Lockout

Luc Besson ist schon ein ziemliches Phänomen des Gegenwartkinos. Mit Léon – Der Profi klopfte er aus einer eigentlich generischen Ausgangssituation einen Meilenstein des europäischen Kinos. Nur drei Jahre später lieferte er mit Das fünfte Element einen pulpigen Kassenschlager ab, der seinen Posten als französischer Filmzauberer zu festigen schien.
Dann wurde es verhältnismäßig ruhig um das Wunderkind. Seine wirklich eigenen Filme blieben unbeachtet, waren zu schräg und überdreht, aber oft auch unausgegoren und trotz häufigen Spektakels seltsam müde. Wirkungsmächtig blieben seine Finanzen und seine Drehbücher, die auf der ganzen Welt Newcomern eine Starthilfe boten und bieten. Die meisten namenhaften Filme französischer Herkunft der vergangenen 10 Jahren hängen irgendwie mit Besson zusammen.
Auch bei Lockout hat er wieder mal am Drehbuch rumgeschrieben, ein paar Scheine spendiert und damit zwei relativ unbekannten Regisseuren den Weg auf die Leinwand ermöglicht.

Story

80 Kilometer über der Erde befindet sich im Jahre 2079 ein Hochsicherheitsgefängnis, wo all die schlimmen Finger verwahrt werden, für die auf der Erde kein Platz ist. Mörder, Vergewaltiger, Psychopathen – wer es sich in der Zukunft im großen Stil mit dem Gesetz verscherzt, wird ins All geschossen und einfach für ein paar Jahrzehnte in Tiefschlaf versetzt.
Snow ist ein ehemaliger CIA-Agent, Opfer eines fiesen Komplotts und genau dieses Schicksal steht ihm bevor.
Doch dann geht oben im Orbit so einiges schief. Während die Präsidententochter Emilie sich höchst engagiert vergewissert, dass die Gefangenen ihre Haftstrafe unter humanen Umständen absitzen, erlangen genau diese die Kontrolle über die Station. Mit einer Hand voll Geiseln und der prominenten Emilie als Druckmittel sitzen die Schurken am längeren Hebel. Und weil eine großangelegte Offensive zu gefährlich wäre, wendet man sich an Snow. Diesem winkt Absolution, wenn er das Töchterchen des Regierungschefs befreit.
Also macht sich der Griesgram auf den Weg, denn wie der Zufall es will, bietet sich dort oben auch noch die Gelegenheit, die eigene Unschuld zu beweisen.

Kritik

Die ersten Bilder sagen eigentlich schon fast alles, was zu sagen ist. Ein bemüht lässiger Guy Pearce lässt bemüht lässige Sprüche vom Stapel, kaut aufsässig Kaugummi und kriegt ordentlich eins auf die Zwölf. Natürlich ist er bärenstark, super stur und kann jeden Schlag locker wegstecken, ohne den bemüht lässigen Blick nur für eine Sekunde zu variieren. Dass Lockout Geschichte und Figuren nicht ernst nimmt, ist absolut legitim. Dass Figuren und Geschichte weitestgehend langweilig geraten sind, ist nicht ganz so einfach zu verschmerzen.
Natürlich sind die rund 500 Schwerverbrecher allesamt das personifizierte Böse und verdienen den kollektiven Tot.
Drehbuch und Synchronisation arbeiten besonders im ersten Filmdrittel gekonnt zusammen, um den Hauptdarsteller als nervigen Rüpel bar jedes Identifikationspotentials einzuführen. So versucht der Film nicht nur, dem Plot von Carpenters dystopischem Sci-Fi-Klassiker Die Klapperschlange nachzueifern, sondern auch noch seinen Protagonisten Snake Plissken zu imitieren. Und auch, wenn Guy Pearce so manches Mal eindrücklich beweisen konnte, dass ein guter Akteur in ihm steckt; an Kurt Russels kultige 80er Jahre-Darbietung wäre er auch mit besserem Script nicht herangekommen.
In Sachen Charakterdesign und wohlgeformter Worte geben sich die Figuren aber allesamt nichts. Beinahe jeder Witz – und die Dialoge sind einzig darauf ausgelegt, Onliner am Band zu produzieren – zischt meterweit am Schwarzen vorbei. Die einzige Person, die ihren Job glaubwürdig macht und außerdem nicht versucht, auf Teufel komm raus burschikos zu sein, wird vom Drehbuch ganze 3 Minuten am Leben gelassen.
Das ist schade, denn würde die Geschichte sich selbst etwas mehr zutrauen und nicht versuchen, ihre Fehler mit ideenlosen Frotzelein zu kaschieren, wäre man ein paar Stufen näher an die finstere Stimmung des großen Vorbildes gelangt.
Nach der unsauberen Introduktion taut der Film zur Mitte hin aber immer mehr auf. Weg von der leidigen Story und in der Höhle des Löwen erhält Lockout endlich den Rhythmus, den er von Anfang an verdient hätte. Als leicht selbstironischer, absolut harmloser B-Movie im Weltraum funktioniert der französische Actionfilm nämlich ganz gut. Auch die Präsidententochter, die über weite Strecken nicht mehr als nörgeln und kreischen durfte, sammelt später ein paar Sympathiepunkte und entwickelt gemeinsam mit dem Protagonisten tatsächlich so etwas wie eine Chemie, die fernab von mitreßend ist, aber durchaus in Ordnung geht. Kamera und Schnitt täuschen außerdem gekonnt darüber hinweg, dass eigentlich gar nicht so viel passiert und auch die Musik vermag es durch die ein oder andere schräge Einlage, klaustrophobische Akzente zu setzen, während sie sich sonst bescheiden im Hintergrund hält. Die unübersichtliche Verfolgungsjagd zu Beginn beleidigt das Auge mit Effekten, die stark nach Computerspiel aussehen, die Bilder im All und auch die Action befinden sich im weiteren Verlauf aber im Mittelmaß und lassen den Fauxpas vom Beginn vergessen. Gegen Ende kommt sogar richtiges Tempo auf, ehe die Rahmenhandlung um die unrechtmäßige Beschuldigung Snows wieder einsetzt und dann beinahe schon verwegen mit etwas endet, das man als Anknüpfungspunkt für einen zweiten Teil betrachten könnte.

Fazit

Trotz der recht holprigen ersten Filmhälfte kann Lockout insgesamt unterhalten. Aus dem Science-Fiction-Setting wird leider nur wenig rausgeholt, während der gesamte Rest brav am Durchschnitt haftet. Das aufgesetzte Machogebaren der Hauptfigur wird von der Dynamik am Ende aufgewogen. Trotzdem bleibt unterm Strich nicht mehr als Stangenware aus dem Hause Luc Besson, die keinem wehtut, aber eben auch herzlich wenig aufbietet, das wirklich für sie spricht.
Besser als Dante 01, mit dem er sich Szenario und Produktionsland teilt, ist Lockout aber allemal.

Dante 01

Die Kannibalismusgroteske Delicatessen machte die Werbefilmer Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro vor über 20 Jahren über Nacht zu Weltstars. Nach ihrem zweiten gemeinsamen Langfilm Die Stadt der verlorenen Kinder gingen die Franzosen dann weitestehend getrennte Wege. Jeunet begann mit der Arbeit an Alien – Die Wiedergeburt und brachte damit eine ganze Generation gegen sich auf. Mit seinem Nachfolgefilm Die fabelhafte Welt der Amélie erreichte er dann aber Unsterblichkeit und Mathilde – Eine große Liebe sowie Micmacs – Uns gehört Paris! bestätigten seine Führungsposition im Bereich des schrägen und doch wunderschönen Films.
Um seinen ehemaligen Kollegen Marc Caro blieb es hingegen lange Zeit sehr still. Bis er sich 2008 unerwartet mit der Science-Fiction-Parabel Dante 01 zurückmeldete.


Story

Hoch über dem Planeten Dante, irgendwo in den Weiten des Alls, schwebt die Raumstation Dante 01. Wahnsinnige Schwerverbrecher können sich freiwillig dafür melden, in diese Anstalt verlegt zu werden, um so ihrer Hinrichtung zu entgehen. Dort können sie sich in einem Netzwerk aus kahlen Räumlichkeiten frei bewegen, ihren Alltag selbstständig strukturieren und eine eigene Hierarchie aufbauen. Der hohe Preis für diese relative Freiheit ist, dass ein Team von Wissenschaftlern nach Lust und Laune Versuche mit ihnen durchführen darf.
Eines Tages betritt eine neue Wissenschaftlerin die Bildfläche und sät mit ihren moralisch fragwürdigen Prinzipien Zwietracht im Team. Auch der Alltag der Gefangenen gerät durcheinander, als sie ebenfalls einen Neuzugang verzeichnen. Es ist ein schweigsamer Namenloser, der ihre Reihen erweitert und mit seinen mysteriösen Taten alsbald schwerwiegende Veränderungen provoziert. Obwohl er oberflächlich lethargisch und lammfromm zu sein scheint, schlummert doch ein rätselhaftes Geheimnis in ihm. Das vormals schon sehr angespannte Verhältnis zwischen und in den Gruppen verschlechtert sich zusehends, während die Merkwürdigkeiten sich häufen.

Kritik

Als erstes ins Auge fällt Caros unverwechselbarer Stil. Ihm ist es zu verdanken, dass die Optik von Delicatessen einst so ästhetisch und doch gleichermaßen bedrohlich ausfiel und genau das ist auch bei Dante 01 der Fall. Die Welt der Gefangenen ist in ein schummriges Dunkelgrün getaucht, die Räumlichkeiten der Forscher präsentieren sich in kühlem Blau. Sämtlichen Bildern gemein ist eine aufsässig unruhige Kamera und viel finsterer Schatten. Dass alle Gefangenen kahlköpfig und uniformiert sind, erleichtert die Orientierung keinen Deut. Während die wenigen Außenaufnahmen der über dem kochenden Planeten Dante schwebenden Station durchaus gelungen sind, lassen sich die andauernden Kamerafahrten durch die Blutbahnen der Inhaftierten, an denen wieder mal ein neues Mittel getestet wird, nur als hässlich bezeichnen. Es sind optische Sperenzchen, so hektisch wie der Rest des Films, die zum reinen Selbstzweck verkommen und letztlich nicht mehr als eine weitere unnötige Tempovariation zum Gesamtwerk beisteuern.
Die ganze Filmhülle gibt sich sehr hip, sehr europäisch und befindet sich stets an der Grenze zum Experimentellen.
Wirft man einen Blick auf das Innere, wird einem rasch gewahr, dass all die Bemühungen, Aufmerksamkeit zu erheischen, all die Ambitionen, etwas enorm Wichtiges mitzuteilen, ausnahmslos im Sande verlaufen. Dante 01 ist vollgepumpt mit Symbolen, derer sich eines plumper und aufdringlicher gibt als das andere. Sämtliche Charaktere sind mit bedeutungsschwangeren Namen betitelt. So bewegen sich unter anderem Moloch, Lazarus, Buddha und Persephone über die Station, den unheimlichen Neuankömmling schmückt eine bedeutungsschwangere Tätowierung vom Heiligen Georg und die titelgebende Station hat die Gestalt eines gigantischen Kreuzes.
All dieser Bemühungen zum Trotz bleibt der Film jedoch ernüchternd hohl – die dürre Geschichte, die er erzählen möchte, wird durch die Hast der Kamera und die wirre Erzählweise unnötig verkompliziert, kommt im Kern aber nie über den einschläfernden Grundkonflikt hinaus. Inhaltlich speziell möchte Dante 01 durch seine esoterische Linie sein. Schnell wird klar, dass die ganze Mogelpackung auf eine ungelenke Erlösergeschichte hinausläuft, die sich am Ende erwartungsgemäß auch redlich Mühe gibt, möglichst viele Assoziationen mit 2001 – Odyssee im Weltraum zu wecken, dabei aber niemals eine eigene Klasse erreicht. Dass alle Charaktere sich auf eine einzige Eigenschaft reduzieren lassen, während sie in allen anderen Punkten vollends austauschbar sind, macht die Sache nicht interessanter.
Es fehlt dem Science Fiction-Film zudem eine taugliche Identifikationsfigur. Keiner der Reißbrettcharaktere ist sympathisch, alle wirken sie schräg und handeln vor allem furchtbar irrational. Ihr Tun bleibt durchgängig wenig nachvollziehbar und unverständlich aggressiv, die Dialoge beeindrucken mit erschreckend konsequenter Ideenlosigkeit.
Auch der gesamte soziale Mikrokosmos wirkt inkonsistent und wenig durchdacht – dem anarchischen Status quo, in dem alle gegeneinander intrigieren, mangelt es allseits an Überzeugungskraft.

Fazit

Marc Caros heißersehntes Revival ist eine herbe Enttäuschung. Sein erstes eigenes Werk ist ein exzentrisches B-Movie in leidlich interessanten Bildern, das genauso skurril wie anstrengend ist. Was bleibt, ist ein phasenweise schmuckes Setting, das weitestgehend überflüssig bleibt. Dante 01 hätte nämlich ebenso gut unter der Erde oder auf dem Meeresboden spielen können, seine Verortung im Weltraum ist genauso Augenwischerei wie die übrigen Bestandteile.