert der Film Collagen der Entwicklung oder stimmungsgebende Impressionen aus dem Alltag der drei Protagonisten, zu denen der herausragende Score gespielt wird. So gut das durchweg funktioniert, merkt man an diesem Punkt doch am deutlichsten, dass es sich um das Erstlingswerk eines sehr jungen Regisseurs handelt, denn der manipulierende Einsatz von Musik findet entschieden zu oft statt, sodass man schon früh auf den Gedanken käme, dass sich die Erzählung viel zu sehr auf diesen Aspekt verlassen würde, wenn diese Sequenzen nicht jedes Mal trotzdem direkt ins Herz gingen.
Neben dem inflationären Musikeinsatz findet sich ein zweiter klassischer Anängerfehler: Die Geschichte verpasst ihr eigenes Ende. Der richtige Augenblick, einen pointierten Schluss der Geschichte zu finden, wenn sie sich in voller Blüte befindet, wird von Slum-Polis verpasst. Stattdessen läuft der Film noch eine gute halbe Stunde weiter. Wie schon beim Musikeinsatz ist das eigentlich zu verschmerzen, weil alle Eigenarten, die dem Film seine Großartigkeit geben, natürlich beibehalten werden, doch erleidet gerade ein eigentlich ausgezeichnetes Werk durch solche Unstimmigkeiten merklich schaden. Gen Ende wird die emotionale Schraube ein paar mal zu weit
gedreht, obwohl eigentlich schon alles erreicht ist.

Es beginnt rhythmisch, treibend, pulsierend in einem Club. Körper flackern und beben. Das ‚Slum‘ in Slum-Polis ist ebenso zu erkennen wie das ‚Polis‘. Unsere beiden Protagonisten töten aus Habgier einen Mann und rennen davon. Wie talentiert Newcomer Ken Ninomiya ist, lässt sich schon daran ablesen, dass er es trotzdem schafft, die beiden Mörder binnen Minuten als liebenswerte Wesen einzuführen, die vor Sehnsucht bersten und Taten wie Umfeld zum Trotz viel Schönes in sich verwahren. Neben den veredelten Bildern ist es die bemerkenswert geschickte Schauspielführung, die dazu führt, dass dieser dystopisch-trostlose Film allem voran ein eine erbende Erzählung über das Wunder der Freundschaft geworden ist. Über die Suche nach Glück, Erfüllung und auch ein wenig nach sich selbst. Vor allem das außergewöhnliche, herzerwärmende Minenspiel von Asu öffnet ein direktes Tor in die emotionale Welt der Männer. Denn natürlich ist Slum-Polis vor allem ein Stimmungsbild der Sinnsuche einer orientierungslosen Generation, die mit Sehnsüchten aufwächst, die zu erfüllen ihre Zeit nicht in der Lage ist. Es ist ein Fim über Kompensation und Genügsamkeit, ebenso wie über Eskalation, Verzweiflung und Liebe.

Wäre Yentown – Swallowtail Butterfly einfach in seinem ersten Drittel hängengeblieben, dann wäre es vielleicht Slum-Polis geworden. Doch ist der Film viel zu tief, viel zu ehrlich und vor allem viel zu bezaubernd, um ihm mit gutem Gefühl als Plagiat zu bezeichnen. Hommage wäre wohl das passendere Prädikat – und einen einzigartigen und eigentlich unnachahmlichen Film wie Yentown mit einer derart versierten Überzeugung zu ehren, ist schon eine Leistung für sich, die kaum genug gewürdigt werden kann.

Fazit

Slum-Polis mag auf dem Papier eine Gangsterballade in dystopischer Umwelt sein. Als direkte Erfahrung ist es jedoch ein kleines Meisterwerk mit viel Liebe. Vor allem die Liebe fürs Kino selbst. Dass ein Debütant mit einem solchen Maß an Stilsicherheit zu Werke geht, lässt ihn zum vielleicht größten Hoffnungsträger des Gegenwartskinos werden