Judge

15. Japan-Filmfest Special 9

Yoshiki Tonogai großer Mangaerfolg Doubt ließ Judge folgen, der von den Fans ähnlich frenetisch verschlungen wurde. Regisseur und Drehbuchautor Yo Kohatsu nahm sihc den Stoff als Vorlage für einen selten müden Film.

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Story

Sieben Menschen erwachen aus ihrem Schlaf. Festgekettet auf einem Stuhl vor einem Tisch, eingekerkert in einen abgeriegeltem Raum von unbekannter Lage. Und alle tragen überdimensionale Tiermasken auf ihren Köpfen.
Vor jedem öffnet sich ein Bildschirm aus der Tischplatte, auf dem die Namen der Anwesenden geschrieben stehen. Es stellt sich heraus, dass alle hier Versammelten eine irgendwie amoralische Vergangenheit haben, für die sie nicht büßen mussten. Bis jetzt.
Der Computer verlangt von den Gefangenen, dass sie sich bei laufender Uhr gegenseitig Nominieren. Der Träger des Namens mit den meisten Stimmen wird maschinell hingerichtet.

Kritik

Der erste Eindruck ist ein durchaus positiver, da der Zuschauer umweglos in das Geschehen geschleudert wird und gemeinsam mit den Figuren in einem unbekannten Raum mit eine Sack voller Fragen aufwacht und kaum Zeit hat, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. Als erstes fällt die ambitionierte Kameraarbeit auf, die den Raum mit großer Mühe ausformuliert und das Kunststück schafft, den sehr limitierten Schauplatz, der aus wenig mehr als einem rechteckigem leeren Zimmer besteht, nervös und spannend in unterbeleuchteten Bildern einzufangen. Wären da nicht die grundlosen Surrgeräusche bei den Zooms und Schwenks sowie wiederkehrende Bildstörungen, die inhaltlich nicht begründbar sind und atmosphärisch keinen Gewinn einfahren, könnte man der Präsentation wenigstens auf dem Papier kaum etwas vorwerfen.
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Es ist wichtig, dass der Film keine Zeit verliert und darum bemüht ist, möglichst rasch voranzuschreiten. Den Figuren aber wird durch die überhastete Erzählweise eine glaubwürdige Entwicklung gänzlich unmöglich. Einzig ein Herr mit Hasenmaske bekommt ein wenig Profil, während alle anderen grob und lieblos ihre plumpen, vorhersehbaren Funktionen erfüllen. Doch nicht einmal besagter Hasenkopf ist auch nur im Ansatz sympathisch. Durch die konstruierten Probleme, die auftreten („Ich brauche meine Medizin!“), und die völlig unmotivierten Entscheidungen der Gefangenen entstehen beim Zuschauer im besten Falle Antipathien, meist bleibt es aber bei bloßer Gleichgültigkeit den Gefangenen gegenüber. Sie sind flach, vollkommen uninteressant, fast sämtlich hysterisch und bar jedes Entwicklungspotenzials. Es ist egal, dass sie Reih um Reih sterben, weil eine Sorge um sie unmöglich entstehen kann.
Judge macht keinen Hehl aus seinem Wunsch, furchtbar gerne eine Art Saw mit der Atmosphäre eines Cube sein zu wollen, erreicht aber nicht einmal die fragwürdige Klasse eines der Sequels genannter Filme. Mit einer völlig aussagelosen Bildsprache erzählt der Film eine Geschichte, die durch ihre Prämisse Überraschungen verspricht, tatsächlich aber mit keiner einzigen unvorhersehbaren Wendung aufwarten kann. Alles verläuft nach Schema F, ist furchtbar ideenarm und lasch. Judge ist ein atmosphärisches Bild und 78 Minuten heiße Luft, ein Kartenhaus, das nach zwei aneinandergelegten Karten unspektakulär in sich zusammenfällt und dabei nichts verursacht, als ein wenig aufgewirbelten trockenen Staubt.
Trotz der unverkennbaren Vorbilder versucht der Film nicht, mit Gewalt zu punkten. Die Sterbeszenen sind so unblutig wie unspektakulär. Viel lieber wäre er ein psychologisches Kammerspiel über menschliche Abgründe, der die Sensation der Brutalität nicht braucht. Ein ehrenwertes Vorhaben, das zur Durchführung aber interessante Charaktere und eine erzählenswerte Geschichte bräuchte. Yo Kohatsus Manga-Adaption hat nichts davon. Die bemitleidenswerte Pointe des Filmes ist dann der eigentlich schon überflüssige letzte Sargnagel eines total irrelevanten Blenders.

Fazit

Nach einem interessanten Anfang entpuppt sich Judge als ideenlose Hülle ohne Potenzial. Trotz seiner knappen Laufzeit gibt sich der Film zäh und umschifft gelangweilt jede Möglichkeit auf Überraschung.
Ein schön fotografierter Raum, der nicht gefüllt wird.

Sado Tempest

15. Japan-Filmfest Special 8

Gefühlt wurde kein anderes Stück Shakespeares so häufig verfilmt wie Der Sturm; es ist ja auch kein anderes so freudig weit geöffnet für alle möglichen verqueren Deutungsbefüllungen.

The whole world is skating on thin ice.

Story

Japan. 2042. Gerade noch steht der Frotman einer J-Rock-Band auf der Bühne, hält eine Ansprach, will in den Song einsteigen. Dann stürzt er auf die bedeutungsvollen Bretter. Die Welt, die sie bedeuten, wird schwarz, kippt und verschwindet. Man sieht ihn auf einer Gefangeneninsel, gerade neu eingetroffen, wo er mit anderen Inhaftierten tagsüber im seit fünfzehn Jahren währenden Winter Gold schürfen muss und nachts in seiner kargen Zelle ruht. Immer und überall kreischt der Wind. Der Aufseher ist ein sadistischer Unhold und eine Flucht scheint unmöglich. Sprengköpfe, Kannibalen, Dämonen. Die Geschichten über die Greuel der Insel sind so zahl- wie facettenreich. Und sollte auch keine davon stimmen, warten im besten Falle Hunger und Kälte.
Als Künstler hat der Sänger eine besondere Stellung. Er soll singen, trägt ihm der Aufseher auf. Doch er verweigert, denkt nur an Flucht. Eine vereinsamte Frau jammert in Dämmerlicht ihre Lieder von diesem Ort, fern aller Orte.

Kritik

Egal, wie viele Tasten man mit seinen Fingerkuppen schon abgenutzt hat. Egal, wie viele Filme schon verdaut und für andere neu angerichtet wurden. Der Anfang einer Kritik ist meistens das Schwierigste. Vor allem bei Filmen wie Sado Tempest. Filmen, die genau den Geschmack des Schreiberlings treffen, durchdachte mit seinen Nerven spielen, Vorlieben bedienen und auf selten vielen Ebenen Anklang finden. Filmen, die keinen Hehl darum machen, für einen verschwindend kleinen Zuschauerkreis gemacht zu sein und dem Rest zu missfallen. Filmen, die als pseudointellektuelle, gewollt bohemienhafte Kunstscheiße, als selbstverliebter Egotrip eines völlig überambitionierten Regisseurs und seiner verblendeten Jünger abgestempelt werden. Und all das wohl irgendwie zu Recht. Filmen, die gefallen und trotz hoher Wertung nicht ihr Publikum finden werden, ebenso zu Recht.
Man male sich aus, Apichatpong Weerasethakul hätte das Drehbuch zu Valhalla Rising verfilmt. Wem dies gefallen könnte, der sei an dieser Stelle angehalten, weiterzulesen und sich um Gottes Willen den Filmtitel für den Fall einer zukünftigen Veröffentlichung zu notieren. Oder sich das Produkt direkt aus dem Ausland zu bestellen.
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Eine ungewöhnlich verkeilte Kamera zeigt mystisch-klare Bilder einer öden kalten Landschaft aus zackigem Vulkangestein, die aber unerklärlich warm wirken. Ins Trübe stierende, vor Dreck starre Gesichter auf den Schultern entrückter Gestalten gleiten durchs Bild, dazu okkult anmutender klerikaler, seltsam amelodiöser Gesang und eine Instrumentalisierung, die in minimalistischer Weise glasklar nachhallende Töne hervorbringt. Entweder beunruhigend kaltes Licht oder endlos tiefe Schatten. Mehr gibt es nicht in dieser, unserer Welt.
Sado Tempest ist kontemplativ, stachelig, finster und voller Musik von keineswegs angenehmer Stimmung; ist verschlossen, unerklärlich, hochgradig merkwürdig; Sado Tempest hat Hoffnung als durchgängiges Leitmotiv, das sich abhebt vor allem Elend, Tod und Versagen, das durch jede Niederlage und jedes Eingeständnis schimmert, als Keim in allem Scheitern liegt, am Leben hält und auf den richtigen Augenblick zum Sprießen wartet. Geduld als Hoffnung. Beharrlichkeit als Hoffnung. Menschlichkeit als der Versuch, dieses sonderbare Phänomen zu begreifen.
John Williams Film ist wie der blinde Pilger, der einem später begegnet. Er bewegt auf einem schmalen Weg, der nur Abgrund um sich hat, doch in der Tiefe liegt alles. So kryptisch die Geschichte auch anmutet und so wenig Aufschluss diese Besprechung wohl verspricht: Auch wenn man für sich keinen passenden Lektüreschlüssel findet, erschließt sich das Werk einem doch auf eine intuitive Weise ganz automatisch. Der erwartete J-Rock bleibt nach dem Prolog weitestehend aus, ersetzt wird er von einem urtümlichen Rhythmus, dem die Inszenierung folgt. Man muss sich an ihn gewöhnen, sich ihm anpassen, ist das erst einmal gelungen, ist keine Anstrengung mehr vonnöten. Der Film trägt einen, erzählte Zeit und Erzählzeit beginnen sich voneinander zu lösen, das Schauen wird Erlebnis.
Das vermeintlich Reale ist durch Schwarzweiß verfremdet, das vermeintlich Irreale in kühl-realistischen Farben gehalten.
Dass Sado Tempest trotz seinem Hang zur Chiffrierung unablässig spannend ist, ist damit hauptsächlich Verdienst der Wechselwirkung zwischen Filmmaterial und Zuschauerleistung. Dass das funktioniert, liegt aber an der formalen Perfektion, die an den Tag gelegt wirkt und einzigartig präzise Bilder liefert, eingefangen in genau durchdachten Einstellungen, die zusammen schlüssig ein Ganzes ergeben. Die Unbeirrbarkeit, mit der der Film seinen Stil durchhält, macht sein Faszinosum aus. Das Ergebnis ist eines, in dem man sich eigentlich nur verstricken kann, so verboten Stilsicher ist es geworden. Ein Erlebnis, das so undurchlässig ist, wie der Wille des Protagonisten selbst.
Ein Film über die Dünne von Eis.

Fazit

Wenn nicht nur der Anfang, sondern die Kritik zur Gänze schwerfällt, wird es beim Fazit nicht leichter. So unkonventionell die Besprechung, so unkonventionell ist auch Sado Tempest. Wen die hier verlorenen Worte neugierig machen, der ist vielleicht an der richtigen Adresse. Die Art von Film, bei dem der schale Ausspruch ‚Man hasst es oder liebt es, dazwischen ist nichts‘, ausnahmsweise zutrifft.
Eine packend harte, aus dem Raum gefallene Geschichte über das Prinzip Hoffnung. Unzugänglich, verschlossen, schwierig, aber auch poetisch, bewegend und unerklärlich intuitiv. Nur eben nicht für jeden.

Society

15. Japan-Filmfest Special 7

Brian Yuzna, dessen bekannteste Arbeit zweifelsohne die Re-Animator-Trilogie darstellt, begann seine Regie-Karriere mit etwas Sonderbarem namens Society, der erst in den letzten Jahren Stück für Stück aus der Indizierungskammer treten konnte.

– Fuckin‘ nightmare.
– Last night?
– My Life.

Story

Bill Whitney führt kein schlechtes Leben. Seine Eltern sind wohlhabend, er wohnt in einer schicken Gegend, steht kurz vor der Wahl zum Schulliebling und ist trotzdem verkörperte 80er-Jahre-Coolness, ein Star im Klassenzimmer und mit einem der hinreißendsten Mädchen der Stadt liiert.
Alles wäre also bestens, wenn ihm nicht vermehrt unheimliche Kleinigkeiten in seiner Familie auffallen würden. Anfangs scheint seine Wahrnehmung ihn zu trügen, doch beginnen die Dinge an Relevanz zuzunehmen, als sein Freund ihm ein Tonbandgerät zeigt, auf dem klar zu hören ist, dass Unfassbares in seiner Familie vorgeht.
Doch sein ganzes Umfeld scheint ihm nicht zu glauben, bis wenig später sich sogar der Inhalt des Tonbandes ein anderer zu sein scheint – und sein Freund bei einem Autounfall am gleichen Tag stirbt.

Kritik

Society startet nicht nur langsam und unaufgeregt, sondern regelrech ernüchternd. Eine kaum bemerkenswerte Bildspache, eine grobe, wenig sorgfältige Charakterzeichnung und -entwicklung und eine wahrlich beschämende Synchronisation, in der der Film auf dem Festival mangels beschaffbarer Alternativen gezeigt wurde, verhindern Identifikation und Spannung im üblichen Sinne. Lange Zeit ist ungewiss, wohin der Film möchte und was er eigentlich ist und nur die im Hintergrund überall auftauchenden Gemälde, die vor Obszönitäten strotzen, und die leicht verschrobene Grundstimmung sind als interessante Details auszumachen, während der Rest schlichtweg sonderbar wirkt und bestenfalls narkotisierte Erinnerungen an die Eis am Stil-Zeiten wachrütteln.
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Er nach einer ganzen Weile, wird klar, dass die sonderbare, nicht selten ärmliche Fortbewegung der Geschichte einem ganz eigenen System zu folgen scheint. Nach und nach entwickelt sich die leidlich unterhaltsame Detektivarbeit des arroganten High-Society-Schülers Billy zu einer merkwürdigen Tour de Farce, die sich im letzten Drittel schrittweise, aber unaufhaltsam zu einem surrealen Kompott aufgebläht. Irgendwann sind alle Figuren nach außen gekehrt, verständigen sich mit komplett zusammenhangsfreien Sätzen und tragen Schuhwerk von Nike. Der Schluss öffnet einen Strudel sumpfiger Entartung, die in Sachen Schrägheit wahrhaftig ihres Gleichen sucht und den Zuschauer schließlich fassungslos mit nicht zu erwartenden Eindrücken und der Frage, was zum Geier es mit der Haare verputzenden Mutter auf sich hat, zurücklässt.
Mit Society lotet Yuzna bereits auf höchst eigene Weise die Grenze zwischen Normalität und surrealer Abgründigkeit aus. Das Bizarre wird mit dem Biederen auf eine noch ausführlichere und kontrastreichere und eine viel hemmungslosere Weise konfrontiert, wie wenig später in seinem Kultwerk Re-Animator.

Fazit

So unpassend der Anfang vorerst scheint und so wenig fesselnd dieser anmutet, ist er doch das einzige in Frage kommende Tor, durch das der Zuschauer schreiten muss, um das bizarre Fest fleischiger Obszönitäten am Ende in seiner ganzen Heftigkeit erfahren kann. Auch wenn der Film durch seine rücksichtslose Dramaturgie nicht jedem gefallen wird, ist kaum ein Zuschauer vorstellbar, der Society nicht mindestens als interessante Seherfahrung verbuchen wird.

I am Ichihashi – Journal of a Murderer

15. Japan-Filmfest Special 6

Until I Was Arrested lautet der Titel des autobiographischen Werks, das Tatsuya Ichihashi im Gefängnis schrieb, um seine Version der Ermordung von Engländerin Lindsay Hawker und die anschließende, zweieinhalb Jahre anhaltende Flucht durch Japan zu schildern. Die Familie des Opfers verweigerte die Annahme der Verkaufserlöse.
Regisseur Dean Fujioka übernahm in seiner Adaption ebenfalls die Hauptrolle.

Dead by suicide or misadventure.

Story

Tatsuya Ichihashi vergewaltigte und ermordete die 22-jährige Lindsay. Es war seine erste schwere Straftat. Als die Polizei ihn zu verassen versuchte, floh er nur mit einem Rucksack mit Süortkleidung. Eine Flucht, die quer durch Japan führen und über zweieinhalb Jahre andauern sollte. Eine Flucht vor einem ganzen Land, der Schuld und sich selbst.
Irgendwo auf diesem Weg willige er ein, ein Interview zu geben, bei welchem die Fragen zu barsch für sein strapaziertes Gewissen sind und er selbst zu desozialisiert für die Fragen ist.

Kritik

Das Gesicht Ichihashis ist geisterhaft leer, aber auch schön, zerbrechlich, in manchen Einstellungen durch seine Leere fast schon erhaben. Er wird zutiefst menschlich und doch unverkennbar krank dargestellt. Unverkennbar Bestie. Inkompatibel. Sich dessen bewusst, darunter leidend. Er ist ein Schatten, zerrissen, unrettbar, wie er unter der Last seines Vergehens ziellos durch Japan flieht, während die Zahl der Verfolger stetig zunimmt und sein Kopfgeld bis ins Groteske anschwillt. Eine Flucht vor den Behörden, der Schuld, vor sich selbst und den Fragen, die alle drei an ihn haben, vor allem aber wohl vor den Antworten, die gegeben werden könnten. Dabei verliert er sich vor lauter Angst zwangsläufig selbst, wird fast eigenschaftslos und leer.
Die Vermittlung der Geschichte ist direkt, schmerzhaft, nah am Mann und doch ständig mit einer gewissen Distanziertheit behaftet die dem Zuschauer seine urteilfordernde (und sei es nur das Urteil, nicht zu urteilen) Beobachterposition vorhält. Die Farben sind kalt und schwer, die Kamera spähend, häufig fast schon versteckt und Geräusche nicht selten ebenso laut wie die Stimmen der Menschen. Der Film stilisiert den Fluchtweg Ichihashis auf eine Weise, die das Essenzielle in gekonnt abstrahierter Form darbietet, sich dabei aber trotzdem fast schon naturalistisch anfühlt.
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I am Ichihashi – Journal of a Murderer ist ein gewagtes Projekt, da die thematisierten Ereignisse und ihr Gedenken noch offen und frisch sind. Der Film enthält sich einer Bewertung der Ereignisse. Er spricht sich nicht für seinen Protagonisten aus – distanziert sich durch Texttafeln am Anfang und Ende sogar kritisch – verweigert aber ebenso eine Tendenz zum Schuldspruch. Er ist ein Beobachter, der sich eines Werturteils enthält. Und mit ihm der Zuschauer, der sich in der unangenehmen Situation empfindet, selbst Antworten und eine eigene Positionierung der Hauptperson gegenüber finden zu müssen. Eine keineswegs angenehme Aufgabe. Es ist kein Film über die Suche nach Schuld, vielmehr stellt er die leise Frage nach der Natur von Schuld. Es ist eine Geschichte, die von dem Trauma eines Mannes berichtet, der seine Identität ablegte und sich Schuld überstreifte, um sich rastlos und auf der Suche nach einem unmöglichen Neuanfang einem Ende anzunähern. Die Unmöglichkeit seiner Suche findet im letzten Drittel ihr Kulminationsmoment, wenn er auf einer leeren, kahlen wie kalten Insel seinen Irrgang durch sinnlos verwuchertes Dickicht antritt, ohne die Möglichkeit auf ein Ziel, sondern das Ziel in der Kreisbewegung, im Nomadentum findet, wenn auch nur kurzfristig. Es ist kahl, verwittert, lerr, bitter, windig, wüst, durch und durch trübsinnig. Ichihashis Odyssee entpuppt sich mit jeder Station, mit jeder neu angenommenen Identität als metaphysische Reise in den gesellschaftlichen wie individuellen Nexus.
Unterbrochen wird die Reise des Mörders von Interviewausschnitten, die zeitlich und räumlich vorerst unverortbar sind. Die Fragen, die dem zusammengekauerten Flüchtling gestellt werden, stehen im harten Kontrast zum Rest des Filmes. Sie sind nicht nur streng, sondern aggressiv und wenig ergiebig, wirken zu gestellt im Vergleich zum abgeklärten Rest und stören den Fluss des Filmes, obwohl sie als erzählerische Klammer durchaus sinnvoll sind.
So interessant I am Ichihashi auch ist, leicht genießbar ist dieses Werk kaum. Zu sperrig, zu sehr in die eigene Leere gerichtet und ohne klassisches Narrativ. Wie auch ihre quasi einzige Figur erscheint die Erzählung selbst ziel- und beinahe willenlos getrieben. Das ist notwendig, da sich der Film entscheidet, ein Urteil zu meiden, führt aber somit zu einer Seherfahrung, die durchaus ins Anstrengende übergleiten kann. Auch deshalb, weil der Film zwangsläufig im Nichts enden muss und den Zuschauer ratlos und erschöpft in ein verwirrend fröhliches Abspannlied entlässt.

Fazit

Eine mutig eingenommene Perspektive auf noch frische Ereignisse, die sich nie der Suche nach Schuld widmet, sondern dem Zuschauer die seltene wie anspruchsvolle Aufgabe überlässt, den gebrochenen Täter auf seiner Flucht kennenzulernen und sich möglichst unbeeinflusst ein Urteil zu bilden. Gestützt wird das Wagnis von einer kalten, abweisenden Atmosphäre in noch kälteren Bildern. Dass I am Ichihashi – Journal of a Murderer keine einfache Seherfahrung ist und einen auch nicht mit dem Bedürfnis nach Tanzliedern zurücklässt, ist quasi obligatorisch.

Miss Zombie

15. Japan-Filmfest Special 5

Hiroyuki Tanaka, besserf bekannt unter seinem Künstlerpseudonym SABU, und bekannt wohl aufgrund von verschrobenen Filmen wie Monday, Blessing Bell und Postman Blues, hat sich in den letzten Jahren etwas rar gemacht. Nun kehrt der Kultregisseur zurück mit etwas für seine Vita sehr Ungewöhnlichen: Einem Zombiefilm. Wenn auch einer der ganz anderen Art.

Feed fruits or vegetables.

Story

In der Zukunft Japans lief die Zombifizierung der Gesellschaft ungewöhnlich ab. Schnell bekam man die Epidemie unter Kontrolle und eigentlich war die Welt wieder sicher. Außerdem gibt es Zombies verschiedenen Grades – es ist kein bipolares Entweder-Oder-System, sondern jeder Zombie hat zu gewissen Graden Menschlichkeit. Je mehr von dieser, desto geringer ist die Aggressivität.
Ein wohlhabendes Ehepaar ordert sich halblegal eine Zombiedinerin. Ihr Name ist Sara und sie soll als untotes Hausmädchen den Hof ihrer Halter pflegen.
Neben ein paar ungehobelten Lüstlingen sorgen aber auch aufkeimende Spannungen innerhalb der Familie für Probleme, denn die Anwesenheit von Sara bringt Veränderungen mit sich.

Kritik

Was immer SABU in den vergangenen Jahren auch getrieben hat, er hat gewiss nicht stillgesessen. Miss Zombie, und das merkt man ab der ersten Minute, ist das mit enormem Abstand reifste, wohlkomponierteste Werk des Regisseurs. Mit seiner Zombieparabel in Schwarzweiß hat er nicht nur seinen ungewöhnlichsten Genreausflug gemeistert, sondern auch noch einen der ganz wenigen modernen Schwarzweißfilme geschaffen, welche mit Fug und Recht behaupten dürfen, von ihrer Farbarmut enorm zu profitieren. Jedes Bild wie gemalt, jeder Schwenk ein gut durchdachtes Beben und jeder Schnitt ein Schritt beim Tanze. So, wie SABU es schafft, die Schwarzweiß-Kontraste zur Geltung zu bringen, hat man es in den letzten Jahren nirgends betrachten dürfen. Miss Zombie spielt ästhetisch ganz weit vorne mit. Das durchdachte Sounddesign, das mit Klarheit, Präzision und einer ungemein stimmigen Auswahl glänzt, und das hervorragende Editing werden fallen dadurch erst an zweiter Stelle auf – was sie nicht weniger gut und wirkungsvoll macht. Selbiges treffen auf den Bildaufbau und die erstaunlich effektive Raumgeometrie mit ihren Linien und Formen, zu. Das perfektionistische Gesamtbild ist ein Erlebnis, ohne dass man je das Gefühl bekommt, der Film könnte sich in seiner Schönheit selbst verlieren. Alles trägt optimal zur Stimmung herbei und liefert der Erzählung bemerkenswerte Unterstützung. Es verhält sich wie mit dem Jungen des Paares, das in einer kurzen Szene in der Mitte des Filmes mit der Sofortbildkamera durch den Hof trabt und fotografiert, was ihm im Augenblick gefällt. Die Bilder greifen allesamt aus ihren Momenten das Maximale an Schönheit; trotzdem bieten sie keinen verklärten Blick auf ihren Gegenstand, sondern etwas Reines, Unschuldiges, Naives, das nicht sensationslüstern, sondern einfach nur neugierig ist.
Der für Tanaka typische sehr spröde Humor fehlt auch hier nicht zu Gänze, ist aber nur selten und sehr leise eingebettet, als wüsste er sich aus Respekt vor seinem Gegenstand zurückzuhalten.
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Die Geschichte selbst kommt so langsam voran wie ein Zombie, ist dabei aber bei weitem ansehnlicher. Auf der einen Seite steht das sich zart, aber unaufhaltsam entwickelte Drama, das zwischen Ehemann, Gattin und Diener-Zombie entsteht, und langsam auf eine Eskalation
hinsteuert. Auf der anderen der kritische Hinweis auf den tatsächlichen Zustand in Japan, wo unzählige Hausmädchen illegal beschäftigt und auf ihre bloße Tätigkeit reduziert werden und in ertragender Unterwürfigkeit ihr Dasein fristen, wodurch fast schon eine Zweiklassengesellschaft mit stark patriarchalischer Ausprägung entsteht.
In den schönen Bildern von Miss Zombie ist viel zu entdecken und viele Szenen glänzen mit Doppelbödigkeit, ohne auch nur kurz von oben herab belehrend zu wirken.
Die Geschichte um ein Mädchen, das ausschließlich für den Dienst lebt und sich im Geheimen nach Identität sehnt, aber für eine Gesellschaft arbeitet, die sie nie erreichen kann, ist schwer anzusehen, obwohl sie in berauschend schönen Bildern erzählt wird.

Fazit

Einer der wirklich wenigen relevanten Zombiefilme, der sein Schwarzweiß nicht als selbstzweckhafte Show nutzt, sondern tatsächlich einen enormen ästhetischen Mehrwert aus seiner fast vollkommen entfärbten Welt zieht.
Sowohl das hintergründig grollende Drama auf Plotebene als auch die gesellschaftskritische Analogie funktionieren selbstständig als auch zusammen bestens, wodurch sich ein zwar sehr langsamer, aber deswegen nicht minder fesselnder Film entsteht, der sich zudem als eine der außergewöhnlichsten Genrevertreter herausstellt.

Slum-Polis

15. Japan-Filmfest Special 3

Frischer, unbefangener Esprit eines Teams von Grünschnäbeln, große Inspiration durch ein ebenso großes Vorbild, Gespür fürs Essenzielle, ein glückliches Händchen für Locations und das glücklichste für Ästhetik. Mehr braucht es nicht.

Kalt!

Story

Ein gewaltiges Erdbeben zerstörte im Jahre 2018 das bekannte Gesicht Japans. Während die Schäden in den urbanen Zentren mit der Zeit behoben wurden, herrscht in den Randgebieten immer noch das Chaos. Ein solcher Bezirk ist Slum-Polis, wo das Gesetz das Feld freiwillig rivalisierenden Gangs überlassen hat, die das Leben in den Trümmern mit Prostitution und Drogenhandel bestimmen.
Als die beiden Freunde Asu und Joe eine zentrale Figur des Rauschgifthandels töten und sich seine Ware unter den Nagel reißen, eröffnen sich ihnen verheißungsvolle Perspektiven, während sie gleichzeitig auf der Abschussliste der großen Gangs landen.
Verkompliziert wird die Situation durch die mittellose Künstlerin Anna. Anfängliche Streitpunkte verlieren rasch an Bedeutung. Die zarte freundschaftiche Dreiecksbeziehung gewährt den Dreien einen Augenblick des Friedens. Man malt, schießt auf Büchsen und klimpert auf dem Keyboard, stets in der Gewissheit, dass der Frieden nicht von Dauer sein kann.

Kritik

Wird bei Menschen gemeinhin der erste Eindruck als der Wichtigste erachtet, liegt es bei Kunst anders. Entscheidend ist, was man mit hinausnimmt, wie sie nachhallt, sich entwickelt und im besten Falle erst dann so richtig wächst, wenn sie von sich allein gelassen wurde, immer wieder bereichert durch die Arbeit des Rezipienten.
Daher stellt diese Rezension Slum-Polis gleich zu Beginn als eine unverkennbare Nachahmung vor. Die Art der Inszenierung, die Zusammensetzung der Diegese, die Betrachtungsweise der Figuren, dr Verlauf und die Gangart der Geschichte; das Grundgefühl des Filmes bis hinein in einzelne Szenenbilder und -verläufe ist übernommen von Shunji Iwais großem Meisterwerk Yentown – Swallowtail Butterfly.
Und nun zu den wichtigen Aspekten, die es verdienen, in Form des finalen Eindrucks erinnert zu werden.
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Slum-Polis, und das ist das Verblüffendste, ist ein Uni-Abschlussfilm. Aber auch das ist eigentlich sofort zu vergessen und wird auch ab der ersten Szene vergessen. Denn Slum-Polis ist außerdem ein perfektionistisches Kleinord, das in sämtlichen formalen Aspekten brilliert.
Die Geschichte entrollt sich wie von alleine aus der erdrückenden Atmosphäre, die unter dem allgegenwärtigen Elend der Menschen, die ihr Heil in Selbstaufgabe suchen, ständig Lebenswillen und ungebremst eurphorische, im besten Sinne romantische Energie grollen lässt. Der Kamera gelingt es, den verheerten Landstrichen der Fukushima-Katastrophe eine urtümliche und bewegende Friedfertigkeit abzugewinnen. Die ungezwungene, sehr aufmerksame Kameraarbeit und die bestechend stimmige Mise en Scène kreieren freche wie sanftmütige Eindrücke. Hand in Hand mit dem visuellen Ästhetikbewusstsein geht das Gespür für den richtigen Ton. Immer wieder präsentiert der Film Collagen der Entwicklung oder stimmungsgebende Impressionen aus dem Alltag der drei Protagonisten, zu denen der herausragende Score gespielt wird. So gut das durchweg funktioniert, merkt man an diesem Punkt doch am deutlichsten, dass es sich um das Erstlingswerk eines sehr jungen Regisseurs handelt, denn der manipulierende Einsatz von Musik findet entschieden zu oft statt, sodass man schon früh auf den Gedanken käme, dass sich die Erzählung viel zu sehr auf diesen Aspekt verlassen würde, wenn diese Sequenzen nicht jedes Mal trotzdem direkt ins Herz gingen.
Neben dem inflationären Musikeinsatz findet sich ein zweiter klassischer Anängerfehler: Die Geschichte verpasst ihr eigenes Ende. Der richtige Augenblick, einen pointierten Schluss der Geschichte zu finden, wenn sie sich in voller Blüte befindet, wird von Slum-Polis verpasst. Stattdessen läuft der Film noch eine gute halbe Stunde weiter. Wie schon beim Musikeinsatz ist das eigentlich zu verschmerzen, weil alle Eigenarten, die dem Film seine Großartigkeit geben, natürlich beibehalten werden, doch erleidet gerade ein eigentlich ausgezeichnetes Werk durch solche Unstimmigkeiten merklich schaden. Gen Ende wird die emotionale Schraube ein paar mal zu weit
gedreht, obwohl eigentlich schon alles erreicht ist.

Es beginnt rhythmisch, treibend, pulsierend in einem Club. Körper flackern und beben. Das ‚Slum‘ in Slum-Polis ist ebenso zu erkennen wie das ‚Polis‘. Unsere beiden Protagonisten töten aus Habgier einen Mann und rennen davon. Wie talentiert Newcomer Ken Ninomiya ist, lässt sich schon daran ablesen, dass er es trotzdem schafft, die beiden Mörder binnen Minuten als liebenswerte Wesen einzuführen, die vor Sehnsucht bersten und Taten wie Umfeld zum Trotz viel Schönes in sich verwahren. Neben den veredelten Bildern ist es die bemerkenswert geschickte Schauspielführung, die dazu führt, dass dieser dystopisch-trostlose Film allem voran ein eine erbende Erzählung über das Wunder der Freundschaft geworden ist. Über die Suche nach Glück, Erfüllung und auch ein wenig nach sich selbst. Vor allem das außergewöhnliche, herzerwärmende Minenspiel von Asu öffnet ein direktes Tor in die emotionale Welt der Männer. Denn natürlich ist Slum-Polis vor allem ein Stimmungsbild der Sinnsuche einer orientierungslosen Generation, die mit Sehnsüchten aufwächst, die zu erfüllen ihre Zeit nicht in der Lage ist. Es ist ein Fim über Kompensation und Genügsamkeit, ebenso wie über Eskalation, Verzweiflung und Liebe.

Wäre Yentown – Swallowtail Butterfly einfach in seinem ersten Drittel hängengeblieben, dann wäre es vielleicht Slum-Polis geworden. Doch ist der Film viel zu tief, viel zu ehrlich und vor allem viel zu bezaubernd, um ihm mit gutem Gefühl als Plagiat zu bezeichnen. Hommage wäre wohl das passendere Prädikat – und einen einzigartigen und eigentlich unnachahmlichen Film wie Yentown mit einer derart versierten Überzeugung zu ehren, ist schon eine Leistung für sich, die kaum genug gewürdigt werden kann.

Fazit

Slum-Polis mag auf dem Papier eine Gangsterballade in dystopischer Umwelt sein. Als direkte Erfahrung ist es jedoch ein kleines Meisterwerk mit viel Liebe. Vor allem die Liebe fürs Kino selbst. Dass ein Debütant mit einem solchen Maß an Stilsicherheit zu Werke geht, lässt ihn zum vielleicht größten Hoffnungsträger des Gegenwartskinos werden

Japan-Filmfest Special: Minus by Minus

Japan-Filmfest Special 1

Film 1 des Japan Film-Festes in Hamburg ist ein Erstlingswerk eines vormaligen Produzenten, der hier nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch beigesteuert hat. Minus by Minus, oder -X-, wie der Film im Original ein wenig eleganter heißt, ist typisches japanisches Erzählkino der sehr gediegenen Sorte.

Story

Ein Taifahrer bringt eine Frau in ihre Wohnung, bleibt dort eine Weile, beginnt eine seichte Unterhaltung, spielt mit ihr ein Brettspiel und versinkt in unerwartet rüden Fantasien. Auf seinem Rückweg laufen ihm zwei Mädchen im Teenager-Alter über den Weg. Sie sind beste Freunde, doch scheint die Zukunft sie auseinanderzutreiben. Während eine den genauen Werdegang ihres Lebens als kläre Linie vor sich sieht, taumelt die andere immer noch in pubertärer Orientierungslosigkeit durchs verwirrende Japan der Gegenwart, leidet unter der Trennung ihrer Eltern und muss dabei zusehen, wie die enge Bindung zu ihrer Freundin zu kippen droht.

Kritik

Minus by Minus beginnt unterschwellig wahnsinnig und tisch skurrile Gespräche auf, die sich in ihrer Behäbigkeit Zeit zum Entfalten lassen. Alles ist gesetzt, ruhig und langsam, doch wirken die Charaktere anfangs eindeutig entrückt. Eine sonderbare Faszination enströmt dieser Stilkombination, wenn man sich auf das Tempo einlassen kann. Der kurze Ausflug in die Fantasie des Taxifahrers droht das Konzept dann mit abgründig schwarzem Humor zum Kippen zu bringen und scheint eine uneinsehbare Kurve nehmen zu wollen, doch endet dies nach wenigen Minuten – und lässt nichts zurück als einen verwirrenden Nachgeschmack.
Die Geschichte der Freundinnen und ihrer Probleme nimmt sogar noch mehr Tempo aus dem eh schon behäbigen Treiben. Sie treiben durch die Tage und erleben die Jugend in authentischer Schwermut. Nichts geschieht und doch scheint alles im Wandel begriffen zu sein. Die Phase im Leben, in der alles bleischwere Ankündigung zu sein scheint, ohne dass sich diese je konkret bewahrheitet. Manchmal schrammt das Geschehen schon fast am Surrealen vorbei, bevor die Schaukel wieder nach hinten schwingt und wirkliche Ausprägungen in diese Richtung vermieden werden. Immer wieder präsentiert der Film winzig kleine, aber wunderbare Ideen, verpackt in anfangs unscheinbare, doch im Kern sehr sonderbare Einfälle.
Technisch wird diese Schiene ebenfalls befahren. Mit wenig mehr als einer Handkamera und unbekannten Gesichtern errichtet Minus by Minus immer wieder verzaubernd kleine Ästhetik-Bauten, die nur für Momente existieren, doch ausgiebig nachwirken.
Ständig wirkt der Film so, als wüsste er eigentlich nicht so recht, wo er hin will, fühlt sich dabei aber gleichermaßen so an, als hätte er ein fixes Ziel vor Augen, das aus vielen kleinen besteht. Auch hier findet sich die mürbe Mentalität der unablässig fordernden Großstädte wieder, denen sich ihre Bewohner Tag für Tag stellen müssen, um in ihnen zu bestehen und ihre eigene Identität zu beweisen. Auf gescheite Weise und ohne erhobenen Zeigefinger werden mit unausgesprochenen Fragen die Problemen der heutigen Gesellschaft in Japan zu Brust genommen, während immer mal wieder tragisch-komische Elemente das trübe Bild auflockern. Etwas, das durchaus etwas häufiger passieren könnte, denn über die Laufzeit von 2 Stunden treibt die ziellos streunende Geschichte immer mal wieder gen Langeweile, die nicht zuletzt dadurch provoziert wird, dass die erste, sehr knappe Geschichte viel kurzweiliger ist als die ausgedehnte zweite. Das alles mag gewollt sein, macht die Erfahrung des Filmes aber zu keiner leichten Kost, sondern verlangt Geduld und langen Atem vom Zuschauer.

Fazit

Zwischen Orangen werfenden Herren, Sinnsuche und mahlender Alltäglichkeit navigiert der Film sich zu einem Ende, das so unvermittelt und absichtlich aussagelos daherkommt wie sein Beginn. Ein Portrait des modernen Japan als Mischung aus Road-Movie und Groteske, die einen eigenartigen Drive entwickelt, sich mit zunehmender Laufzeit aber zu schleppend voran bewegt.