Advantageous

Schon wieder so ein Film, der sich am einfachsten (natürlich aber nicht ausschließlich) über Netflix schauen lässt. Doch was soll man tun – denn auch Advantageous kann mit Eigenständigkeit und Mut überzeugen.

You make me very happy.

Story

Gwen ist das Gesicht, das die Öffentlichkeit mit des „Center For Advanced Health And Living“ – ein Unternehmen, das zukünftig das revolutionäre Angebot auf den Weltmarkt bringen soll, Körper tauschen zu können. Körperlich benachteiligte, Unzufriedene, Alte – jeder, der möchte, soll dann einfach einen neuen Körper bekommen können. Effizienter, sicherer und schmerzfreier als jede Schönheitsoperation. Das passt perfekt in eine Welt, in der das Äußere des Menschen wichtiger denn je ist.
Gwen hingegen passt weniger in diese Zeit, denn der Alterungsprozess sorgt dafür, dass man sie ihrer Stelle entheben will, um ein jüngeres Zielpublikum anzusprechen. Die alleinerziehende Mutter wäre dann nicht in der Lage, ihre hochbegabte Tochter Jules, die zugleich auch ihre engste Freundin ist, auf die richtige Schule zu schicken. Als ihre Suche nach anderen Geldquellen stockt, bleibt ihr nur die Überlegung, das erste Testsubjekt des eigenen Firmenproduktes zu werden. Doch ist die Aufgabe ihres Körpers – mit sämtlichen unvorhersehbaren Risiken – dies wirklich wert?

Kritik

Zu künstlich wirken aber auch die Effekte. Ob Qualm aus Gebäuden wogt, ob Polizeieinheiten wie Miniatur-Milleniumflalken über die Köpfe der Protagonisten Zischen oder einfach nur die Skyline im Bild ist – dass all dies aus dem Computer stammt, ist jederzeit allzu deutlich. Da aber die anderen Produktionswerte stimmen, der Film sich um einen markanten Stil bemüht und es am Schauspiel nichts auszusetzen gibt, ist dies eigentlich nur eine Kleinigkeit. Schade ist es dennoch, denn bei einigen Designs, allem voran bei der äußeren Gebäudegestaltung, ist viel Liebe zum Detail zu erkennen.

Der erste – scheinbare – Knackpunkt ist die Frage, ob die Prämisse der gesamten Geschichte für einen abendfüllenden Spielfilm als Allegorie taugt oder zu seicht ist. Advantageous spielt, wie unzählige andere Erzählungen ebenfalls, in einer Gesellschaft, in der nicht nur die Technik, sondern auch der Fokus auf das Äußere der Frau, auf Jugend, Attraktivität, Angepasstheit sich verstärkt hat. Aus dieser Ausgangslage arbeitet sich dann die eigentliche Geschichte heraus, die viel mehr zu bieten hat, als man eingangs vermuten mag. Es ist die eines Mutter-Tochter-Gespanns, das die Welt zu verstehen und sich zugleich in ihr zu behaupten versucht; auf eine sehr tragisch-intensive Weise. Dass das keineswegs zu schlapp wirkt, sondern sehr zu gefallen weiß, liegt vor allem an drei Dingen. Der Machart, der Welt und den beiden überragenden Hauptdarstellerinnen.

Denn die Welt hat neben der Prämisse der Geschichte noch mehr zu bieten. Diese Zukunft ist hell, aber düster. Radiosprecher erzählen von ansteigenden Sexarbeitern im Kindesalter, künstliche Intelligenzen wachsen unmerklich über die Menschen hinaus, zwischen den glatten Firmen werden Individuen zerdrückt, die nicht schnell genug lernen, um im Zuge des Fortschritts weiterhin nützlich zu sein, aber zu schnell altern, um den Ansprüchen ihrer Mitmenschen nicht mehr genügen zu können. Die Gesellschaft ist schneller, weiter und kannibalistischer denn je. All das könnte leicht auch zu abgeschmackt wirken, erscheint in seiner Komposition aber stimmig, bedrückend und auf perfide Weise interessant.
Jacqueline Kim (zugleich auch für das Drehbuch und die Produktion verantwortlich) als entschlossene Frau füllt ihre Rolle äußerst glaubwürdig und überzeugt mit einem kontrollierten Minenspiel. Besonders herausstechend ist aber Tochter Jules, deren sehr eigene, unkindliche Persönlichkeit durch Nachwuchstalent Samantha Kim mit einer phänomenalen Natürlichkeit belebt wird. Das ist besonders imponierend, wenn man sich die Nachnamen der beiden Darstellerinnen anschaut.
Aufgrund der Konstruktion der Zukunftswelt und einer ungewöhnlichen Kamera- und Schnittarbeit, deren Besonderheit nur schwer zu erläutern ist, ergibt sich daraus ein eindringliches Sci-Fi-Drama über Mut und Verzweiflung.

Fazit

Von der auf den ersten Blick schablonenhaften Prämisse von Advantageous sollte man sich nicht täuschen lassen, denn aus dieser entspinnt sich ein sensibler, aufregend fotografier, konsequenter und trauriger Film über das Schicksal zweier Verlorener, die für sich und einander kämpfen. Ein Film über das Scheitern von Großen.

A Scanner Darkly – Der Dunkle Schirm

Philip K Dick-teilte sich mit Tolkien das „Unverfilmbar!“-Prädikat, das beiden lange Zeit anhaftete. Natürlich ist Blade Runner ein famoser Film, doch kann man den Roman Do Androids Dream of Electric Sheep? bestenfalls als Inspirationsquelle bezeichnen, so frei geht der Ridley Scott-Film mit der literarischen Grundlage um. Gleiches gilt für Total Recall und Minority Report.
Ausgerechnet eines seiner besten, untypischsten und irgendwie auch unverfilmbarsten Bücher bekam dann eine Adaption, die vorlagentreu und gut ist. A Scanner Darkly.

What does a scanner see? Into the head? Into the heart? Does it see into me? Clearly? Or darkly?

Story

Fred ist bei der Drogenfahndung und ermittelt undercover als Junkie Bob Actor in der Szene, um irgendwie und irgendwann an die großen Fische im Milieu zu kommen. Sein Alter Ego wohnt mit ein paar abgehalfterten Tunichtguten in einem verlotterten Haus. Die ein- und ausgehenden Freunde hängen rum und werfen sich Substanz T ein, eine hochgradig süchtig machende Droge. Auch Fred/Bob ist ihr verfallen, damit sein Doppelleben möglichst authentisch auf sein Umfeld wirkt. Da das Dezernat ständig fürchten muss, von Kriminellen unterwandert zu werden, tragen sämtliche Ermittler, wenn sie die Zentrale betreten, einen Jedermann-Anzug,  mit dem sie nicht zu identifizieren sind. Auf diesem Weg weiß nur Fred selbst, dass er als Bob Actor ermittelt, weil niemand bei der Behörde sein wahres Aussehen kennt.
Die Lage spitzt sich zu, als Fred die Order erhält, für die Verwanzung und Überwachung seines respektive Bobs Hauses zu sorgen. Plötzlich muss er sich selbst und seine alltäglichen Begleiter observieren und regelmäßige Berichte über den Bespitzelungsvorgang anfertigen, während seine Sucht immer größere Ausmaße annimmt, ihm beide Parteien auf die Schliche zu kommen scheinen und sich zu über allem Überfluss eine Identitätskrise, die sich wahrlich gewaschen hat, ihrer Vollendung nähert.

Kritik

Philip K. Dicks A Scanner Darkly ist ein Meisterwerk und eine Lektüre jedem wärmstens ans Herz zu legen. Großartige Sprache, eine durchkomponierte und – besonders die Verhältnisse des Autors – stringente Geschichte, eine Heerschar umwerfender Ideen und ein Verwirrspiel, das gleichzeitig klug und höchst unterhaltsam geraten ist. Darüber hinaus ist es K Dicks wohl persönlichstes, aufrichtigstes Werk mit unverhohlen autobiografischsten Zügen. Die meisten Figuren wurden Personen nachempfunden, mit denen der Autor sich umgab, als er Erfahrungen mit Amphetaminen und LSD machte und nur noch unter Einfluss von Aufputschmitteln schrieb. Es ist ein Mikrokosmos voll mit spleenigen Charakteren, bei dem es Stilmittel und Aussage zugleich ist, dass eigentlich sehr wenig passiert. Das Leben dieser Gestalten ist ein einförmiges, das nur sie selbst als aufregend wahrnehmen, weil sich um ihre Psychosen herum schillernde Paranoia rankt, die sich mit den Angstzuständen der anderen verschränkt und die entlegensten Wahnvorstellungen plötzlich zur realen Bedrohung werden lässt. Die Ernsthaftigkeit in der Absurdität und die strenge interne Fokalisierung sind es, die den Zuschauer selbst in die verworrene Gedankenwelt der Spinner hineinversetzt und alles rationale Wissen und die Kalkulierbarkeit von Wahrscheinlichkeiten plötzlich drastisch reduziert. Denn Paranoia ist ansteckend.

Wie soll man aber ein Werk verfilmen, das hauptsächlich aus repetitiven Abläufen und den realitätsentzogenen Bandwurmmonologen schrecklich kaputter Menschen besteht? Ein Werk, dessen Reiz wie so oft in der Sprache zu finden ist. Die Antwort von Autor und Regisseur Richard Linklater ist verblüffend klar: In erster Linie verfilmt man den Stoff genau so, wie er ist.
Tatsächlich überrascht A Scanner Darkly mit etwas, was keine andere Verfilmung des Sci-Fi-Gurus von sich behaupten kann: Akkuratesse. Viele Dialoge wurden eins zu eins aus der Vorlage übertragen, die Reihenfolge der Geschehnisse ist meist identisch, die Figuren kaum variiert und das Buch von allen Beteiligten wohl ziemlich oft und ziemlich gründlich gelesen worden. Um auszugleichen, was durch den Mangel an filmisch darstellbarem Schreibstil fehlt, wurde ein neuartiger visueller Stil entworfen: Auf jede gedrehte Szene wurde mittels eines vektorbasierten Verfahrens drüber gezeichnet – sprichwörtlich. Das Ergebnis ist eine einmalige Gleichzeitigkeit von Real- und Zeichentrickfilm. Und tatsächlich, die Rechnung geht auf. Genau wie in der Romanvorlage erhält der Zuschauer die Ahnung eines Gefühls, wie es sein muss, selbst inmitten dieser von Drogen und totaler Überwachung verstopften Endstationswelt zu stecken – und all das mitzuerleben; aktiv, weil ebenso beeinflusst und anfällig für die abstrusen Gedankenspinnereien der Protagonisten, passiv, weil unfähig zu intervenieren, während die Situation sich mitsamt ihrer Akteure unweigerlich der Eskalation nähert.
Die totale Paranoia wird verstärkt durch subtilen Einsatz psychedelischer Klänge.

Die Schauspieler durchliefen diese Transformation gleichfalls und entpuppen sich als frappierend gute Besetzung für das kaputte Figurenensemble der Geschichte. Einzig Woody Harrelson als Ernie Luckman wirkt an einigen Stellen etwas deplatziert, was jedoch kaum weiter ins Gewicht fällt. Er, Keanu Reeves, Robert Downey Jr., Rory Cochrane und Winona Ryder zappeln, nuscheln und brabbeln was das Zeug hält, und das mit einem Affenzahn.
„Affenzahn“ ist etwas, das auch auf den Film als Ganzes zutrifft. Da man der Buchhandlung gerecht werden wollte, wurde nur wenig gekürzt. In Folge passiert in den 100 Minuten Film sehr viel sehr schnell sehr hintereinander. Das hysterische Tempo der Gespräche im eh sehr geschwätzigen Film ist maßgeblich für das ganze Geschehen. Gerade der Fakt, dass die Gleichförmigkeit des Daseins mit einem derartigen Tempo vermittelt wird, verstärkt den Drogeneffekt enorm. Das führt dazu, dass A Scanner Darkly eine sehr authentische, sehr spannende und recht experimentelle, dafür aber auch eine etwas sperrige, die eigenen Sehgewohnheiten hinterfragende Filmerfahrung ist.
Trotz des teils exakt übernommenen Wortlauts und dem Bemühen, alles Relevante miteinzubinden, muss die Geschichte natürlich mit so eklatanten wie notwendigen Auslassungen leben, damit Substanz und Atmosphäre des Filmes nicht verklumpen. Dadurch verliert die Story aber auch etwas von ihrer herrlich verkruppten Redundanz. Ebenfalls die Ereignischronologie wurde hier und da aus denselben Gründen etwas durcheinandergeschüttelt, was in dieser Geschichte aber kein allzu schwerwiegendes Vergehen darstellt.
Einige Elemente wie den Jedermannsanzug und die vielfältigen Drogenphantasien ließen sich natürlich gar nicht oder nur unzureichend visualisieren. Der abgedrehte Stil entschädigt aber nicht nur für vieles, sondern liefert auch Ersatz – im Falle des Anzuges sogar in symbolischer Form. Die Tatsache, dass auch Philip K. Dicks Konterfei kurz auf diesem zu entdecken ist, eröffnet, nebenbei gesagt, eine Deutungsebene, die sogar über das im Buch offensichtlich angebotene Interpretationsmaterial hinausweist.

Zwangsläufig muss die Story auf viele der wunderbaren Gedankenmonologe verzichten, die jede Tat wie  ein bizarres Badehandtuch unterlegen und der Geschichte erst ihren unverwechselbaren, genialen Drive geben. Trotzdem kann man Linklater nur reines Lob aussprechen. Er hat gemacht, was man überhaupt machen konnte. Höchstens eine Serie hätte es vermocht, näher an die Vorlage zu gelangen. Für die Möglichkeiten eines Spielfilmes ist A Scanner Darkly ein ist mehr als respektables Ergebnis mit eigenen Ideen und der notwendigen Achtung gegenüber der Vorlage.
Gerade diejenigen, welche mit den zugrundeliegenden Stoff nicht vertraut sind, dürften an einigen Stellen aber mit mittelschweren Verständnisproblemen zu kämpfen haben, weil Manches nur andeutungshalber vermittelt wird.

Fazit

Tatsächlich ist Richard Linklater das Kunstwerk gelungen, die unverfilmbare Geschichte des Großmeisters adäquat auf die Leinwand zu bringen. Das Ergebnis ist nichts, was sich unter Standard-Filmerfahrung verbuchen ließe, und gerade deswegen besonders sehenswert. Visuell und inhaltlich bemerkenswert, darstellerisch gewieft ausgelegt und unter Garantie nicht langweilig.