Synchronicity

The Signal war 2007 inmitten der unüberschaubaren Zombiewelle ein Ausreißer mit ungewöhnlicher Dramaturgie, ungewöhnlichen Figuren und nicht zuletzt auch ungewöhnlichem Humor. Nach ausgiebigen Komplettausflügen in die My Super Psycho Sweet 16-Reihe, eine Slasher-Trilogie aus dem Hause MTV, durfte man 2015 wieder ein komplettes Autorenwerk von Jacob Gentry erfahren: Synchronicity

You taste like ash.

Story

Jim Beale ist ein so besessener wie genialer Eierkopf, der dank der Finanzierung des dubiosen Unternehmers Klaus Meisners den Bau seiner Zeitmaschine abschließen konnte. Der erste Testdurchlauf läuft war nicht völlig vorfallfrei ab, weist aber trotzdem Anzeichen von Erfolg auf. Doch dann fällt der der zwielichtige Sponsor Beale und seinem Team in den Rücken – und dem Wissenschaftler bleibt nur, sich selbst in die Maschine zu begeben, um die vorgegebene Spanne von 5 Tagen zurückzureisen. Dort beziehungsweise dann trifft er nicht nur die mysteriöse Frau Abby, die irgendwie mit Klaus Meisner verbunden scheint, sondern schnell auch sich selbst und seine Kollegen.

Kritk

Zeitreisefilme sind in den letzten Jahren geradezu in Mode geraten – sie sind meist günstig und mit kleinem Personal umzusetzen und können rein auf der Behauptungsebene eine komplexe, spannende, stark verworrene Welten entfalten. Ihr Vorteil liegt auf der Hand: In einem stark eingeschränkten Setting, das jedoch überdurchschnittlich viel Tiefenpotenzial aufweist, kann dank vieler impliziter Regeln und spannender Ausgangssituation schnell eine Situation entworfen werden, in der fast alles möglich und absolut alles verdächtigt wird, die zum detektivischen Beobachten, Mitdenken und Theoretisieren einlädt.
Und auch narrativ ist es ein dankbares Feld – während die Zeit sich verändert, bleiben Räume und Figuren zwar auch, aber je nach Zeit(strahl) wandeln auch sie sich. Fix- und Orientierungspunkte werden zunehmend unsicherer, Grenzen von Erzählung weiten sich.
Eine Bühne mit vorgegebenen Rahmen lässt manchmal kreativer sein als ein großes Feld, auf dem alles möglich ist und aufgrund des Aufwands jeder Mut sofort die Gefahr der Ablehnung bedeutet. Trotz unendlicher Möglichkeiten der Story sind die meisten Science-Fiction- und Fantasy-Filme zahm und ordinär. In dem fast schon kammerspielartigen Rahmen eines kleinen Zeitreisefilmes aber erblühten schon die verschiedensten Abenteuer. Sei es ein Taschenformat-Krimi wie in Time Lapse, ein kleinerer Thriller wie Predestination ein etwas größerer Thriller wie Looper oder Komödien mit klassischer Struktur, wie sie Zurück in die Zukunft quasi vorgegeben hat.
Doch nun zu Synchronicity – denn das hier genutzte Genre (oder vielleicht besser: Strömung) ist der Film Noir. In Bildern, die an das Beste des Frühneunzigerkinos erinnern, lässt Gentrys Film sanft die Zeichen der Schwarzen Serie vorübertreiben. Der wahre Orientierungspunkt ist hierbei natürlich nicht der ursprüngliche Film Noir, sondern die Ästhetik eines Blade Runner. Selbst die Räumlichkeiten des Labors sind nicht vor nebelartigem Dampf befreit, der über den oden hin zur Decke wabert. Die Stadt wird ausgeleuchtet in einem trübem neon-bunt und ein permanenter Regen fällt auf sie nieder. Der Film deutet diese Ästhetik nicht an, er atmet sie. Und das trotzdem nicht aufdringlich plump, sondern erstaunlich stilbewusst und in bestmöglicher Kombination. Auch die Motivbausteine des Film Noir sind vertreten – die Dahlie, das Appartement,  die Bar, der kapitalistische Gauner, die ausufernden Gespräche im Fokus, undurchsichtige Rätsel, eine Femme fatale par excellence, selbst ein Chiaroscuro-Wandventilator und natürlich der heruntergekommene Ermittler wider Willen, gegen den sich das gesamte Umfeld verschworen zu haben scheint und der das undurchdringliche Dickicht mysteriöser Unstimmigkeiten um sich herum kaum aus eigener Kraft überschauen kann. Und am Ende eine Auflösung, bei der nicht ganz klar, ob sie ein Auflösung ist – bei der noch einige Bausteine fehlen, um sich ganz sicher sein zu können. Auch das ist Film Noir: Das Geheimnis ist stärker als die Wahrheit.
Möglich sind am Ende mehrere Dinge, welche davon nun wirklich stattfinden, darüber schweigt die Geschichte. Darüber nachzudenken, einzelne Theorien auf Plausibilität abzuklopfen und sie bei einer weiteren Sichtung auf Dichte zu überprüfen, das macht auch bei diesem Zeitreisefilm den Reiz aus. Bloß ist es hier eben nicht nur das, sondern eben auch das glaubhafte Noir-Blut, das durch den Film gepumpt wird und ihn zu einem ganz eigenen Leben erweckt und sehr besonders macht.
Dass aber auch dieser Zeitreisefilm kommt nicht mit intakter Logik davonkommt und sogar ziemlich offensichtliche Ungereimtheiten aufweist, die ebenso hätten vermieden können, lassen die Geschichte unsauber durchdachter wirken, als sie es tatsächlich ist. Denn auf der anderen Seite glänzt Synchronicity durch den geschickten Einsatz von Auslassungen und Pointen, sodass auch zwangsläufige Wiederholungen nicht langweilen, sondern immer wieder Neues eröffnen – nicht bloß dank wechselnden Perspektiven, wie es sonst der Fall ist.

Fazit

Es ist gar nicht so einfach, Synchronicity zu bewerten. Ästhetisch – und hier scheiden sich durchaus die Geister – ist der Film ein gelungener Wurf. Die Art und Durchführung der Geschichte ist durchaus speziell, ist aber auch absichtlich – und manch einer mag bemängeln unnötig – konfus erzählt. Spannend und interessant ist dieser Film aber ohne Zweifel – und ein weiterer Beweis dafür, dass Zeitreisefilme sich noch lange nicht totgelaufen haben.

Frequencies

Wem Popcorn und Inbetweeners nichts sagt, gehört zum absolut größten Teil der Menschheit. Drum lässt sich sagen, dass Frequencies der erste richtig große Wurf von Regisseur und Autor Darren Paul Fisher ist. Und dieser erfolgt in eine durchaus abenteuerliche Richtung.

Tell me the process.

Story

Alle Menschen haben eine eigene Frequenz, die angibt, wie gut oder schlecht man im Leben zurechtkommt. Ist eine Frequenz besonders hoch, ist es auch die natürliche Lebenskompetenz des Menschen. Mit ihr aber sinkt auch die Fähigkeit zu Emotionen.
Marie hat die höchste bekannte Frequenz, Zak die niedrigste. Demzufolge ist sie emotionslos wie ein Stein, er hingegen voller Affekte. Wenn sich beide in kurzer Distanz zueinander befinden, rebelliert die Physik. Kleinere Beben lassen die Erde vor Spannung erzittern, Naturgewalten stauen sich auf – das Universum ist bemüht, dieses Aufeinandertreffen gegensätzlicher Pole irgendwie zu verhindern.
Trotzdem verliebt sich Zak und Marie – oder vielleicht auch gerade deswegen. Und da er zwar nicht so gut in der Welt zurechtkommt, nichtsdestotrotz aber ein ausgesprochen helles Köpfchen ist, versucht er, den Naturgesetzen ein Schnippchen zu schlagen.
Doch ganz so einfach ist das nicht – etwas, das allem voran auf die Geschichte und die handelnden Personen zutrifft, wie sich nach und nach hervortut

Kritik

Der Zuschauer ist hineingeworfen in eine Parallelwelt, in der eigentümliche Gesetzmäßigkeiten das Sein bestimmen, ohne dass diese in Form einer irgendwie gearteten Einleitung vorgestellt werden. Erst nach und nach gräbt man sich durch diesen Steinbruch, erkennt langsam, was normal und was auch für diese Welt nicht die Regel ist. Dabei stößt man manchmal auf Wundersames, beizeiten sogar auf Wunderbares und häufig auf Wunderliches.
Die Welt hat einen sonderbaren Zauber, wirkt wie ein modernes Märchen, ist dabei aber nie anbiedernd, sondern mit schöner Selbstverständlichkeit absonderlich, durchgängig verschroben, ohne es aber so weit zu treiben, dass etwas albern oder unerträglich aufgesetzt wirkt. Und sie ist auf eine mulmige Weise unheimlich, weil man oft nicht weiß, ob das, was passiert, im Rahmen dieser ungewöhnlichen Welt normal ist oder nicht.
Was Frequiencies auf den ersten Blick interessant macht, ist seine multiperspektivische Erzählstruktur. Wie sich Zak und Marie über die Jahre ihres ersten Lebensdrittels hindurch ein paar wenige Male für die Dauer von einer kritischen Minute begegnen, wird nach und nach aus den Blickwinkeln einer anderen Figur gezeigt. Wie bei Zeitreisegeschichten á la Predestination lebt der Film davon, dass der Betrachtungswinkel des Zuschauers immer ein Stückchen erweitert wird, Situationen plötzlich doppelte Böden offenbaren und man den Konturen eines größeren Planes nach und nach dabei zuschaut, zum Vorschein zu treten.
Gerade hier schummelt Frequencies aber ein wenig, denn die entscheidenden Szenen sind immer wieder leicht verändert, um das Schauen interessant bleiben zu lassen und dem Zuschauer vorzugaukeln, er würde Neues im Alten sehen, obwohl er tatsächlich doch nur Neues sieht, das tut, als wäre es zuvor bereits dagewesen. Wer will, kann sich dies aber schönreden, indem er es auf die Fokalisierung des Films schiebt, die eben nicht aus dem direkten Umfeld, sondern der Wahrnehmung des Charakters besteht. Auch lässt sich das Ende mit ein wenig erzwungener Mühe dafür instrumentalisieren lassen, diesen Umstand zu rechtfertigen. Aber man würde es dem Film zu leicht machen, auf Zwang eine Erklärung dafür zu suchen, dass er den Zuschauer bewusst hinters Licht führt – dabei hätte er es gar nicht nötig, ein solch falsches Spiel zu spielen.
Dennoch: Diese Doppelbödigkeit ist es, die Frequencies von ähnlichen Parabel-Filmen abhebt. Es geht nicht allein um die platte Botschaft, dass bestimmte Dinge falsch laufen und andere falsch betrachtet werden, um damit einen allen vertrauten Wert zu vermitteln. Im Zentrum stehen tatsächlich die Figuren, die mehr sind als nur schlaffe Transportmittel für eine konsensuale Message. Denn sie treiben ihr ganz eigenes Spiel treiben, und sind immer wieder für ein kleines Staunen gut. Dass der Film es schafft, den Zuschauer diesen grundsätzlich sympathischen Figuren nach einer Weile mit einem gewissen Misstrauen gegenüberzutreten zu lassen, ist eine Leistung, die es zu würdigen gilt; zudem dies zwangsläufig auch bedeutet, dass diesem oberflächlich leichtfüßig inszeniertem Film nach einer Weile nicht mehr abgenommen wird, dass alles so ist, wie es scheint. Auch, aber nicht nur aufgrund der oben erwähnten Tatsache, dass hier betrogen wird.
Gewöhnungssache ist, dass all das wie ein mühselig zusammengefilmtes Theaterstück wirkt. Die ganze Leier von der Parallelwelt ist nur unschwer als Parabel zu erkennen und dementsprechend grobschlächtig führen hier die Leute auch ihre Gespräche, die manchmal zu unnatürlich, manchmal zu stereotyp daherkommen und beizeiten beides vereinen. Da ist es fast schon zuträglich, dass die Kamera den Theatereindruck unterstreicht, indem es die Schauspieler so ins Bild setzt, dass es tatsächlich so wirkt, als stünden sie auf einer Bühne. So fügen sich die teils arg artifiziellen Dialoge besser ins Gesamtbild und richten am Ende weniger Schaden an, als es eigentlich der Fall wäre.
Was ganz abseits davon nahegeht, sind die angedeuteten familiären Verhältnisse, in denen Marie aufwuchs und die sie zurückließ. Was das Leben eines Kindes bewirkt, wenn dieses ähnlich emotional ist wie eine Maschine und somit auch das nahe Umfeld bis hin zu den Eltern mit purem Kalkül abschätzt, zeigt der Film nicht direkt, lässt es jedoch erahnen. In den traurigen Blicken von Mutter und Vater, ihrer hektischen Mimik, der Hilflosigkeit, mit der sie immer schon ihrer Tochter gegenüberstanden. Was bleibt, ist nur die Flucht vor der eigenen Ohnmacht hinein in leere Gesten wie eingespielter Höflichkeiten, Routinephrasen, Smalltalk eben, der noch viel smaller ist als gemeinhin schon, weil er tatsächlich nur um seiner selbst willen geführt wird.

Im letzten Drittel entwickelt sich die Geschichte in interessanter Weise weiter. Nicht, weil es einen unvorhersehbaren Kniff gibt, sondern weil das Universum logisch erweitert wird. Das wäre noch erfolgreicher, als es im Endeffekt ist, ginge es nicht mit einer selten lächerlichen Szene einher, in der ein Haufen unglaubwürdiger Wissenschaftler vor einem Clipboard steht, während der Film durch Schnitte weiszumachen versucht, sie seien allesamt sagenhaft klug.
Und so interessant es auch ist, zu beobachten, wo diese fraglos eigenständige Geschichte sich hin entwickelt, gilt es doch festzuhalten, dass Frequencies auch an dieser Stelle wieder flunkert. Denn während der Film durch probate Mittel versucht, all das Geschehende so aussehen zu lassen, als würde es unweigerlich und mit letzten Endes verblüffend logischer Konsequenz erfolgen müssen, so knüpfen die Plot Points eigentlich ganz und gar nicht so unweigerlich aneinander, wie es dem Zuschauer glauben gemacht werden soll.
Schlimm ist das nicht sonderlich, etwas unerfreulich ist die Erkenntnis aber, dass von allen Manipulatoren in seiner Handlung, der Film als solcher der größte von ihnen ist. Aber vielleicht ging es Darren Paul Fisher letztlich ja auch exakt darum. Auch hier könnte das Ende wieder für eine Rechtfertigung bemüht werden. Muss es aber nicht.

Fazit

Darren Paul Fishers SciFi-Romanzen-Verschwörungsthriller in einer obskuren Parallelwelt hat genug Alleinstellungsmerkmale, um allein deshalb gesehen werden zu können. Aber auch die Geschichte mit ihrem philosophischen Anstrich und die Freude daran, etwas Fantastisches zu erzählen, machen Frequenices zu einem absolut sehenswerten Film.
Deswegen tut es fast ein bisschen weh, dass er doch nicht noch besser ist – Potenzial hat die Idee allemal. Das zeigt sich auch daran, dass Frequenices zu der seltenen Sorte Film gehört, die lange Zeit nach ihrem Gesehenwerden in den Gedanken präsent bleibt.

Her

Tausendsassa Spike Jonez, der noch nie einen schlechten Film drehte, Besitzer einer Skateboardmarke ist, kreativer Kopf von Vice und Erfinder von Jackass bekam letztes Jahr seinen ersten Oscar für das Drehbuch zu Her.
Diese Kritik will zeigen, warum das anders nicht hätte kommen dürfen.

The past is just a story we tell ourselves.

Story

Nach der Trennung von seiner Jugendliebe und Exfrau Catherine hat der introvertierte Theodore Twombly kein großes Glück in der Liebe. Stattdessen konzentriert er sich ganz auf seinen Beruf – das Anfertigen von handschriftlichen Briefen für die privaten Belange von Dritten. In dieser Branche ist er dank seines hohen Empathievermögens ein Naturtalent.
Als er aus Neugierde eine frisch auf den Markt gekommene Künstliche Intelligenz erwirbt und diese installiert, trifft er nach langer Zeit auf jemanden, dem er sich anvertrauen kann. Samantha, so der Name der digital erzeugten Stimme, wird seine engste Bezugsperson. Bis beide eines Tages feststelle, dass sie ineinander verliebt sind.
Geschichten von anderen Beziehungen zwischen Mensch und Maschine machen die Runde und fordern die Überlegung heraus, das Konzept von Liebe und Beziehung vielleicht neu definieren zu müssen, während sich die rasant lernenden Künstlichen Intelligenzen exponentiell weiterentwickeln.

Kritik

Wir befinden uns im Gemengelage der Modernität, gebettet in einem unüberschaubaren Rausch aus kulturellen Strahlen, hineingeworfen in einen Alltag aus Arbeit für den Kulturbetrieb und Freizeit in dem Kulturbetrieb, der, weitestgehend technisiert und automatisch ablaufend, sich selbst in unaufhaltsam ansteigendem Tempo selbst reproduziert. E-Mails, Reklametafeln, Wecker aus, Laptop auf, E-Mails checken beim Spaziergang durch den Tag, Essen bestellen, dabei Nachrichten hören, soziale Netzwerke füttern, als Konsummensch überall untilgbare Fußstapfen hinterlassen, selbst konsumiert, dechiffriert, defragmentiert, nach Belieben in diversen Formen neu zusammengesetzt werden. Ein Rausch aus Bildern, multiplen Realitäten, Laptop zu, Augen zu, Träume, die sich beim Piepen des Handyweckers verflüchtigen. Die Welt von Theodore Twombly ist unserer nicht unähnlich, modisch nur ein paar Jahrzehnte zurückgeworfen, technisch dafür ein gutes Jahrzehnt fortgeschrittener.
In einer solchen Zeit etwas so basales wie Liebe zu finden, scheint eine Notwendigkeit zu sein, die bisher noch nicht eliminiert werden konnte, obwohl doch jedes Bedürfnis quasi per Knopfdruck durch ein kulturelles Artefakt befriedigt werden können müsste. Her ist die Geschichte über einen Mann, dem es gelingt, dass das auch für Liebe gilt, und der feststellt, dass dies nicht weniger wahrhaftig sein muss, als unsere herkömmliche Vorstellung von Zuneigung, Geborgenheit und Schmetterlingen im Bauch.
Dass Spike Jonzes Film über so etwas eine so formvollendete und berauschend gut funktionierende Erzählung geworden ist, liegt an den großartigen Hauptdarstellern, die sich beide auf ihre Weise selbst übertreffen. Joaquin Phoenix‘ Theodore ist ein nahegehender, aber niemals einfach nur bemitleidenswerter Mann geworden, der mit Problemen und Sorgen ausgestattet wurde, die so ehrlich und pointiert selten auf einer Filmfigur gebündelt worden sind. Dem zurückhaltenden, absolut beherrschten Schauspiel, das Theodore eine ganz eigene Mimik und Körperhaltung verschafft, ist es zu verdanken, dass der unglückliche Mann mit dem Schnauzer keine Sekunde lang armselig oder gar jämmerlich wirkt, sondern schlichtweg nur direkt aus dem Leben gegriffen und damit entwaffnend glaubwürdig.
Samantha ist die zweite Hauptperson, wobei man eher sagen müsste, die Stimme von Scarlett Johansson (im Deutschen, nahezu ebenbürtig, Luise Helm) ist die zweite Hauptperson, die mit ihrem warmen, gefühlvollen Klang und ihrer natürlichen, manchmal verblüffenden Wortwahl den Film zu einem wahren Erlebnis, vor allem aber zu etwas ungemein Privatem werden lässt. Auf der anderen Seite geht von ihrem Wesen immer eine Spur von Bedrohung aus, ohne dass man sagen könnte, ob dies ein begründeter Eindruck oder aber nur die hysterische Gewohnheit ist, die man sich in unzähligen anderen Filmen dieses Themenkomplexes zu eigen gemacht hat. Die Ansichten, Wünsche und Orientierungen, die Samantha im Laufe des Filmes artikuliert, erinnern immer wieder auf beunruhigende Weise daran, dass dort eine Entität heranwächst, die unabhängig vom Menschen gedeiht und auf viel unvoreingenommenere Weise zu so viel mehr fähig ist, als ihr Erbauer.
Dem exzellenten Drehbuch ist es aber zu verdanken, dass die Beziehung der beiden schon 10 Minuten nach dem ersten Kontakt eine intensive ist und dass der Film in einer halben Stunde, also ab einem Viertel seiner Spieldauer, inhaltlich so fortgeschritten ist, wie andere Filme mit dieser Thematik erst ganz am Ende. Überhaupt – die Geschwindigkeit, mit der der Film vorangeht, ist zwar kaum spürbar, aber dafür umso höher. Jede einzelne Szene bringt die Geschichte voran und ist zugleich eminent wichtig für sie, jedes Gespräch bedeutet einen Fortschritt in der Gefühlswelt der Figuren – und damit auch im Wissen des Zuschauers über diese. Her besitzt ein Script, das so effizient ist, wie kaum ein zweites. Der Oscargewinn hierfür war mehr als gerechtfertigt.
Erst auf den zweiten Blick fällt auf, wie viel das Ausstattungskonzept zu der Atmosphäre beisteuert. Die Figuren bewegen sich durch eine Welt, die in Sachen Farbgebung, Mode und Design leicht an die späten 70er angelehnt ist, während die technische Ausstattung jedoch der Zukunft entspricht. Wo derartige Stilkontraste in anderen Filmen manchmal etwas selbstzweckhaft anmuten, trägt die Kombination in Her bemerkenswerterweise dazu bei, dass die Welt intimer und die Stimmung sensibler wird, weil so ein ganz eigenes, fast schon magnetisches Universum geschaffen wird.

Es zeigt eine ganz sanft verspielte, ansonsten aber sehr behutsame Kamera ein Wechselspiel von nachdenklich schönen und traurigen Szenen, untermalt von der perfekt gewählter Musik von Arcade Fire und das alles so gekonnt inszeniert, dass die Geschehnisse keine einzige Sekunde kitschig zu werden drohen.
Das sind verdammt große Worte für einen Film, der sich um eine emotionale Beziehung zwischen einem Mann und seinem Computer dreht, doch ist es auch ein verdammt großes Erlebnis, diesen zu schauen – und vor allem ist es in jeder Sekunde enorm menschlich. Dass das Thema ja gar nicht so fantastisch ist, trägt seinen Teil dazu bei, dass man Her nicht nur in vollen Zügen genießen kann, sondern dass der Film außerdem auch ein vielleicht gar nicht so unwichtiger Beitrag zum gerade erst beginnenden Diskurs über Maschinenethik darstellt, angereichert mit ein paar gewieften Assoziationen zur Idee der technologischen Singularität.

Fazit

Spike Jonzes Film über einen Mann in der Retrozukunft, der sich in eine Computerstimme verliebt, ist ein großer Wurf, der dafür danken lässt, dass Joaquin Phoenix sein Experiment, rappender Vollbart zu sein, ad acta gelegt hat.
Das Ergebnis ist der warmherzigste, menschlichste, emotional ehrlichste Science-Fiction-Film seit langer Zeit. Doch hat Her neben seiner Liebesgeschichte noch viele weitere Ebenen, die sich immer implizit mitentwickeln. Somit ist der Science-Fiction-Liebesfilm nicht nur in seltenem Maße ergreifend, sondern regt darüber hinaus auch auf seine besondere Weise zum Nachsinnen über das an, was da in Zukunft kommen mag.

Upstream Color

Gleich noch ein Film, der sich mit Realitätsentzug beschäftigt. 2004 erhitzte ein verrätselter Science-Fiction-Film namens Primer die Gemüter, denn Zeitreisen wurden noch die so bodenständig und zugleich derart verworren dargestellt. Der Alleinverantwortliche Shane Carruths galt als neue Hoffnung –  und verschwand weitestgehend in der Versenkung.
Kurz war er als Beteiligter für Looper im Gespräch, doch waren seine Ideen zu kostspielig in der Umsetzung
2013, geschlagene 9 Jahre nach seinem Ersterfolg, stahl sich Upstream Color in die Filmwelt.


It is better than anything you’ve ever tasted. Take a drink now.

Story

Ein Unbekannter züchtet exotische Würmer und verabreicht sie der Frau Kris. Der Parasit beginnt sich in ihr einzunisten und der Wirt verliert zusehends die Haftung in der Realität. In halluzinierender Fügsamkeit hat sie nur einen kurzen lichten Moment, in dem sie merkt, wie ihr geschieht.
Später begegnet sie Jeff. Beide scheint ein ähnliches Schicksal zu verbinden, beide fühlen sich einander verbundener und bekannter, als es möglich sein könnte. Die Spuren der Vergangenheit, in der sie als Wirte für die bewusstseinsverändernden Wirbeltiere fungierten, lassen sich nicht ablegen und so beschäftigen sie sich wieder mit der seltsamen Symbiose, die sie mit den Wesen eingingen.

Kritik

Nach Shane Carruths kühl bebildertem, überkomplex erzählten Erstlingswerk Primer konnte man alles und nichts erwarten. Dass dann so etwas wie Upstream Color die Vita des studierten Mathematikers bereichern sollte, war hingegen kaum absehbar. Erfreulich ist es nichtsdestotrotz, dass das Ergebnis ganz entschieden näher an „‘alles‘ denn an ‚nichts‘ ist.
Das Überraschendste ist, wie auf den Punkt gefilmt die Bilder des Werks sind, mit ihren nebligen, aber bejahend weichen Farben. Dies in Zusammenarbeit mit der Tonspur, auf der sich Musik, Geräusche und Sprache wie ein Lied ergänzen, ergibt eine selten runde Komposition. Rückblickend lässt sich dieses Potenzial zwar schon irgendwie in Primer erkennen, doch hätte man ein derart überästhetisiertes Werk wie Upstream Color definitiv nicht erahnen können.
Sucht man nach Vergleichbarem in der Filmlandschaft, stößt man schnell auf den Namen Terrence Malick (The New World, The Tree of Life, Der schmale Grat) und muss feststellen, so weit hergeholt, wie sich diese Verwandtschaft erst einmal anhören mag, ist sie gar nicht. Beide Regisseure erschaffen eine ganz ähnliche Bildpoesie und sowohl Malick wie auch Carruths kreieren mit ihren Werken einen Sog, der sich ganz allein aus der Kombination von Bild und Ton ergibt, aus der sich eine Geschichte entfaltet, die mit herkömmlicher Erzählweise kaum noch etwas zu tun hat.
Und der Rezensent lacht sich ins Fäustchen, weil er Gelegenheit bekommt, auf seinem Science-Fiction-Blog mal ein paar huldigende Worte über Malick zu verlieren, ohne dass diese furchtbar deplatziert wirken. Auch deswegen ist Upstream Color ein toller Film.
Die Sequenzen leben von Kleinigkeiten, obwohl die Geschichte eigentlich von etwas Riesigem erzählt. Aber auch Riesiges besteht halt aus Winzigem. Manchmal sind es nur die platschenden Geräusche nackter Füße auf Parkett. Manchmal sind es nur die verschwommenen Köpfe von Fremden, die schemenhaft am Rand ins Außen des Bildausschnittes gedreht sind. Manchmal erkennt man sich in den Augen eines Schweines wieder; jenes Wesen, dessen genetischer Code zu 90% mit dem menschlichen übereinstimmt.
Ganz unabhängig von der Geschichte schlüsselt Upstream Color die Welt des Alltags auf und zeigt, wie wunderschön die einzelnen Momente eigentlich doch sind, wenn man sie mit den Augen eines Kindes erblickt. Lässt man sich führen, nimmt man diese Welt exakt so wahr, so scheu und unschuldig wird sie von den einzelnen Einstellungen eingefangen.
Von Anfang bis Ende ist der Film überwältigend in Bild und Ton, versiert im Schnitt – schon bei seinem zweiten Langfilm beweist Shane Carruths, der übrigens auch gleich eine der Hauptrollen bekleidet, unwiderruflich, dass er ein Meister der Montage ist.
Unweigerlich drängt sich die Frage auf, ob der Stil des jungen Regisseurs auch dann aufginge, wenn er damit eine ordinäre Geschichte erzählte. Ganz einfach ist die Frage wohl nicht zu beantworten, aber eigentlich ist die Geschichte, die er mit Upstream Color vermittelt, eine gewöhnliche. Einzig die Bildausschnitte, in denen sie erzählt wird, sind außergewöhnlich. Außergewöhnlich klein, außergewöhnlich poetisch, und ausgewöhnlich gut ausgesucht. Sein Regiestil ist ein Stil der ekstatischen Details; und das ist etwas, das nur sehr wenige mit dieser Selbstverständlichkeit beherrschen.

Es wurde sich nun ausschweifend über die Machart des Filmes ausgelassen, aber kaum ein Wort darüber verloren, um was es eigentlich geht. Das liegt daran, dass das Werk hier recht unkonventionell zu Werke geht. Ein wenig lässt es narrative Konventionen einfach beiseite liegen. Nicht, indem es sich störrisch über sie hinwegsetzt, sondern weil es sie einfach ignoriert, da es sie nicht braucht. Einige Dinge in der Welt von Upstream Color sind anders und was in unserer Welt sonderbar und fremdartig wirken würde, ordnet sich dort recht unaufgeregt in den Strom der Dinge ein. Das muss man verstehen und hinnehmen, dann lässt sich der Film auch ohne großen Kraftaufwand genießen.
Mag man sich darauf nicht einlassen (und das ist auch einfach nicht jedermanns Sache, so wie Rosenkohl – Gott sei Dank! – nicht jedermanns Sache ist), dann kann man dem Film vorwerfen, er würde zu wenig erzählen und das, was er erzählt, unnötig verworren und adynamisch präsentieren. Dann aber muss man zumindest eingestehen, dass er es schafft, sogar etwas eigentlich langweiliges wie eine U-Bahn-Fahrt auf eine Wiese zu zeigen, als wäre sie ein Traum vom Paradies. Oder der Umgang mit einem Richtmikrofon, als wäre dieses der auditive Schlüssel zum Höllenportal.
Trotz der ernst klingenden Thematik ist dies kein düsterer Science-Fiction-Film, sondern eine sehr wohltuende Erfahrung mit warmen Charakteren. Ein Versuch, über Grenzen hinwegzuschauen. Ein durchaus gelungener obendrein.
Er bedient sich an Zutaten aus Science-Fiction, Drogen-Film, Mystery-Thriller, Missbrauchs-Drama, Liebesfilm und sicherlich noch etlicher Motivsammlungen mehr. Vor allem der Liebesfilm tritt stark hervor, denn die Beobachtung der Charaktere ist ebenso gut getroffen, wie die reinen Atmosphäreaufnahmen.
Wer mag, kann die Story und ihre Unterkapitel als Analogie auf irgendwas lesen. Aber das würde zwangsläufig auf plumpes Nachzeichnen von Linien hinauslaufen. Daher lassen wir das einfach mal sein und bleiben auf der Erzähloberfläche. Denn die ist schön wie sonst kaum eine.

Fazit

Schon mit seinem zweiten Film erweist sich Shane Carruths als meister der Montage und liefert eine audiovisuelle Sondererfahrung, die sich fast schon auf Augenhöhe mit dem Stil Terrence Malicks befindet.
Ebenso sonderbar ist die erzählte Geschichte, die nur dann voll funktionieren kann, wenn man es schafft, Erwartungen an Normalität für 96 Minuten zuzudecken. Wenn man es schafft, sich ganz auf die hypnotische und irgendwie manische Welt einzulassen, möchte man sie am Ende nur widerstrebend verlassen.
Bleibt zu hoffen, dass nicht wieder 9 Jahre bis zu seinem nächsten Film vergehen.

Fantasy-Filmfest-Special: The Desert

Noch ein Regiedebut auf dem Fantasy Filmfest: Christoph Behls postapokalyptischer Zombiefilm The Desert hat keine postapokalyptischen Markenzeichen, quasi keine Zombies und erst recht keine Wüste. Dafür aber eine intensiv gespielte Dreiecksbeziehung in auswegloser Situation und jede Menge Fliegen.


Pythagoras

Story

Ana, Jonathan und Axel sind in einem Haus irgendwo in Argentinien gefangen. Draußen marodieren Zombiehorden, während das Trio in der Wohnung täglich daran scheitert, die Zeit totzuschlagen. Es wird getrunken, geschlafen und sich gegen die allgegenwärtigen Fliegen zur Wehr gesetzt. Dass beide Männer auf ihre Weise Ana lieben, sie aber nur mit Jonathan zusammen ist, sorgt in der vertrackten Konstellation nicht gerade für Entspannung. Axel beginnt damit, sich kleine schwarze Punkte auf den ganzen Körper zu tätowieren – wenn das Werk vollendet ist, so sagt er, sei es für ihn an der Zeit, zu gehen.
Um eventuellem Ärger Luft zu machen und die Situation zu entspannen, kommt man auf die Idee, sich selbst auf Video aufzunehmen und der Kamera alle Sorgen anzuvertrauen. Die alten Videobänder der ehemaligen Hausbesitzer erhalten so eine Tagebuchfunktion für die strapazierten Drei. Jedes Tape wird in einer verschlossenen Truhe mit Schlitz gelagert, damit niemand die privaten Geständnisse zu sehen bekommt. Nur dass sich Axel nicht an die Abmachung hält und sich jeden Tag die entblößenden Aufzeichnungen von Ana ansieht.

Kritik

Die Geschichte beginnt mit einem Schuss auf einen Zombie und führt damit gehörig in die Irre. The Desert ist ein Zombiefilm fast ohne Zombies und ganz ohne Action. Der ausgeschaltete Untote in Szene 1 ist für knapp drei Sekunden im Bild und für lange Zeit der letzte Wiedergänger, den die Zuschauer serviert bekommen. Das nächste Exemplar trägt einen Maulkorb und ist zwar etwas häufiger zu sehen, kriegt insgesamt aber auch keine zwei Minuten Screentime und erst recht keine direkte Handlungsrelevanz. Die wenigen Male, in denen die Protagonisten auf Zombies anlegen, sieht man nur sie und ihre Waffe, nicht aber das anvisierte Ziel. Direkte Bedrohung geht von den Wiedergängern nicht aus. Wenn man sie wahrnimmt, dann höchstens als weit entfernten Grunzlaut.
Was stattdessen in blutdurstigen Horden auftritt, das sind Fliegen. In jeder Szene sind die hartnäckigen Plagegeister zugegen und wenn sie nicht im Bild auftauchen, dann gewiss als penetrantes Gesumme auf der Tonspur. Der ärgste Feind wartet nicht draußen außerhalb der verbarrikadierten Wohnungstür. Der ärgste Feind ist der Mensch sich selbst. Das vom Schicksal zusammengeschweißte Trio hockt tatenlos abwartend in der Wohnung, leidet an der völlig desaströsen Gruppendynamik, trinkt Wein und hasst. Zwei Männer und eine Frau. Sie ist liiert mit einem der beiden. Der Dritte muss dem Liebesglück stumm zusehen und daran leiden. Jeder Kuss, jeder Geschlechtsakt und jedes gewechselte Wort findet zwangsläufig im selben Haus statt. Miteinander garen, einander ertragen. Und letzteres fällt mit jedem Tag schwerer.

Ist das spannend? In gewisser Weise ja. Die angedeuteten Abgründe der Figuren sind flirrend eingefangen. Die Einstellungen dauern lange, die Kamera ist unangenehm nah an den Personen und raubt dem Menschen das Schöne. So wird aus dem Zuschauer unfreiwillig ein ungesehener Voyeur, der sich genau wie die Figuren nicht der erzwungenen Nähe widersetzen kann. Privatsphäre erfährt eine Verwandlung. So transportiert der Film geschickt das ständige Unwohlsein seiner Figuren in den Betrachter hinein und bringt die dritte Wand ganz subtil zum Bröckeln. Mit jedem Tag breiten sich Misstrauen und Abhängigkeit gleichermaßen weiter aus. Jeder neue Punkt auf Axels Körper symbolisiert die Unausweichlichkeit der Eskalation.

Fazit

The Desert ist ein Psychothriller, bei dem die Zombieplage noch weitaus mehr nur als Symbol dient, als sie es schon in anderen Filmen tut. Für die direkte Handlung ist die zombiehaltige Postapokalypse nur Behauptung und Grund dafür, dass das Haus nicht verlassen werden kann. Ein nihilistisches Kammerspiel darüber, wie unerträglich Nähe und wie parasitär hoffnungslose Liebe sein kann. Langsam und schwer zu ertragen.

Warm Bodies

Als 2010 das Buch Warm Bodies erschein, war der Hype um Untoten-Romanzen in vollem Gange. Umso überraschender, dass sowohl Buch als auch die Verfilmung nicht unrettbar in Kitsch und Klischee versinken, sondern gute und halbwegs eigenständige Unterhaltung liefern.

I wish the internet was working…

Story

„Die Welt hat ‘nen Abgang gemacht“, bringt Julie den Status quo der Filmwelt an einer Stelle ganz gut auf den Punkt. Die Zombieapokalypse brach herein, die Untoten füllen die Städte und der Mensch verschanzt sich hinter einer dicken Mauer und wartet auf Besserung oder sein Ende.
Doch ganz so hirn- und gefühlslos sind die taumelnden Hirnfesser gar nicht. Da wäre zum Beispiel ein Zombie namens R – so getauft, weil er auf die Frage, wie er heiße, nur diesen Buchstaben rauskriegt – der durchaus unter seinem Zustand leidet. Zusammen mit anderen Zombies fristet er ein schnödes Dasein auf einem Flughafen, das nur von gelegentlichen Treibjagden auf Menschlein aufgelockert wird. Auf einer solchen tut er sich am Denkapparat von Perry gütlich und partizipiert daraufhin kurz an dessen Erinnerungen und Emotionen – wie immer, wenn man ein Hirnchen schnabuliert hat. Dies  hat die ungeplante Nebenwirkung, dass R sich plötzlich in die Freundin des Verspeisten verliebt. Prompt rettet er Julie vor dem Rest der Meute und versteckt sie in einem Unterschlupf auf dem Flughafen. Und tatsächlich kommen sich die beiden näher.
Die wachsende Zuneigung hat es aber nicht leicht, denn neben den offensichtlichen Differenzen zwischen ihnen machen Julies zombiehassender Vater und sogenannte „Bonies“ ihnen das Leben schwer. Diese schwarzen, skelettartigen Vielfraße sind das, was aus jedem Zombie irgendwann einmal wird – eine gefühls- und gedankenlose Fressmaschine mit nichts als purer Bosheit.

Kritik

Selbstreflexive Zombos sind eine Seltenheit, aber nichts total Neues. Eigentlich ging der moderne, sein eigenes Andenken immer wieder beschmutzende George A. Romero bereits ähnliche Wege und erlaubte es seinen Untoten durch Evolution,  wieder ein wenig zurück zur Menschlichkeit zu kommen, sich selbst bewusst zu werden, in einer Gruppe organisieren und hierarchische Strukturen neu entdecken. All das nimmt Warm Bodies und formuliert es in seinem Sinne weiter aus.
R mag Musik, R mag Gespräche, auch wenn er sie nur mit sehr begrenzten Mitteln führen kann, und R mag vor allem das Gefühl, das ihn übermannt, wenn er Hirne kaut. Ein Hauch von Traum und Erinnerung legt sich dann für einen Augenblick über seine Wahrnehmungswelt. Etwas, das der Zombieexistenz zur Gänze fehlt, weil den schlurfenden Rudeljägern nicht einmal der Schlaf vergönnt ist.
Nicht nur Zombiefilme, auch Zombiekomödien gibt es heutzutage wie Sand am Meer. Eine solche zu drehen und auf das Gerüst einer Teenie-Romanze á la Twilight zu spannen, klingt im ersten Moment wenig mehr als quälend überflüssig.
Umso bemerkenswerter ist es, dass Jonathan Levine es tatsächlich meistert, aus Warm Bodies einen sehenswerten Film zu stricken, der mit angenehmer Erzählgeschwindigkeit und unverbrauchtem Witz punktet;  in den eng gesteckten Grenzen des Genres mittlerweile fast schon eine Meisterleistung.

Eine wirklich lobenswerte Idee ist es, einen Flughafen als Handlungsort auszuwählen. Dort, wo man eigentlich darauf wartet, weiterzukommen, den jetzigen Ort zu verlassen und ein Ziel zu erreichen, sitzen die Zombifizierten fest und warten und warten ohne Sinn und Verstand, weil es Ziele nicht mehr gibt. Irgendwann werden sie dann zu den dürren, furchteinflößenden Skeletten namens Bonies.
Denn der Zombie ist in Jonathan Levines Endzeitfabel kein klassischer Zombie. Dem sogenannten klassischen Zombie viel näher kommen  die Bonies, diese ölig-schwarzen Biester aus Zahn und Maul, während der Zombie vom Schlage eines R genaugenommen eine Zwischenstufe zwischen Mensch und gewissenloser Killermaschine darstellt. Er kann denken, fühlen und in begrenztem Rahmen sogar intentional Agieren.
Es fällt Außenstehenden nur schwer, das auch zu sehen. Schließlich torkelt so ein Ding in Schneckentempo hin und her und gibt nur ab und an ein heiseres Grunzen von sich.
Wenn man diese Neuauslegung der Zombie-Natur akzeptiert hat, dann funktioniert auch der Film. Weshalb gerade R die Liebe eines verspachtelten Opfers übernimmt und wieso ausgerechnet er über so viel Restintelligenz und die Fähigkeit zur Selbstkritik verfügt, verrät der Film nicht. Doch mag kann man sich  zumindest denken, dass ersteres vielleicht aus letzterem resultiert. Und dann hört man bestenfalls auf, darüber nachzusinnen, um sich den Film nicht kaputt zu machen.
Die klassische Romeo und Julia-Struktur funktioniert auch im düsteren Sci-Fi-Gewand der Apokalypse ganz anständig. Romantisierung der Zombiefizierung gab es in Ansätzen natürlich auch schon in anderen Filmen, man denke da zum Beispiel an den zelebrierten Toilettenkuss in Dance oft he Dead. So konsequent in den Mittelpunkt gestellt wurde die Liebesfähigkeit der untoten Rauner aber noch nie.
Während Teresa Palmer (I Am Number Four) grundsätzlich einen guten Job in der Rolle der Julie macht, aber immer ein wenig bemüht wirkt, überzeugt vor allem Nicholas Hoult (X-Men: First Class, Mad Max: Fury Road) als R, weil er die Gratwanderung zwischen Emotionslosigkeit und menschlichem Aufbegehren mimisch gut rüberbringt und auch den schleichenden Wandel seines Charakters überzeugend spielt.
Trotzdem rührt das Liebesstück zwischen den beiden nur am Rande, während die eher nebenbei thematisierte Männer-Zombie-Freundschaft zwischen R und seinem Flughafen-Kumpel M viel emotionaler daherkommt, was in erster Linie an Rob Corddrys leidendem Gesichtsausdruck liegt.
Wirklich unterhaltsam wird der Film durch seinen Humor, der sich von  den gestellten Konservenwitzen seiner Genregeschwister abhebt, für den einen oder anderen Lacher sorgt und vor allem ein Gefühl der Unbeschwertheit über den Film legt, das anhält, bis das dann leider etwas zu einfallslos ausfallende Finale einsetzt, das die Bonies klar als das enttarnt, was sie sind: in erster Linie Plotwerkzeuge.
Frei von Fehlern ist der Film somit nicht.So ist es beispielsweise unverständlich, wieso R und seine menschliche Angebetete nicht einfach mit dem Sportflitzer abhauen, mit dem sie sorglos über den Flugplatz brausen, und weshalb Julie es so leicht hinnimmt, dass R ihren Freund verpachtelt hat, wird auch nicht hinreichend begründet. Ein „Ich hab‘ eh schon immer irgendwie damit gerechnet.“ macht die Dame nicht nur unsympathisch, sondern lässt auch fragen, ob R sich nicht in die Falsche verliebt hat. Schafft man es aber, über solche Schönheitsfehler hinwegzusehen, kann man durchaus seinen Spaß mit dem Sci-Fi-Filmchen haben.

Fazit

Warm Bodes Versucht wenigstens, sich den gängigen Genrekonventionen nicht allzu sklavisch zu unterwerfen, schafft dies auch weitestgehend und verzichtet Gott sei Dank auf viel Schmalz.
Mit Liebe, Freundschaft und Zombos hat Warm Bodies eigentlich alles, was ein guter Film braucht. Dazu gesellen sich ungezwungener Humor, ein passables Darstellerpärchen und ein paar schönen Songs. Ein etwas anderes Date-Movie.

Perfect Sense

Die Werke, auf die David Mackenzie zurückblicken kann, sind Filme wie Young Adam und der schauderhafte Toy Boy mit dem schauderhaften Ashton Kutcher. Mehr oder weniger leichte, seichte Filme, die sich um das Thema Liebe drehen.
Da verwundert es, dass Mackenzies Film aus dem Jahre 2011 ausgerechnet ein Sci-Fi-Drama ist.
Doch wenn man das Werk etwas genauer betrachtet, liegen thematisch zwischen Perfect Sense und den anderen Arbeiten des Engländers gar keine so großen Distanzen.

Eyes closed, oblivious to the world around them.

Story

In der nahen Zukunft bricht eine Krankheit aus.
Sie ist offenbar nicht ansteckend, verbreitet sich aber rasend. Ohne erkennbares System, doch unaufhaltsam und global.
Und während man noch rätselt, ob Umwelteinflüsse, Wasserveränderung, UFO-Invasionen, Terrorangriffe oder Gott der Auslöser für die Miesere ungeahnten Ausmaßes ist, verliert die Menschheit nach und nach den Sinn. Wortwörtlich.
Erst ein heftiger emotionaler Zusammenbruch und wenig später kann man nicht mehr riechen. Nachdem die Nase ihren Dienst eingestellt hat, folgen die weiteren Sinne. Immer in gleicher Reihenfolge, immer in epidemischen Wellen.
In dieser Zeit finden der begnadete Koch Michael und die Medizinerin Susan zueinander. Und obwohl sie beide nicht an Liebe glauben, verlieben sie sich doch, wenn auch voll Misstrauen und Zweifel.
Während die Sinne nach und nach abhandenkommen und die Weltordnung ruppig aus den Fugen gehoben wird, wird die fragile Bindung zwischen den beiden immer stärker belastet.

 Kritik

David Mackenzies Sci-Fi-Mär über eine Welt wie von Sinnen ist ein gelungener Film, der in erster Linie – und damit vielleicht ja sogar etwas selbstreflexiv – die Sinne reizt. Denn Perfect Sense ist handwerklich ungemein ausgereift.
Allem voran ist die herausragende Kameraarbeit zu loben, die so unaufdringlich wie ununterbrochen wunderschöne Ausschnitte– häufig auf Hüfthöhe der Personen – liefert, sie in kühlen blauen Farben präsentiert und damit eine ganz eigene Bildpoesie entwickelt.
Dazu kommen mit Ewan McGregor, Eva Green und weiteren hochkarätige Schauspieler, die durchdachte, vor allem aber sehr authentische Dialoge zum Besten geben dürfen.
Und wie das Handwerk ist, so ist auch die Atmosphäre: Kühl, wohl komponiert und ein wenig poetisch.

Manchmal meint der Film es aber auch etwas zu gut und kommt der Grenze zur übermäßigen Sentimentalität gefährlich nahe. Aber das nur, wenn man nicht bereit ist, diesen Schritt mitzugehen. Ob man sich von der hohen Emotionalität überreden lässt oder nicht, davon hängt es ab, ob Perfect Sense funktioniert oder verärgert.
Wimmernde Menschen, unterlegt von einer melodramatischen Frauenstimme und traurigen klassischen Stücken sind ohne Frage in höchstem Grade manipulativ, aber richtig eingesetzt eben auch ungeheuer effektiv. So wie in Perfect Sense, wenn man dem Film die Führung überlässt.

Von seltener Intensität sind die Szenen, in denen gezeigt wird, wie die Menschheit ihre Empfindlichkeit gegenüber der Natur einbüßt. Ganz besonders die Ausbrüche vor dem Verlust eines Sinnes sind perfekt eingefangen und ergreifend in Szene gesetzt. Das liegt auch daran, dass man den Zuschauer erahnen lässt, wie sich die völlige Hilf- und Schutzlosigkeit der noch nicht Betroffenen anfühlen muss, denen nichts bleibt, als einfach nur darauf zu warten, dass auch sie das Syndrom erfasst.
Fantastisch ist auch die Idee, zu zeigen, wie in der Restaurantküche reagiert wird, nachdem alle ihren Geruchssinn verloren haben. Schade, dass auf die Kompensationsmöglichkeiten bei den weiteren Phasen nicht ebenso ausführlich eingegangen wird, aber womöglich hätte der Effekt sich auch abgenutzt. Ebenfalls schön ist, dass glaubhaft vermittelt wird, wie eminent wichtig die Sinne für unser Erinnerungsvermögen – und damit letztlich für unsere Identität sind. An diese Eindrücke geknüpft sind Erinnerungen jeder Couleur, die durch Affizierung der Sinne, durch bestimmte Gerüche oder Geschmäcker wieder reaktiviert und vergegenwärtigt werden. Auch sie verblassen mit den Düften und Geräuschen der Welt.
Die ganze darin enthaltene Tragik wird offen gezeigt, aber selten zu überzogen dargestellt.
Dass die Protagonisten in einer möglichst dramatischen Reihenfolge erkranken, ist keineswegs logisch, da ja aber sowieso die ganze Sache eine Allegorie ist, muss es das auch nicht zwingend sein.

Was oben bereits angesprochen wurde, verdichtet sich zum Ende hin immer mehr. Man muss sich immer stärker auf den Film einlasen. Wer der besonderen Stimmung nicht folgen kann oder will, wird den erzählerischen roten Faden schnell sehr vermissen. Die Geschichte rückt mit jedem verlorenen Sinn nämlich weiter in den Hintergrund und wird von Impressionen, essayistischen Gedankenmonologen und, um das Kind beim Namen zu nennen, viel, viel Pathos abgelöst. Wer der nicht ganz rutschfesten Einladung folgt, Liebe und Lebensfreude als Essenz von allem zu huldigen, dem ist ein gewisser Unmut oder das ein oder andere, immerhin sehende, verdrehte Auge keineswegs übelzunehmen.
Geschmackssache ist ebenfalls der etwas offene Schluss, denn ein letzter Sinn bleibt – vorerst? – erhalten, damit die Botschaft der Geschichte mit Überzeugung zum Ende gebracht werden kann.

Fazit

Liebe in Zeiten des Außergewöhnlichen ist ein beliebtes, grundsätzlich funktionierendes Sujet. Und die Idee des Außergewöhnlichen in Perfect Sense ist wahrlich außergewöhnlich.
Im Anschluss an den sehr ausgewogenen, spannend erzählten ersten Teil folgt ein Rest, der einen mutigen, speziellen, aber auch nicht für jeden gemachten Weg einschlägt, der zu einem ehrlich vorgetragenen Optimismus im Angesicht des Schlimmsten führt.
Obwohl sich der Liebesfilm im Science-Fiction-Szenario dann und wann zu sehr in Sentimentalitäten verrennt, lohnt sich das Gesamtpaket aber – wenn auch nicht für jeden.

Endlich kann man aber mal guten Gewissens sagen: Wem der Trailer gefällt, dem dürfte auch der Film zusagen.