Jonathan Mostow ist eine merkwürdige Erscheinung. Thriller, U-Boot-Film, der merkwürdige Terminator 3 als Symptom für all das, was seit Anfang des Jahrtausends in der Filmbranche falschläuft, und dann die Verfilmung der Graphic Novel Surrogates von Robert Venditti und Brett Wedele. Vielseitig ja, aber nicht immer erfolgreich.
– That’s the way it is.
– That’s not the way it is!
Story
In knapp 40 Jahren geht der Mann von Welt nicht mehr vor die Tür. Er hat hübsche Androiden bei sich parken, in die sein Bewusstsein schlüpfen und mit denen er den Tag bestreiten kann: Beruf, Lebensmitteleinkauf, Zwischenmenschlichkeit jeder Art. Nicht nur vermeidet man es so, das traute Heim zu verlassen und sich allerlei Unannehmlichkeiten auszusetzen, man kann außerdem ein beliebiges Äußeres haben. Geschlecht, Alter, Aussehen – jeder läuft mit seinem ganz persönlichen Katalog-Menschen herum. Surrogates heißen diese Avatare.
Als die robotische Hülle des Sohnes vom Surrogates-Erfinders gemeuchelt wird, stirbt auch er daheim an seinem Terminal.
Der altmodische Ermittler Tom Greer wird auf den Fall angesetzt und kommt schon bald einer Verschwörung auf die Schliche. Dies war nicht der einzige Fall, bei dem Surrogates angegriffen werden und die räumlich getrennten Besitzer mit ihnen das Zeitliche segnen.
Militante Widerstandsgruppen von Surrogatesgegnern und die Entfremdung von seiner geliebten Ehefrau, die er seit Jahren nicht mehr im eigenen Körper getroffen hat, erschweren die Untersuchungen des Polizisten nicht nur, sondern treiben ihn zusehends an seine psychischen Grenzen.
Kritik
Auf den ersten Blick bietet Surrogates einen zutiefst zynischen, bitterbösen Zukunftsentwurf, in dem der Mensch sich und seiner Umwelt so fremd geworden ist, dass er sich nicht mehr vor die Tür wagt. Der natürliche Körper ist bloß noch lästiges Symbol für Anfälligkeit, Alter und Scham. Die permanente Verkleidung ist eine Lösung, die dazu führt, dass die Straßen nur noch mit puppenhaften Vorzeigefiguren bevölkert werden, die immer am Puls der aktuellen Mode sind, während die eigentlichen Menschen im heimischen Zwielicht kauern und schon seit Jahren keinem richtigen Lebewesen mehr begegnet sind. Krieg ist nur noch Spiel, bei dem sich Avatare auf dem Gefechtsfeld die blauen Bohnen um die synthetischen Ohren schießen, deren Ableben nur den verschmerzbaren Ausfall einer ersetzbaren Maschine bedeutet. Ganz nebenbei ist auch noch die totale Überwachung perfektioniert, denn jedes Maschinen-Alter-Ego ist problemlos aufzuspüren.
So erschreckend die Zukunftsversion auch ist, wirkt es nicht ganz nachvollziehbar, dass dieser offensichtliche Missstand von aller Welt völlig widerstandslos bejubelt wird. Aber dass die Menschheit in den meisten Dystopien nicht nur älter, sondern auch dümmer wird, ist ja quasi Usus im Science-Fiction-Genre und die Parallele zur fortschreitenden Digitalisierung des privaten Alltags in der heutigen Zeit ist überdeutlich.
Wie die ganze Sache im Detail funktioniert, ist trotzdem eine Frage, die ein Film mit einem so schweren Szenario beantworten können müsste, wenn die aufgebaute Bedrohlichkeitssituation den Prüfungen des Publikums standhalten soll. Wenn so gut wie jeder nur noch rumliegt und einen Roboto-Stellvertreter für sich leben lässt, wie halten die eigentlichen Menschen sich am Leben? Was schützt sie davor, an Fettleibig und Muskelschwund zu verenden? Wie pflanzt sich die Menschheit überhaupt noch ausreichend fort, wenn sie das Wohnzimmer nicht mehr verlässt und nur noch simuliertem Sex über ihre ferngelenkten Avatare frönt? Das sind nur zwei von vielen Fragen, die man sich im Laufe des Filmes stellt und die theoretisch zu beantworten wären – doch darauf verzichtet Surrogates. Kurioser Weise wirkt der echte Tom Greer noch etwas stämmiger als sein eigentlich besser trainierter Surrogate. Hinter dem ja beileibe nicht uninteressanten, logisch aber kaum haltbaren Ausgangsszenario verbirgt sich dann doch nur eine innovationslose Geschichte, die nach Standardmustern verläuft und fast schon unmotiviert die einzelnen Stationen abklappert.
Eine Identifikation mit der Hauptfigur fällt schwer, da ihr Tun an ein paar Punkten kaum mehr nachvollziehbar und wenig sympathisch ist. Das ist besonders schade, da Bruce Willis eigentlich nur den „too old for this shit“-Prototypen variiert, sich und seine dem fortschreitenden Alter trotzende Festsetzung auf halsstarrige Actionhelden aber augenzwinkernd auf die Schnippe nimmt. Sein Surrogate sieht deutlich jünger aus (Willis selbst scheint ja auch eine Art Jungbrunnen zu besitzen) und stolziert mit blonder Mähne umher, während er selbst mit Stoppelbart und kahlköpfig wie immer in seinem Wohnzimmer liegt.
Surrogates versucht gleichzeitig eine Thrillerhandlung abzuspulen und das Drama um einen verzweifelten Mann und dessen wurmstichige Ehe zu erzählen. Und das ist vor diesem exotische Setting in weniger als 90 Minuten viel zu viel. Die Konsequenz ist, dass nichts von beidem so richtig gelingen mag. Der Thrillerpart ist nicht spannend, das Drama wirkt steril und aufgesetzt und keines von beiden ist besonders interessant. Das soll nicht heißen, dass es langweilig würde, doch von Nägelkauer- und Lehnenkraller-Qualitäten ist der Science-Fiction-Film sehr weit entfernt. Man schaut sich das Treiben an, erfreut sich daran, dass Actionpassagen und ruhige Szenen ein anständiges Gleichgewicht halten, und versucht dabei, sich nicht allzu viele Gedanken über die zahlreichen Ungereimtheiten zu machen. Aus der Prämisse, dass man nie genau weiß, ob man einem echten Menschen oder einer Maschine gegenübersteht hätte man wie z.B. Real Humans viel herausholen können, theoretisch wären Auslotungen bis in Philip K. Dick-Tiefen möglich gewesen. Aber für so etwas ist der Film zu lahm und ambitionslos.
Fazit
Eine reizvolle Grundidee, der der nötige Halt fehlt und die von einer zu gewöhnlichen Geschichte umgeben wird. Surrogates bietet unterm Strich kaum aufregende Exkurse in Thriller und Drama, die für sich genommen unschlüssig wirken, und bietet einen routiniert spielenden Bruce Willis.
Als zeitkritischer Kommentar hat der Film zwar den nötien Biss, ist aber zu zahnlos, um auf Facebook, Second Life und Konsorten ernsthafte Spuren zu hinterlassen.
Am Rande: Der japanische Robotiker Hiroshi Ishiguro, der privat seine Tochter mit einem Maschinennachbau von sich selbst spielen lässt, hat einen kurzen Auftritt im Vorspann des Filmes.