Kaiba ist hierzulande immer noch recht unbekannt, aber von Jahr zu Jahr häufiger an der Spitze persönlicher Seriencharts in unzähligen Blogs zu finden. Der hier ebenfalls nicht sehr berühmte Masaaki Yuasa (Mind Game) hat seinen Zeichen- und Erzählstil mit Kaiba zur Perfektion getrieben, unterstützt von Animationsstudio Madhouse (Memories, Paprika, Death Note).
Update: Mittlerweile hat YouTube auch einen Trailer parat.
Vernichte Warp!
Story
Kaiba weiß nicht wo, wann, warum noch wer er ist. Er ist ein Junge mit zotteligen blonden Haaren, einem geheimnisvollen Mal auf dem Bauch und einem kreisrunden Tunnel, der durch seine Brust führt. Alles, was auf sein früheres Leben hindeutet, ist ein Silberanhänger mit dem verwackelten Foto eines Mädchens.
Viel Zeit zur Orientierung bleibt nicht, denn prompt wird das Feuer auf den schweigsamen Protagonisten eröffnet. Mit der Hilfe eines Unbekannten, eines Vogels und eines Dings mit Propeller gelingt knapp die Flucht. Er verlässt den Planeten und lernt ein Universum kennen, in dem das gesamte mentale Wesen einer Person auf einem Datenträger gespeichert werden kann. Das Bewusstsein ist nicht mehr an das Fleisch gebunden und dem Tod so theoretisch ein Schnippchen geschlagen. Für die Reichen sind Körper nur noch übergangsweise Aufenthaltsorte, die stets der aktuellen Mode und dem Schönheitsideal zu entsprechen haben.
Geschlecht und Alter waren die längste Zeit durch Geburt vorherbestimmt. Doch dies funktioniert nur, wenn die Armen ihre Körper zu Spottpreisen verkaufen, um die wachsende Nachfrage befriedigen zu können.
Früh muss auch Kaiba zum ersten Mal den Körper wechseln. Nur langsam findet er heraus, was es mit dem König und was mit dem Widerstand auf sich hat, warum man ihn verfolgt und wer er eigentlich ist.
Kritik
Ein Planet, der seine Klassenunterschiede durch Ober- und Unterwelten kenntlichmacht, Bewusstseinstransplantation, der völlige Werteverfall in einer eskalierten Dystopie, ein Held, der an Amnesie leidet. Hört man dies, möchte man aufjaulen, dass diese Themen doch bereits in zig anderen Filmen und Serien bis zur völligen Bedeutungslosigkeit durchgekaut worden sind.
Das ist richtig – und diese Einstellung ist mit Sicherheit eine von vielen durchaus berechtigten Vorbehalten, weshalb man diesen Anime erst einmal links liegen lässt.
Mit dem kleinen Unterschied, dass sich Kaiba diesen Themenkomplexen auf eine Weise nähert, die dem leiderprobten Querulanten so garantiert noch nicht untergekommen ist.
In der Welt von Kaiba ist es möglich, mittels einer Waffe körperlich die mentale Welt einer anderen Person zu betreten. Sie erstarrt und es öffnet sich ein kreisrunder Eingang, der direkt in das privateste Kopf-Refugium führt.
Manchmal fühlt es sich so an, als wäre die ganze Serie eigentlich eine solche Reise, deren Start vom Zuschauer unbemerkt in Folge 0 stattgefunden hat. Dadurch, dass das Gezeigte so hypberbolisch, verquer und in sich verschachtelt ist, wirkt es mehr wie einer dieser fahlen, von sich selbst durchdrungenen Träume, nach denen man entfremdet und verwirrt erwacht und für einen Augenblick damit zu kämpfen hat, Realität und Schlaffantasie voneinander zu scheiden.
Erste Besonderheit: Um darzulegen, was die Sci-Fi-Serie ausmacht, gilt es erst einmal, die technische Seite zu analysieren.
Kaiba ist ein stilistisches Ungeheuer, dessen auf den ersten Blick kindliche Optik völlig falsche Schlüsse ziehen lässt. Bereits die erste Folge lässt erahnen, welch mächtiges künstlerisches Konzept sich hinter den infantil anmutenden Bildern verbirgt.
So ist das Gezeigte manchmal in Schwarzweiß gehalten, während nur ein einzelnes Element rot hervorsticht, um unversehens in ein pulsierendes Wechselspiel von Komplementärfarben einzuscheren und sich dann nur in rudimentären Bleistiftskizzen zu präsentieren.
Auf der zweiten Bildebene entfalten sich dadaistische Spiralwelten, während abstrakte, an Disney und Astroboy erinnernde Charaktermodelle vor fabulös ausstaffierten Hintergründen umherwuseln, in denen der Ideenreichtum ganzer Galaxien verarbeitet ist. Und während die aufblühenden Szenerien vorbeirasen, dreht sich die Kamera und unmerklich vollzieht sich ein Wechsel von klassischen Zeichnungen hin zu einer makellosen 3D-Animation, die ein paar Sekunden anhält, ehe der Trip wieder in den alles andere als normalen Normalzustand mündet. Bilder, die von Dalí stammen könnten, gehen über in Impressionen von sich selbst zerstörender Zivilisation über und nur wenig später findet man sich direkt in einer Wahnvorstellung wieder. Dabei verfällt die Serie niemals dem Stilbruch, sondern wirkt in jeder Sekunde wie von selbst gewachsen. Das audiovisuelle Erlebnis ist nicht selten so hypnotisch, dass man sich während der knapp 24 Minuten, die eine Folge bemisst, wie in einem Fiebertraum fühlt.
Solche Übergänge sind es, die Kaiba zu etwas ganz Besonderem machen. Der Übergang von einer Dimension in die nächste. Von scheinbar unschuldiger Kindesfreude hin zu existenziellen Fragen, von Albernheit zu schweren, schweren Themen, von halsbrecherischer Rasanz hin zu stiller Bedächtigkeit.
Und von visueller Experimentierfreude zu immer wieder auf den Punkt durchkomponierten Zäsuren, die vor lauter Schönheit Tränen in die Augen treiben.
Obwohl nie etwas normal, sondern alles schräg und verdreht visualisiert wird, hat doch jedes Thema und sogar jedes Gefühl einen eigenen, sich intuitiv erschließenden Stil. So kommt es nicht von ungefähr, dass Abipa, Planet der Sehnsucht, so aussieht, als wäre ein Kleinkind mit Buntstiften in der Hand eingenickt.
Genauso wichtig wie das Optische, ist auch die musikalische Seite: Der perfekt sitzende, die Stimmung der Bilder katalysierender Soundtrack trifft fast immer voll ins Schwarze. Folge um Folge klingen die gleichen drei im Wortsinne epischen Themen mit Ohrwurm- und Gänsehautcharakter an und markieren kunstvoll Höhe- wie Wendepunkte.
Auf dem Papier mag sich das alles etwas anstrengend und furchtbar künstlich anhören. Setzt man sich Kaiba halbwegs unvoreingenommen aus, funktioniert die Verführung aber wie von selbst und man kann sich dem Sog kaum widersetzen. Und so spektakulär die Umsetzung sich liest, geschieht sie doch in keiner Sekunde zum bloßen Selbstzweck. Schnell entpuppen sich die nur auf den ersten Blick simplen Zeichnungen als eine der spannendsten ästhetischen Verwirklichungen von Animationskunst überhaupt. Dies geschieht so sublim und unmerklich, dass man den Augenblick, in dem die Skepsis der Überzeugung weicht, meist gar nicht benennen kann.
Was Kaiba die allerhöchsten Wertungssphären verwehrt, sind manche Folgen, die nicht ganz so wichtig, intensiv und durchdringend daherkommen wie andere. Auch in diesen Fällen ist die erzählte Geschichte keineswegs redundant und in ihrer Essenz immer noch sehenswert und mustergütig umgesetzt, doch wirken einige Ausflüge, speziell am Ende des ersten Seriendrittels, im direkten Vergleich zu den wirklich starken Folgen nicht ganz so konzeptuell durchdacht. Andererseits erstreckt sich das Geschehen über gerade mal 12 Episoden, was für eine Serie – und erst recht für einen Anime – verhältnismäßig wenig ist. Demzufolge kann man, von wenigen erratischen Ausfällen abgesehen, kaum ein Gramm Fett an den insgesamt 280 Minuten Laufzeit ausmachen.
Außerdem ist Kaiba alles andere als eingängig, sondern setzt eine hohe Aufmerksamkeit und den Willen zur Eigenarbeit voraus.
Denn neben dem ungewöhnlichen, um nicht zu sagen abschreckenden, Artdesign ist auch die Art des Erzählens alles andere als schlicht. Wichtige Storyelemente werden gerne inmitten einer Fahrt mit dem Bilderkraussell eingestreut, sodass sie schnell unbemerkt untergehen. An anderen Stellen vertraut die Serie ganz auf ihre Bildsprache und belässt es bei Andeutungen, wo für abgesichertes Verständnis konkrete Schilderungen nötig wären. Erschwerend kommt hinzu, dass anfängliche Nebenfiguren mehrere Episoden lang völlig ausgeblendet werden, um plötzlich entscheidende Funktionen zu erfüllen, während andere durch die häufigen Körper- und Zeitenwechsel nur anhand ihres Namens zu identifizieren sind. Dieser Punkt macht den Anime manchmal verwirrender als er vielleicht sein müsste.
Aber auch diese Kritikpunkte sind genaugenommen keine richtigen, tragen sie doch in erklecklichem Maße zur einzigartigen Erfahrung bei. Die ständige leichte Verunsicherung auf Zuschauerseite verstärkt das Gefühl der Exotik dieses Universums und der Verlorenheit des Protagonisten, der sich nicht einmal seiner eigenen Identität gänzlich sicher sein kann.
Vielen vermeintlich rätselhaften Serien ist es zu Eigen, dass sie Fragen stellen, auf die sie keine Antworten geben können. Kaiba hingegen stellt Fragen und liefert Antworten, die keine sind – vorerst. Was ohne Kenntnis des Produkts frustrierend klingt, ist in der Praxis ein genialer Schachzug, denn auch die vielen Unklarheiten gehören zum Konzept, sind aber nie so zahlreich, dass sie belasten. Dem geduldigen Zuschauer werden seine Fragen schrittweise beantworten. Und im Gegensatz zu genannten anderen Serien sind sind es Antworten, die das Warten wert sind.
Nicht zuletzt führt die Komplexität der Erzählweise dazu, dass man nach dem Ende einer Episode lange noch nicht mit ihr abgeschlossen hat, das Gesehene Revue passieren lässt und in dieser Überlegung erst wirklich in den Genuss des Gefühles gelangt, das einem dieser unvergleichliche Trip von einer Science-Fiction-Serie beschert.
Und wenn man am Ende der letzten Episode mit zu vielen Fragezeichen zurückbleibt, fängt man einfach wieder von vorne an.
Fazit
Eine originelle Geschichte, die in großartiger Umsetzung auf ganz eigene Weise erzählt wird. Gleichermaßen rührend, schockierend kompromisslos und erstaunlich, ist Kaiba beileibe keine leichte Kost, belohnt den offenen Zuschauer im Gegenzug aber mit einem ganz eigenen Erlebnis.
Angucken. Wenn auch auf eigene Gefahr.