Kingsman – The Secret Service

Mit Der Sternenwanderer, Kick-Ass und X-Men: Erste Entscheidung lieferte Matthew Vaughn, der lange im Schatten Guy Ritchies umherschlich, drei Filme am Stück ab, die durchweg ausgezeichnet waren.
Nach dem rasanten Trailer zu seiner neusten Comicverfilmung von Millars The Secret Service durfte man sich eigentlich sicher sein, dass diese Reihe nicht abbrechen würde.

It’s not that kind of a movie.

Story

Die Kingsmen sind ein international agierender Geheimdienst, der mit dankenswerter Regelmäßigkeit die Welt rettet. Wer dort Mitglied ist, ist quasi ein Superheld ohne Superkräfte, aber mit jeder Menge Wundergadgets, die ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus sind. Ein wenig wie Iron Man – nur ohne Flugfähigkeit, inkognito, mit maßgeschneidertem Anzug statt Rüstung und einem Höchstmaß an Etikette.
Als Agent Lancelot auf einer Mission ermordet wird, muss die leere Stelle besetzt werden und, wie es die Tradition gebietet, schlagen alle Mitglieder einen vielversprechenden Rekruten vor, der sich gegen die anderen im unerbittlichen Training behaupten muss.
Veteran Harry Hart überrascht – zum wiederholten Male – mit einer unkonventionellen Wahl, als er den unmanierlichen Tunichtgut Eggsy in die Gruppe holt. Einst war es sein Vater, der mit Harry Seite an Seite kämpfte.
Während die Anwärter im Wettkampf ihre Prüfungen durchlaufen, ballt sich im Hintergrund eine globale Katastrophe zusammen – angeleitet von dem lispelnden Milliardär Valentine.

Kritik

Die drei in der Einleitung genannten Filme haben eines gemeinsam: Ihre toll anzusehende Verpackung agiert im Dienste des Inhalts. Sie alle hatten eine Mission; jedenfalls wirkt es so, so sehr schäumen Inspiration und Esprit aus ihnen heraus. Es sind Filme, die auf einer Metaebene angesiedelt sind, immer ein – in der Regel notwendiger – Kommentar zum aktuellen Zustand des jeweiligen Genres.
Vaughns neuster Streich richtet sich nicht nach dieser besonderen Leitlinie. Deswegen ist Kingsman: The Secret Service kein schlechter Film und ganz ohne Frage unterhaltsam. Gemessen am vorherigen Schaffen des Briten stellt er trotzdem eine mittelschwere Enttäuschung dar. Denn plötzlich steht kein cleveres Motiv hinter der Kurzweil. Sondern das Clevere fehlt beinahe zu Gänze.

Da wäre die Story, die nach dem klassischsten Muster verläuft und nicht ein einziges Mal von diesem abweichen will. Die Ereignisse der mehr als zwei Stunden sind zu jedem Zeitpunkt vollkommen antizipierbar. Das reicht bis zu den Beweggründen des Oberschurken Valentine, der in Tun und Wollen austauschbarer kaum sein könnte. Samuel L. Jackson vermag der Figur keine Energie einzuhauchen, nervt im Deutschen dafür aber ungemein durch seinen Synchronsprecher, der den Sprachfehler des Schurken zur vollkommenen Farce werden lässt. Das Resultat ist, dass die Szenen mit ihm zu den schlechtesten des Filmes gehören.
Kick-Ass machte durch seinen unerwarteten Gewaltgrad nicht nur von sich reden, er lebte auch durch ihn. Plötzlich waren Kampf und Tod wieder etwas Furchterregendes im milde gewordenen Superheldenkosmos des vorsichtigen Mainstreams. Funktionieren konnte die mutige Entscheidung nur deshalb so gut, weil Kick-Ass gerade nicht von übermenschlichen Leuchtfiguren erzählte, sondern von durchschnittlichen Menschen mit all ihren dummen und peinlichen Träumen. Das Superhelden-Genre war nach Matthew Vaughns Abrechnung nicht mehr ganz dasselbe.
Kingsman: The Secret Service weidet sich an seiner martialischen Gewaltdarstellung, die gesichtslose Niemande auf brutalste Weise und mit keineswegs scheuer Kamera das Zeitliche segnen lässt. In den durchchoreographieren Schlachtfesten werden Passanten wie Vigilanten gnadenlos hingerichtet, sodass der Film es trotz seiner Lust an der Übertreibung sicher nicht ganz leicht bei der Altersfreigabe hatte. All das dient der Unterhaltung als reiner Selbstzweck, ohne sich auch nur alibihaft auf eine Aussage festlegen zu wollen. Die rauschhaften Kämpfe sind toll anzusehen und Colin Firth als stoischer Todesengel ist definitiv ein Augenschmaus, doch sind sie einfach nur Spektakel um des Spektakels Willen – und haben ob der Art dieses Spektakels einen etwas bitteren Beigeschmack. Besondere Erwähnung verdient die Kamera die gerade in den Handgemengen als selten blinzelndes Auge mit imponierenden Manöver durch das Massaker tourt, auch wenn es manchmal ein wenig zu deutlich wird, dass an diesen Stellen großzügig mit dem Computer getrickst wurde. Besonders fraglich wird das Spektakel in einer späteren Szene, in der auf allen Anstand gepfiffen wird und etwas geschieht, was man dem Film mit nur geringfügig bösen Absichten als den Versuch vorwerfen könnte, auf primitive Weise einen kleinen Skandal provozieren zu wollen.
Wenn man überhaupt so etwas wie einen über das Gesagte hinausgehenden Sinn erkennen will, dann könnte es eine Beschäftigung mit genau diesem Voyeurismus sein. Ein paar Szenen könnten auch durchaus als Hinweis hierauf gelesen werden, genaugenommen gibt sich der Plot aber keine große Mühe, diese Deutungsmöglichkeit wirklich zu erwägen.

All dies steht, wofür Vaughns fünfter Film im Gesamten steht: Für nichts als sich selbst, reine Kurzweil, die wie ein Fisch nur für ein paar Minuten überleben kann, hängt sie erst einmal am Haken an der Luft. Und hier ist ein Vergleich vonnöten, der sich von Anfang an schon aufdrängte: Hier ist viel weniger Kick-Ass, viel weniger Stardust und viel weniger X-Men drin, denn das Freche dieser Filme wich hier routiniertem Handwerk. Dafür findet man aber eine ganze Menge Wanted gemischt mit der Kühle von Vaughns Debut Layer Cake. Und so sehr Wanted seinerzeit durch seine Kampfsequenzen Wind machte, so vergessen ist er heute, läppische 7 Jahre in der Zukunft.
An dieser Stelle wird es auch nicht mehr groß verwundern, dass auch der Humor – immer eine Stärke des Regisseurs und Autors – deutlich durchschnittlicher und voraussehbarer ausfällt. Wirklich witzig ist der Film nur im Ausnahmefall aufgrund eines klugen Wortes, sondern meist nur dann, wenn er in Sachen boshafter Geschmacklosigkeit noch einmal eine Schippe drauflegt und mit einem weiteren visuellen Tabubruch verblüfft.
Was bleibt, sind gute und gut aufgelegte Darsteller in einem blutroten Pudding, der sich selbst nie so ganz sicher zu sein scheint, ob er lieber Hommage oder Persiflage sein will. Man ist nie gelangweilt, fühlt sich nie um sein Eintrittsgeld betrogen, hat aber gleichsam auch nie das Gefühl, etwas wirklich Wichtiges zu sehen. Im ganzen Film existiert nur ein kleiner Moment, der an die bekannte und hier überwiegend unterdrückte Genialität des Autors erinnert. Hier halten Film und Zuschauer kurz inne und suchen nach Neuorientierung. Sind diese kurzen Sekunden verstrichen, kehrt die Geschichte aber nahtlos zurück in ihr Korsett. Das Ganze ist so gefällig, dass es kaum eine Rolle spielt, dass das Buch einige Fehler aufweist, die es lieblos erscheinen lassen, und auch die Figuren nicht immer mit größter Überzeugung in die Geschichte geschrieben worden zu scheinen.

Fazit

Kingsman – The Secret Service beendet den Siegeslauf von Matthew Vaughn vorerst. Doch auch wenn er nicht die Brillanz seiner Vorgängerfilme teilt, ist er doch ein sehr unterhaltsamer, augenzwinkernder und in seinen gewaltreichen Kampfeinlagen berauschend gefilmter Spaß, der sich – genau wie so mancher Agent – an seinem eigenen Stilbewusstsein viel zu sehr erfreut, um etwas darüber Hinauswollendes anzustreben.
Mit 129 ist der Film nur etwas zu lang geworden, um noch als kurzweiliger Snack durchzugehen. Und wer kann, der sollte die deutsche Synchronisation unter allen Umständen umgehen.

Predestination

Allerorts wird im Augenblick gerufen, dass Predestination ein neuer Hoffnungsbringer sei. Der kongenieale Looper ist quasi vergessen, der neue von den Spierig-Brüdern im Augenblick als Zeitreise-Revival dafür in aller Munde. Zu Recht? Nur so halb. Ihr neuer Film, der eine Adaption des Buches —All You Zombies— von Robert A. Heinlein (am bekanntesten vielleicht dank seiner Buchvorlage zu Starship Troopers) ist, macht einiges richtig und wichtiges falsch.

I never understood why my parents abandoned me.

Story

Ein Gast macht den sich nach einer guten Unterhaltung sehnenden Barkeeper neugierig. Der eigenbrötlerische Mann ist anfangs nicht für dafür zu haben, taut nach ein wenig Bearbeitung aber langsam auf. Schweres lastet ihm offenbar auf den schmalen Schultern. Eine Flasche Schnaps als Einsatz, beflügelt seine Stimme dann endgültig. Sie ist der Preis, wenn seine Geschichte besser ist als jede vorherige, die der Barkeeper bisher zu hören bekam.
Dass etwas höchst Sonderbares im Gange ist, wird nicht erst dann klar, wenn sich herausstellt, dass Zeitreisen, ein berüchtigter Terrorist und eine geheime Organisation sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart große Rollen spielen.

Kritik

Das Brüderpaar Michael und Peter Spierig hat eigentlich seit über 10 Jahren eine Glückssträhne. Alles begann damit, die privaten Ersparnisse für eine assoziative Horrorkomödie mit Zombies und Ufos auf den Kopf zu Hauen und damit ordentliche Festivalerfolge zu erleben. Undead war intendierter Blödsinn, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nach siebenjähriger Pause folgte schließlich ein wenig unter dem Radar der großen Aufmerksamkeit Daybreakers, ein Film, der gerne sehr viel gewesen wäre, abseits der anheizenden Prämisse aber so arm an Seele wie an Blut ist, wenn er auch einen beeindruckenden Cast auffahren konnte. Andere Regisseure wären nach einem Erfolg, der mäßige Wellen schlug, vergessen worden. Ob es die Sympathie durch persönliche Einbringung oder ob die mythische Brüder-Aura ist, die die Filmemacher rund um den Globus im Zuschauergedächtnis haften lässt, lässt sich nicht so recht beantworten, ohne dabei sämtliche Seriösität aufzugeben. Jedenfalls wird auch das Drittwerk mit dem Namen Spierig beworben und jeder weiß, wer damit gemeint ist.

Predestination
hat sich nach Zombies und Gegenwartsvampirismus also ein weiteres Mal einem Sub-Genre verschrieben: dem Zeitreisefilm. Das allein sorgt beim Schreiber dieser Zeilen gewöhnlicherweise schon dafür, Großzügigkeit bei der Bewertung walten zu lassen. Nur hat dieser nischenartige Genre-Raum das lästige Problem, dass die meisten seiner Vertreter essenzielle Gemeinsamkeiten haben, die sich nur zu schnell wiederholen. Schon zu Beginn kann man getrost davon ausgehen, dass mehr oder weniger große Unerklärlichkeiten und vermeintliche Zufälle nur dafür da sind, um im späteren Verlauf völlig überraschend durch Zeitschleifen aufgeklärt zu werden. Das ist es, was Geschichten mit dieser Thematik so keck und aufregend macht. Alles ist Puzzle in Kreisform und wenn es anständig vorgepuzzelt wird und alle halbwegs Teile passen, bereitet das Nachbauen immense Freude. Wird zuvor aber mehrmals schon angedeutet, wie das fertige Bild am Ende aussehen könnte, löst sich die Spannung und die Frage, wo welche Teile hingehören, ist mit einem – viel zu frühen – mal gar nicht mehr so groß. Predestination geht leider schon sehr früh viel zu großzügig mit Lösungsandeutungen um. Geheimnisvoll tuende, tatsächlich aber banal transparente Prophezeiungen, verräterische Kameraeinstellungen und nicht zuletzt eine leicht zu erahnende Grundidee machen den Film zu etwas, was Zeitreisefilme nie sein sollten: berechenbar. Das wäre an sich nur halb tragisch, ginge der Sci-Fi-Film mit seinen kaum verhüllten Geheimnissen nicht zusätzlich so prahlerisch um, indem es bedeutungsschwangere Dinge anreiht und voraussetzt, dass der Zuschauer dabei einfach nicht mitdenkt.

All das ist zwar schade, aber bei weitem kein totales Scheitern. Auch wenn man sich hier eine kleine Blöße gibt, ist das Geschehen dennoch unentwegt unterhaltsam anzuschauen. Dadurch, dass der Film mit einer ausführlichen Analepse in einer Bar beginnt und erst viel später von dort aus die Geschichte weiterführt, findet eine interessante und durchaus als geglückt zu bezeichnende Zweiteilung des ganzen Filmes statt. Und ansonsten passiert einfach jede Menge und das schnell aufeinander, wodurch sich die Autoren beileibe nicht vorwerfen lassen müssen, auf der Stelle zu treten. Ordentlich gefilmt war Daybreakers auch, routiniert gespielt ebenso. Das große Manko des Filmes waren die steifen Dialoge und damit zwangsweise auch das Schaffen glaubwürdiger Figuren. Auch bei Predestination hapert es noch mit dem gesprochenen Wort. Floskeln und vermeintlich coole Phrasen sind an der Tagesordnung. Mehr als einmal wirkt es so, als hätte man beim
Drehbuchschreiben einfach nicht so recht gewusst, wie denn nun diese Stille zwischen den plotrelevanten Aussagen zu füllen ist. Wie Figuren eine Natürlichkeit erhalten, die über ihren rein funktionalen Daseinsgrund als Informationsgeber hinausgeht, ohne dabei geschwätzig zu wirken. In Ermangelung einer Lösung für dieses Dilemma wird das Henne-Ei-Problem auch schon mal als innovative Frage verkauft. Diese allseits bekannte Grundsatznot bei der schriftlichen Generierung von Charakteren zieht sich durch den Film und verhindert, dass man sich vollkommen in diese Welt versetzt fühlt. So dramatisch wie dereinst bei Daybreakers fällt das Ergebnis zwar nicht aus, doch ist es auch hier schade, dass die prinzipiell ja einladende Welt für den Zuschauer per se unzugänglich bleibt, da einfach alles zu sehr nach Fälschung riecht.
An diesem Punkt gehen Figuren und Geschichte Hand in Hand, denn erstere sind so schrecklich funktional geschrieben, dass es ihnen überhaupt nicht schwerfällt, den ganzen abstrusen Humbug für bare Münze zu nehmen, anstatt ihn als Zumutung zu empfinden. Den Durchschnittsmenschen in Predestination juckt es gar nicht, wenn da jemand um die Ecke kommt und zugibt, er sei Zeitreiseagent eines Zeitreisebüros. Da schaut man höchstens kurz skeptisch, bevor man gutgläubig nickt, als hätte da eben jemand kundgetan, in Wirklichkeit Sohn eines Schäfers zu sein.
Eigentlich ist das schade, denn wie jeder gute Zeitreisefilm entfaltet auch Predestination erst nach und nach – und je mehr, desto näher am Ende – seine eigentliche Ganzheit. Wie sich nach und nach die Fäden zusammenfügen, das ist schon nicht blöd und, wie ja der ganze Film einigermaßen, allemal unterhaltsam. Doch tölpeln sich Drehbuch und Regie immer wieder selbst vor die Füße.
Die prinzipiell ergreifende Tragik, die hinter der Geschichte steht, ist dabei fast selbst schon tragisch, verpufft ihre Wirkung doch fast zur Gänze vor den Fehlern, die dieser ja keineswegs schlechte Film macht.

Fazit

Weniger Übermut, weniger Kühle, vielleicht einen externen Berater, der bei der Figurengestaltung hilft. Mehr bräuchte es eigentlich gar nicht und der vierte Film aus dem Hause Spierig könnte etwas uneingeschränkt Tolles werden. Das notwendige Faible für spleenige Genres und kraftvolle Grundideen haben die Herren nämlich.
Predestination krankt leider an oben Genanntem. Das hindert den Film nicht daran, interessant und auch spannend zu sein. Doch hindert es den Zuschauer ebenfalls nicht daran, sich über viele Kleinigkeiten zu ärgern und deshalb immer wieder aus dem Film geschmissen zu werden.