Maggie

Henry Hobson, zu dessen bisherigen Beiträge zur Landschaft Hollywood man durchaus berechtigt schweigen kann, lieferte 2015 mit Maggie sein Spielfilmdebüt ab, dessen primärer Aufmerksamkeitsmagnet sein Hauptdarsteller ist: Arnold Schwarzenegger.
Wem das Konzept, dass Arnold Schwarzenegger in einem Zombiedrama mitspielt, bereits Sensation genug ist, bei dem kann der Film sowieso nur wenig falsch machen. Doch Arnie ist hier nicht nur werbewirksamer Schmuck, sondern eine echte Bereicherung für einen sehr guten Film, der die kleine Sparte des „intellektuellen Zombiefilms“ sinnvoll bereichert.

Dad, I’ve gone to the city. Please don’t come for me.

Story

Durch hartes Durchgreifen konnte die USA von der Zombie-Epidemie weitestgehend gesäubert werden. Hier und dort streifen noch ein paar Untote umher, doch die tatsächliche Gefahr scheint gebannt. Und langsam beginnt man mit der Wiederaufnahme des Alltags. Die infizierte Schülerin Maggie Vogel wird von ihrem Vater aus der Klinik abgeholt. Der weitere Verlauf ist klar: In den nächsten Wochen wird sich ihr Zustand verschlimmern. Dann muss sie zusammen mit den anderen Opfern in Quarantäne gebracht werden und Sterben. Die Zeit dazwischen darf sie noch im Kreis der Familie bleiben. Ihr Farmer-Dad Wade Vogel muss sich nicht nur mit Nachbarn rumschlagen, die der Gefahrenquelle in ihrer ländlichen Gemeinde wütende Blicke zuwerfen, sondern vor allem mit der Tatsache selbst, dass nun Abschied von seiner einzigen Tochter genommen werden muss.

Kritik

Das Setting selbst ist angenehm unaufgeregt, wenn auch die Ausgangsituation mehr als hanebüchen daherkommt – die große Plage scheint überstanden, Amerika schüttelt sich nur noch ein wenig unter ihren Nachwirkungen. Letztlich scheint es aber so, als wäre die Epidemie nur ein weiteres großes Übel gewesen, das es gemeinsam zu überwinden galt. So gibt sich die gezeigte Welt einigermaßen ruhig, zur Hälfte, weil sie hilflos und müde ist, zur Hälfte aber auch, weil sie unbeirrt weiterbesteht. Sie gewinnt vor allem durch die tristen Farben und die perfekte Ausleuchtung der Szenerien viel an Profil und Stimmung. Mürbe ist alles, grau, alt und durchzogen von Schatten verschiedener Stärke. Am Horizont rauchen Trümmer, die vorherige Grenzenlosigkeit der Highways wird nun strukturiert von Leuchtfeuern der ausklingenden Katastrophe – aber es gibt sie noch, die Highways, die Autos auf ihnen, die Supermärkte und das Geld. Es ist nur eben alles etwas leerer, grauer. Manchmal ist es sehr viel grauer, fast schon an der Grenze zum Schwarzweiß, so entsättigt ist die Welt. Und Entsättigung ist es wohl auch, was den Zustand des Landes am besten beschreibt. Das Haus der Familie Vogel aber ist getaucht in warme Farben, Familie ist der sichere Nukleus in dieser Zeit und wohl schon immer. Sie ist das Zentrum, das über allem steht. Ist sie sicher, gibt es auch Hoffnung.
Das selbstverliebte Klavier, das etwas zu oft etwas zu verträumte Melodien klimpert, ist das Element des Films, das am meisten stört. Ein weniger plattes, dafür aber durchdachteres musikalisches Konzept hätte dem Film ebenso wie totales Fehlen von Musik sehr viel besser zu Gesicht gestanden. Dafür aber stimmt der Rest. Die Geschichte wird mit Gemach erzählt, ohne eine Minute langweilig zu sein. Einige Aufnahmen sind vielleicht zu sehr auf kunstvollen Kleinfilm getrimmt, manche Montagen in all ihrer gekonnten Realisierung im Kern zu altbacken, doch was am Ende zählt ist die grundsätzliche Stimmung – und die stimmt. Maggie ist durchgehend düster, aber nie trist, nie ohne Hoffnung, nie hässlich. Angesichts der schweren Thematik ist das viel mehr als nur ein Achtungserfolg. Zu wissen, dass ein naher Mensch bald gehen wird, dass die Zeit mit ihm befristet ist, das ist die eigentliche Geschichte des Filmes. Und der zurückhaltende Schwarzenegger spielt seine Rolle des verzweifelten Vaters mit gebundenen Händen ebenso überzeugend wie gut. Schwarzeneggers Figur dient als perfekter Spiegel dieser Hoffnung und ihrer Qualität. Ein rüstiger, mürrischer Dickkopf von einem Farmer, Vater und Ehemann. Der Österreichische Dialekt passt zu der Figur vom Land, die eisernen Züge zu dem, was das Leben von ihm abverlangt. Aus seinem Gesicht lässt sich lesen. Die Augen werden feucht, ein kaum merkliches Zittern, Ohnmacht und Ausweglosigkeit in den Bewegungen. Nie war der gebürtige Österreicher mehr Schauspieler als in Maggie.
Auch die anderen zentralen Figuren des reduzierten Ensembles wissen zu überzeugen. Joely Richardson als seine Frau und Stiefmutter von Maggie bietet den logischen Gegenpart zum Farmer. Auch in ihr umspinnen sich Rauheit, sich beißende Gefühle, Schmerz und Beharrlichkeit. Das Ehepaar Vogel ist in seiner Darstellung intensiv und glaubhaft. Die Namensgebende Maggie wird gespielt von Abigail Breslin (Little Miss Sunshine, Zombieland, Signs), die eine überzeugende Darsellung eines pubertierenden Mädchens gibt, das verunsichert, vom eigenen Körper betrogen und irgendwie schon halb erwachsen ist. Wie jede in ihrem Alter und doch anders. Überhaupt lässt sich der gesamte Film auch hervorragend auf Parabel auf das Erwachsenwerden lesen.
Obschon Maggie hie und da besser sein könnte, heißt das mitnichten, dass der Film an irgendeiner Stelle schlecht sei. Im Gegenteil: Die kleinen Pannen spielen letztlich keine zu bedeutende Rolle, weil das Drama sowohl inhaltlich als auch ästhetisch mitnimmt und fesselt.

Fazit

Maggie ist eine tragische Indieperle, die ohne Schwarzenegger in der Hauptrolle viel weniger Aufmerksamkeit bekommen hätte – und mit ihm viel mehr als nur ein Aushängeschild bekam. Der rüstige Farmer ist das ernergetische Zentrum eines intensiven, hochatmosphärischen Zombie-Dramas mit Mut zur Andersheit.

These Final Hours

Australien ist nicht unbedingt ein polternd-lautes Filmland. Wenn es auf sich aufmerksam macht, dann meist mit Genreproduktionen hohen Wiedererkennungswertes. Auch in jüngster Zeit reicht die Skala illustrer Science-Fiction-Filme von Mad Max: Fury Road bis Predestination. Und Zak Hilditchs These Final Hours fügt sich ohne allzu große Mühe in diese Reihe besonderer Filme ein.


We have 12 hours people. That’s all.

Story

Das Ende lässt die Flügel rascheln, dann breitet es sie aus. Ein Komet geht auf die Erde nieder, setzt eine todbringende Feuerwalze frei, die sich unaufhaltsam über alle Kontinente und Meere hinweg ausbreitet. Einen gewissen Teil der Welt hat sie bereits verschluckt und Australien beginnt von 12 abwärts zu zählen. Und jeder zählt auf seine eigene Weise. Die meisten mit Rausch, Sex und Blut. Ein paar andere begegnen ihrer Angst erzwungenem Alltag, Einsamkeit oder hochgeschraubter Radikalität.
James gehört zur ersten Sorte. Eine letzte Nacht mit der Affäre, dann soll die Welt mit einem gewaltigen Rave verabschiedet werden. Doch dann läuft ihm das Mädchen Rose über den Weg und will nicht nur aus dem Fingern schlimmer Burschen gerettet, sondern auch noch zu ihrem Vater gebracht werden.

Kritik

These final Hours schöpft thematisch das Naheliegende ab, den Exzess, die Grenzerfahrung, die Verzweiflung, die Rage der Ausweglosigkeit, der Rückfall auf Hobbes‘ Elementarstrukturen wölfischer Zwischenmenschlichkeit.
Dabei wirkt der Film eingangs selbst wie auf Koks, wie eine Indieversion von Running Scared, in der es nur darauf ankommt, was schneller zuneige geht – der Adrenalinspiegel des Protagonisten oder die verbleibenden Stunden der Menschheit. Die Antwort kommt überraschend früh, wenn mit dem Finden des Mädchens Tempo raus genommen wird und der Film vom Endzeit-Thriller zum Endzeitdrama mutiert.
Das Wahnsinnstempo vom Anfang wird nicht gehalten. These final Hours startet an seinem Höhepunkt und flaut dann langsam ab. Das soll nicht bedeuten, dass der Film fad oder träge würde, schade ist es trotzdem, dass das bunteste Feuerwerk bereits gleich zu Beginn in den Himmel gejagt wurde. So gibt es einen tollen Einstieg und eine entsprechend rasante Charaktereinführung, die etwas verspricht, dass so richtig nicht eingelöst wird. Dass James‘ Situation sich beruhigt, sobald das kleine Mädchen aufkreuzt und ihn in den letzten Stunden seines Lebens in Verantwortung schult, hat natürlich System, doch dass mit dem Herabsinken des Tempos auch die zündenden Ideen in immer größeren Abständen auftauchen, ist schade.
Letztlich ist die Reise von James und Rose ein abklappern einzelner Stationen unterschiedlichen Risikogrades – und längst nicht alle gleich gut gelungen, auch wenn keine tatsächlich unnütz ist. Gerade die zentrale Etappe, die eigentlich ersehnte Weltuntergangs-Party im XXL-Format wartet mit einem ganzen Konfliktkaktus auf, der der Narration wie auch den Figuren mehr schadet als nützt.
Dass die Reise als solche fast überhaupt keine Bewandtnis für den Film hat, ist schade, ist These final Hours doch eigentlich ein Road Movie, das es verdient hätte, auch dem Weg die verdiente Tiefe zuzusprechen. Dafür hätte man zu den knapp 80 Minuten Laufzeit auch gerne 20 weitere hinzuaddieren dürfen. Das Spiel der beiden Hauptdarsteller hätte nämlich ohne Frage das Potenzial für weitere Charakterentwicklung gehabt. Sowohl der stämmige Nathan Phillips als in letzter Sekunde zu läuternder James als auch und insbesondere Angourie Rice als Rose, die von der Kinderschauspielerin mit einem preisverdächtigen Bewusstsein für den Spurwechsel von Einfühlsamkeit, Verletzbarkeit und Frechheit dargestellt wird und sich damit so überdeutlich für Großes empfiehlt, dass man dieses Zeichen hoffentlich nicht übersehen wird.

Die ersten Bilder lassen die Befürchtung aufkommen, dass These final Hours in Sachen Technik lahmt, denn die kurzen Impressionen des Kometen muten so hölzern an, wie das Budget es erahnen lässt. Doch abseits von Special Effects beeindruckt Zak Hilditchs Film mit messerscharfer Regie der gleichsam einschneidenden Bildern, die oftmals gelungen die Stimmung pointieren und auch in folgenden Szenen noch nachwirken, während die Tonebene immer wieder mit harschen Akzenten und stimmungsvollen Effekten aufwartet, dabei aber nicht aufdringlich oder stumpf klingt. Von kleinen Anschlussfehlern abgesehen, ist These final Hours sauber und gekonnt inszeniert und wirkt damit wie aus einem Guss.
Manchmal fühlen sich die lauteren und leiseren Momente an wie ein Sägeblatt auf der Haut, manchmal wie das Geräusch, wenn die eigenen Zähne sich quietschend berühren und man fast zu spüren meint, wie der Zahnschmelz sich verabschiedet, manchmal aber auch befreiend und umzingelt von seiner hoffnungslosen Prämisse traurig-schön. Damit gelingt dem Film das, was er ausdrücken will. Und damit ist dies, neben den sehr ähnlich angelegten Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt gelegt, der bessere Film.

Fazit

These final Hours ist ein straff inszeniertes und manchmal zu straff erzähltes Endzeitdrama, das nicht nur durch seine kohärente Stimmung, sondern vor allem mit den beiden Hauptdarstellern überzeugen kann. An sah schon lange nicht mehr ein derart gut funktionierendes Gespann von Mann und Mädchen auf dem Bildschirm. Ein weiteres Beispiel für feines Genrekino von Down Under.

Der Große Japaner – Dainipponjin

Der Comedian Hitoshi Matsumoto hat gut 5 Jahre an seinem ersten Film gearbeitet. Der Große Japaner – Dainipponjin ist oberflächlich betrachtet eine Verballhornung japanischer Monsterfilme, sogenannter Tokusatsu-Sendungen, geworden, was bereits in seinen zahlreichen Sendungen sein Markenzeichen war. Wird man mit dem Film konfrontiert, präsentiert er sich schnell als einer der seltsamsten und keineswegs genießbarsten Filme des letzten Jahrzehnts.

Brustwarzen sind wichtig. Ja…

Story

Das Tolle an Regenschirmen ist, sie werden nur groß, wenn man sie braucht. Seegras ist aus ähnlichen Gründen ganz wunderbar. Fahrräder mag er eher weniger. Mit der achtjährigen Tochter läuft es dafür nicht so rund. Sie lebt bei ihrer Mutter, einmal im Monat gehen Masaru Daisato und sie ins Kino. Der schwermütige Tropf, der hier tagein tagaus von einem Kamerateam begleitet wird, ist in seinem Alltag ein ganz normaler Japaner. Zugleich ist er aber auch der Letzte einer langen Reihe von Menschen, die durch direkte Starkstromeinwirkung zu Hünen mutieren, um Japan wann immer es nötig ist vor haushohen Ungeheuern zu beschützen.
Doch brach die Heldenverehrung lange ab. Japan hat die Begeisterung für seinen kühnen Nationalhelden längst verloren und empfindet den Retter eher als Störenfried und Plage. Immerhin ist er ein Beschützer sechster Generation. Nun ist sein Leben armselig, sein Gehalt mickrig, die Einschaltquoten nicht nennenswert.

Kritik

20 Minuten lang sieht man Masaru Daisato atonal, verunsichert, etwas schusselig reden, gefilmt von einer amteuerhaft geführten Handkamera, inteviewt von einem nie zu sehenden Fragensteller, der nicht durchblicken lässt, ob seine Fragen gut überlegt oder unvorbereitet und ahnungslos improvisiert sind. Das Gespräch ist banal, seine Antworten sind laff.
Dann beginnt der erste Kampf gegen ein Ringmonster mit schütterem Haar und Seitenscheitel, das wie ein irre gewordener Wal klingt und wo es nur kann laicht. Vom Design her sind die Monstrositäten äußerst gelungen. Die riesigen Hybriden aus abstrakten Organismen mit menschlichen Gliedern und überproportional großen Köpfen, wie sie auf den Schultern eines jeden Bürgers nicht auffielen, sind zugleich bemitleidenswert und derart unästhetisch und vulgär, dass automatisch Unwohlsein auslösen. Dass die Animationen der Riesen fast schon laienhaft ausfallen, passt dafür erstaunlich gut ins Bild. Die Kämpfe sind bewusst träge, die absurde Bewaffnung unseres Hauptdarstellerhühnen in Form einer kurzen Eisenstange herrlich unangemessen – und seine knappe purpurne Unterhose genauso unangenehm wie jede anderfe Art von Körperlichkeit in Dainipponjin.

Der Humor ist sehr leise, ergibt sich nur aus der absonderlichen Situation und nicht aus direktem Witz. Der Film ist zum Glück diszipliniert genug, nicht albern zu werden und das zerbrechliche Gleichgewicht zwischen lakonischer Tristesse und bizarrer Parallelwelt zu gefährden.
Doch dabei ist es eigentlich nur selten wirklich komisch, mit fortschreitender Laufzeit, in der wir den einsamen, in sich gekehrten Melancholiker begleiten, erhält der Film erst eine Aura der Bedrohlichkeit, die sich im Hintergrund immer spürbarer auftut und wird dann plötzlich einfach nur noch leer und trostlos.

Das Problem des Filmes: Dainipponjin – Der große Japaner setzt sich zusammen aus sehr vielen ruhigen Interviewpassagen, die nur dann und wann von den skurrilen Monstermissionen abgelöst werden. Die einzelnen Geschehnisse sind vom Prinzip her groß, hängen aber in keiner Weise zusammen. Sobald klar ist, dass die Geschichte genaugenommen nur eine lose Kette unzusammenhängender Ereignisse darstellt, ist es schwer, den Film mit großer Aufmerksamkeit weiterzuverfolgen, da die Einzelheiten nicht interessant genug sind und im Kontext des Gesamten keine nennenswerten Verknüpfungen zueinander aufbauen.
Der Mockumentary-Stil entschuldigt in gewissem Maße zwar die sehr lieblos geführte Kamera, ganz vergessen machen kann er sie aber nicht.
Trotzdem lässt sich eine sonderbare Art der Anziehung nicht bestreiten. Es gibt witzige Momente, die davor bewahren, Langeweile entstehen zu lassen. Aber das ist nicht der ausschlaggebende Punkt. Bemerkenswert sind vielmehr die weitaus zahlreicheren Szenen, die höchst irritierend sind, ohne dabei wirklich verstörend zu werken. Sie sind einfach nur seltsam. Und sonst nichts. Irgendwo in der Schnittmenge aus Scham, Mitleid und peinlicher Berührtheit spielt sich der Film ab.
Das klingt eigenartig und das ist eigenartig. Dainipponjin baut eine ungeheuer eigene Atmosphäre auf, die definitiv keinen Spaß macht, aber fraglos was für sich hat und behaupten kann, höchst eigen zu sein.. Ob das genügt, sich auf den Film einzulassen, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Die letzten 15 Minute sind dann urplötzlich ein Feuerwerk des Einfallsreichtums, wunderbar absurd, überdreht und spritzig. Dadurch entsteht ein Kontrast zum restlichen Film, der so enorm ist, dass es das Gesamtwerk fast schon rund macht. Doch das soll und kann nicht verheimlichen, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Satire nicht saftig genug ist, die Komödie nicht ausreichend witzig, die Tragödie zu zerfahren und nicht zuletzt auch das Spiel von Hitoshi Matsumoto nicht ausdrucksstark genug.

Fazit

Japans Comedian Hitoshi Matsumoto in Personalunion als Regisseur, Autor, Produzent und Hauptdarsteller schafft mit seinem Regiedebut etwas einzigartig Spleeniges, das dennoch nicht zwangsläufig sehenswert ist, da über Dainiponjin bei besten Willen nicht gesagt werden kann, dass er Spaß macht. Die Tokusatsu-Filme werden durch die orientierungslose Dramatik in gewisser Weise zwar treffend aufs Korn genommen, das Bemerkenswerteste an diesem Kuriosum ist aber zweifelsohne seine kaum zu beschreibende Atmosphäre, die sich aus merkwürdig anstößig anmutenden Schlichtheiten selbst gebärt.

Advantageous

Schon wieder so ein Film, der sich am einfachsten (natürlich aber nicht ausschließlich) über Netflix schauen lässt. Doch was soll man tun – denn auch Advantageous kann mit Eigenständigkeit und Mut überzeugen.

You make me very happy.

Story

Gwen ist das Gesicht, das die Öffentlichkeit mit des „Center For Advanced Health And Living“ – ein Unternehmen, das zukünftig das revolutionäre Angebot auf den Weltmarkt bringen soll, Körper tauschen zu können. Körperlich benachteiligte, Unzufriedene, Alte – jeder, der möchte, soll dann einfach einen neuen Körper bekommen können. Effizienter, sicherer und schmerzfreier als jede Schönheitsoperation. Das passt perfekt in eine Welt, in der das Äußere des Menschen wichtiger denn je ist.
Gwen hingegen passt weniger in diese Zeit, denn der Alterungsprozess sorgt dafür, dass man sie ihrer Stelle entheben will, um ein jüngeres Zielpublikum anzusprechen. Die alleinerziehende Mutter wäre dann nicht in der Lage, ihre hochbegabte Tochter Jules, die zugleich auch ihre engste Freundin ist, auf die richtige Schule zu schicken. Als ihre Suche nach anderen Geldquellen stockt, bleibt ihr nur die Überlegung, das erste Testsubjekt des eigenen Firmenproduktes zu werden. Doch ist die Aufgabe ihres Körpers – mit sämtlichen unvorhersehbaren Risiken – dies wirklich wert?

Kritik

Zu künstlich wirken aber auch die Effekte. Ob Qualm aus Gebäuden wogt, ob Polizeieinheiten wie Miniatur-Milleniumflalken über die Köpfe der Protagonisten Zischen oder einfach nur die Skyline im Bild ist – dass all dies aus dem Computer stammt, ist jederzeit allzu deutlich. Da aber die anderen Produktionswerte stimmen, der Film sich um einen markanten Stil bemüht und es am Schauspiel nichts auszusetzen gibt, ist dies eigentlich nur eine Kleinigkeit. Schade ist es dennoch, denn bei einigen Designs, allem voran bei der äußeren Gebäudegestaltung, ist viel Liebe zum Detail zu erkennen.

Der erste – scheinbare – Knackpunkt ist die Frage, ob die Prämisse der gesamten Geschichte für einen abendfüllenden Spielfilm als Allegorie taugt oder zu seicht ist. Advantageous spielt, wie unzählige andere Erzählungen ebenfalls, in einer Gesellschaft, in der nicht nur die Technik, sondern auch der Fokus auf das Äußere der Frau, auf Jugend, Attraktivität, Angepasstheit sich verstärkt hat. Aus dieser Ausgangslage arbeitet sich dann die eigentliche Geschichte heraus, die viel mehr zu bieten hat, als man eingangs vermuten mag. Es ist die eines Mutter-Tochter-Gespanns, das die Welt zu verstehen und sich zugleich in ihr zu behaupten versucht; auf eine sehr tragisch-intensive Weise. Dass das keineswegs zu schlapp wirkt, sondern sehr zu gefallen weiß, liegt vor allem an drei Dingen. Der Machart, der Welt und den beiden überragenden Hauptdarstellerinnen.

Denn die Welt hat neben der Prämisse der Geschichte noch mehr zu bieten. Diese Zukunft ist hell, aber düster. Radiosprecher erzählen von ansteigenden Sexarbeitern im Kindesalter, künstliche Intelligenzen wachsen unmerklich über die Menschen hinaus, zwischen den glatten Firmen werden Individuen zerdrückt, die nicht schnell genug lernen, um im Zuge des Fortschritts weiterhin nützlich zu sein, aber zu schnell altern, um den Ansprüchen ihrer Mitmenschen nicht mehr genügen zu können. Die Gesellschaft ist schneller, weiter und kannibalistischer denn je. All das könnte leicht auch zu abgeschmackt wirken, erscheint in seiner Komposition aber stimmig, bedrückend und auf perfide Weise interessant.
Jacqueline Kim (zugleich auch für das Drehbuch und die Produktion verantwortlich) als entschlossene Frau füllt ihre Rolle äußerst glaubwürdig und überzeugt mit einem kontrollierten Minenspiel. Besonders herausstechend ist aber Tochter Jules, deren sehr eigene, unkindliche Persönlichkeit durch Nachwuchstalent Samantha Kim mit einer phänomenalen Natürlichkeit belebt wird. Das ist besonders imponierend, wenn man sich die Nachnamen der beiden Darstellerinnen anschaut.
Aufgrund der Konstruktion der Zukunftswelt und einer ungewöhnlichen Kamera- und Schnittarbeit, deren Besonderheit nur schwer zu erläutern ist, ergibt sich daraus ein eindringliches Sci-Fi-Drama über Mut und Verzweiflung.

Fazit

Von der auf den ersten Blick schablonenhaften Prämisse von Advantageous sollte man sich nicht täuschen lassen, denn aus dieser entspinnt sich ein sensibler, aufregend fotografier, konsequenter und trauriger Film über das Schicksal zweier Verlorener, die für sich und einander kämpfen. Ein Film über das Scheitern von Großen.

Unknown Town

Japan-Filmfest Hamburg 2015 Special 4


Maybe

Story

Als Yuji nach Hause kommt und feststellen muss, dass sich ein mit ihm befreundeter Tagedieb bei ihm auf einer eigens mitgebrachten Couch eingenistet hat, ahnt er noch nicht, dass dies noch das mildeste Ereignis der nun kommenden Tage sein wird.
Er, der eigentlich Besuch von einem Familienmitglied erwartet, trifft die unbekannte und sich leicht sonderbar verhaltende Frau Ryoko an seiner Tür. Sie habe, erzählt sie ihm, früher in seiner Wohnung gelebt und erwartet, ihren damaligen Lebensgefährten Goto dort anzutreffen.
Später am Abend glaubt sein ungebetener Gast einen Geist zu sehen. Und damit beginnt eine Verkettung von Ereignissen, in der sich Yuji sehr schnell verliert.

Kritik

Wer bei der Inhaltsangabe einen spröden Geisterfilm nach Schema-F erwartet, wird anfangs schon eines Besseren belehrt – und dabei doch auf eine ganz andere Weise vom Film genarrt. Wir begegnen zwei verschrobenen Charakteren, die mit ihrem gesunden Humor, knackigen Dialogen und ihrer flapsigen, miteinander vertrauten Art eine überraschend lockere und launige Atmosphäre schaffen.
Schon früh gibt Unknown Town seine Stärken preis. Die Gespräche sind ausnahmslos toll geschrieben, bestehen aus treffsicheren, sehr präzisen Alltagsbeobachtungen mit einem Bewusstsein für den Kern von Dingen, wie man es nur in sehr guter Literatur vorfindet, und punkten mit einem feinsinnigen Gespür für Natürlichkeit. Bebildert wird dies von einfallsreichen Collagen einer Kamera, die genau wie die Dialoge ein enormes Talent dafür besitzt, die richtigen Dinge in der richtigen Einstellung zu zeigen. Unknown Town ist ein wahres Stilungeheuer, dabei aber so unaufdringlich, dass einem die Herkunft des Zaubers, den der Film ausstrahlt, erst beim genaueren Nachdenken offenbar wird.

Immer wieder springt die Geschichte hin und her zwischen der Perspektive Yujis und der Ryokos, ohne dass der konkrete Zusammenhang zwischen den beiden Handlungsebenen zur Gänze erkennbar ist. Dadurch wirkt der stilistisch so homogene Film nach einer Weile seltsam zerrissen zwischen der fesselndem Machart und der sehr freien Geschichte. Das jedoch ist nur die Vorbereitung für einen immer größer werdenden Bruch, bis die zu Beginn noch lockere Stimmung ganz in den Hintergrund gerückt ist und einem mit einem Schlag gewahr wird, dass hier etwas ganz anderes, viel Größeres im Gange ist, das nur schwer zu fassen ist. Irgendwann im Verlaufe dieser Metamorphose wird Unknown Town zu einer beunruhigenden, teils David Lynch-artigen Erfahrung, die den Zuschauer so alleine lässt, wie der Protagonist es ist. Das Geschehen wird immer rätselhafter, vermeintliche Tatsachen lösen sich vollends auf und zurück bleibt das Gefühl, das Geschehene nur mit Mühe und trotzdem nur beinahe fassen zu können – wie einen Geist.
Seiner ergreifenden, völlig unprätentiösen Machart bleibt dieser mysteriöse Sonderling aber bis zum Schluss treu. All das ist gleich noch viel erstaunlicher, bedenkt man, dass es sich um das Erstlingswerk einer bisher in der Filmlandschaft überhaupt nicht in Erscheinung getretenen Person handelt.

Fazit

Nach einem lockeren Start erfährt Unknown Town eine Spaltung und wird unterwegs selbst zu einem engimatischen Gespenst. Ein Gespenst jedoch, das voll ist mit aufmerksamen Beobachtungen und einer einzigartigen Liebe zum Detail, inhaltlich und audiovisuell.
Was am Ende bleibt, ist, neben den nachhallenden Eindrücken, der Wunsch, den Film ein zweites Mal zu schauen, um ihm sein Geheimnis abzuringen.

Bedauerlich ist es nur, dass dies einer jener Filme ist, die rasch in der Versenkung verschwinden werden (ein Schicksal, das z.B. auch der Geniestreich Slum-Polis erlitt – der Film hat nicht einmal einen IMDB-Eintrag)… selbst die Recherche nach einem Poster bleibt erfolglos.

Ryūsei

Japan-Filmfest 2015 Special 1

Just take your pills and get some sleep.

Story

Beim gemeinsamen Betrachten des Schauspiels eines Meteoritenschauers äußern die Schüler Toru, Ryuta und Haruhiko ihre größten Wünsche für ihre Zukunft. Nach der Schule trennen sich ihre Wege. Als sie Jahre später in ihre Heimatstadt zurückkehren, werden sie durch das kaum veränderte Milieu ihrer Jugend damit konfrontiert, dass sich ihre Leben nicht den Erwartungen entsprechend entwickelt haben.

Kritik

Knapp 80 Minuten verfolgt der Episodenfilm die Rückkehr dreier junger Männer in die Kleinstadt ihrer Kindheit, wo einstmalige Weggefährten sich ebenso wenig veränderten wie das Bild von urbanem und ruralem Raum. Diese Stasis ist es, die den Protagonisten vor Augen hält, dass die Konzepte, die man sich als Jugendlicher, der sich inmitten der Formungsphase der Adoleszenzkrise befindet, vom Wunsch eines Erwachsenenlebens macht, selten mit dem realem Werdegang des tatsächlichen übereinstimmen. Stattdessen findet die Genese eines Menschen mit unkontrollierbarer Eigenlogik statt; oder, um mit George Herbert Mead zu sprechen, das impulsive Ich steht handelnd immer an erster Stelle, ehe das reflektierte Ich sich seiner Handlungen annehmen kann und gezwungen ist, die so gewachsene Biographie zu verstehen.
Die Erlebnisse der Drei werden in kurzen Zeitfenster erzählt, die sich gegenseitig immer wieder mit sehr unvermittelten Sprüngen unterbrechen. Die sehr unterschiedlichen Orte, an denen die Geschichten sich entfalten, sorgen zusätzlich für eine angenehme Abwechslung, ohne dass die Ruhe des Filmes dadurch gestört würde.
Die Kamera ist dabei auffällig ruhig, die Bewegungen lassen sich vermutlich problemlos an einer Hand abzählen, so wie auch im Leben der Protagonisten eine stete Steifheit herrscht. Wenn dann doch mal ein Schwenk den Stillstand durchbricht, fällt er umso stärker ins Gewicht.
Zwar fallen die Nebendarsteller manchmal etwas ab, im Gesamten spielt das Ensemble aber sehr angemessen und zur sanften Filmmusik entsteht ein leises Portrait mit gefühlvollen Beobachtungen über schicksalsgleiche Unplanbarkeit und die große Herausforderung, vor diesem Faktum nicht zu resignieren, sondern es stattdessen als Positives zu begreifen.
Eine der drei Geschichten kommt jedoch deutlich kürzer als der Rest und wirkt im direkten Vergleich daher auch etwas unbeholfen. Dennoch gelingt es der Gesamterzählung im Verlauf, eine gelungene Steigerung von Relevanz und Dramatik zu generieren – überhaupt ist es wohl der größte Verdienst des Filmes, die Thematik nicht spröde oder kitschig (wie es manche Poster befürchten ließen) auszukleiden, sondern sie so darzustellen, dass sie ganz ohne zusätzliche Beimischung von künstlichen Konflikten oder Pathos permanent interessant wirkt.
Darüber hinaus handelt es sich bei Ryūsei auch über eine ansatzweise Abhandlung über die Entfremdung voneinander in der gegenwärtigen japanischen Kultur, die die Generation der 20 – 30-jährigen in einem Gestrüpp aus westlich-kommerziellen und väterlich-traditionellen Appellen aussetzt, in dem sich zurechtzufinden ein permanenter Kampf ist. Auch stellt der Film die Frage über die Diachronität moralischer Banden in sozialen Beziehungen – es ist ein unaufgeregter aber aufrichtiger Film über die Probleme von Durchschnittsmenschen, die sich vor allem damit abfinden müssen, Durchschnittsmenschen zu sein.
Bei keinem dieser Komplexe greift Kenji Tanis Studie in die Tiefe und so wird naturgemäß auch nichts Verblüffendes zutage gefördert. Es ist ein Film, der vor sich hinplätschert, ohne zu langweilen, der auf seine Weise aufrichtig ist, ohne umzuwerfen. Ganz wie die Leben, die er schildert.

Fazit

Ryūsei ist kein großes Werk mit Tiefgang und fesselnder Story, ganz im Gegenteil. Es ist ein kleiner, stiller Film über die Schwierigkeit, sich selbst zu akzeptieren, der nie mehr sein möchte. Gerade in dieser bescheidenen Wiese liegt die angenehme Wirkung des Filmes, der keine großen Ansprüche stellt, sondern sich damit begnügt, die richtigen Bilder für ein alltägliches Problem zu finden, das jeden etwas angeht.

Retreat

Regiedebütant Carl Tibbetts versucht sich mit klassischen Mitteln an einem klassischen Genre, dem Kammerspiel. Eine Mischung aus Psychoduell, Seelenstriptease und Paranoiabuffet vor dem Hintergrund eines möglichen Science-Fiction-Szenarios ist sein mit Jamie Bell und Cillian Murphy attraktiv besetzter Erstling Retreat geworden.

And there is no one else to go.

Story

Die Akademiker Martin und Kate verbringen ihren Urlaub auf der abgeschiedenen Insel Blackholme. Als einzige Menschen auf dem Brocken im Meer wollen sie ein paar Tage entspannen und sich an bessere Zeiten erinnern, um so nach einer Fehlgeburt ihre Ehe zu retten.
Es läuft nicht wie geplant. Das Pärchen scheitert an Harmonie, der Stromgenerator explodiert und anstatt des gemütlichen Doug, der für Personentransport und Reparaturarbeiten zuständig ist, kommt am nächsten Tag ein völlig Fremder und bricht ein paar Meter vor der gemieteten Hütte blutüberströmt zusammen. Kein guter Tag für zerstrittene Liebende.
Als die beiden ihn auf ihr Sofa hieven, ahnen sie noch nicht, wen und was sie sich ins Haus geholt haben. Der Verletzte erwacht und stellt sich als Jack Coleman vor. Er trägt eine Waffe, gibt vor Soldat zu sein und überrumpelt die beiden mit einer Nachricht, die zu schockierend scheint, um wahr zu sein. Jack verhält sich auffällig, wird zunehmend aggressiver und verbietet seinen Gastgeber, das Haus zu verlassen – der Sicherheit wegen.
Spricht er die Wahrheit oder handelt es sich um einen Kriminellen, der ein perfides Spiel mit dem Pärchen spielt?

Kritik

Das altbekannte Schema. Ein Fremder dringt in die private Sphäre und verhält sich auffällig, wobei der Film sich nicht ziert, das volle Programm abzuspulen. Dominantes Verhalten, verdächtige Sätze und ab und an ein irrer Blick, dazu Machtspielchen und cholerische Ausbrüche. Die Frage, ob er tatsächlich Soldat ist und  die Wahrheit spricht, oder ob es sich vielleicht doch um einen Irren mit Kontrollwahn und makabrem Masterplan handelt, steht im  Raum und drängt nach Beantwortung – doch egal, wie sie beantwortet wird, ein unsympathisches Ekel ist Jack ohnehin. Die Riege der hochcharismatischen Zwietrachtstreuer wird durch ihn nicht bereichert, aber das ist ja auch kein Muss.
Nur fehlt es auch den beiden Protagonisten an Ausstrahlung. Alle Figuren wirken auf ihre Weise kalt und kaum zugänglich. Das mag zu Seelenleben und Situation der Charaktere passen, macht es dem Zuschauer aber nicht leicht, um ihr Schicksal zu bangen. Unterkühlte Gestalten in einem unterkühlten Film, die etwas erleben, das normalerweise erst durch Erhitzung Spannung schafft.
Die Musik von Anfang und Ende strahlt eine bewegende Dramatik aus, die zwischen den ersten und den letzten Sekunden des tatsächlichen Filmes leider nicht so recht erbracht werden kann.

Retreat ist gut gespielt und schön gefilmt. Dafür einige Szenen sind zu lang und manche Bilder zu ereignisarm. Eine Stimmung der Beklemmung ist vorhanden, aber in der routinierten Verpackung wirkt das alles fast schon beliebig. Man kennt das Spiel an anderem Ort und die Figuren sind hinter dem guten Schauspiel von Murphy, Bell und Newton eigentlich sehr blasse Gesellen. Auch ihre Geheimnisse und Schattenseiten sind auf den ersten Blick nicht interessant genug, um tatsächlich mitzufiebern. Man schaut gerne hin, es ist gefällig, die Inszenierung ist erwähnt gut, wenn auch sehr unaufgeregt, das eigentliche Interesse regt sich aber kaum.
Richtige Spannung entsteht erst dann, wenn sich die Lage nach ziemlich genau einer Stunde verschlimmert, die Katze aus dem Sack zu sein scheint und man sich des eigentlichen Problems annehmen kann und muss. Das ist für einen solchen Film nicht sonderlich gut, denn es bedeutet, dass Zweidritteln von ihm verstrichen sind, bevor die Geschichte sich so warmgelaufen ist, dass sie den Zuschauer zum ersten Mal mitzunehmen vermag.
Nun mag man sagen, dass dieses Review hier gewissermaßen die Antwort auf die große Frage, die der Film stellt, im vorherein ausplaudert. Schließlich wäre Retreat nicht auf einer Science-Fiction-Seite zu finden, wenn sich zum Schluss herausstellt, dass der dubiose Eindringling tatsächlich nur ein Psychopath oder Gameshowmaster ist. Ein bisschen Zukunfts-Pandemie muss da schon drin sein.
Eigentlich aber ist der Ausgang der Story für die Kategorisierung unerheblich. So oder so arbeitet der Film mit der Zuschauererfahrung durch ähnlich geartete Filme und macht sich dieses mitgebrachte Vorwissen auch gekonnt zunutze. Man beobachtet das Treiben, studiert die Chemie zwischen den Charakteren und muss zwangsläufig mit Genregeschwistern vergleichen, um dann für sich und nach aktuellem Wissensstand zu beschließen, wie wahrscheinlich es ist, dass der Fremde falsches Spiel spielt und draußen eigentlich alles so paradiesisch wie eh und je ist. Gewisser Weise greifen die Zuschauer genauso wie Kate und Martin auf einen derartigen Wissenskorpus zurück und müssen auf seiner Basis entscheiden – nur dass hinzukommt (oder abgezogen wird, je nach Perspektive), dass sie nicht die Erwartung an eine Filmhandlung haben. Letztlich macht dies beim Abwägen der Möglichkeiten aber keinen nennbaren Unterschied.

Fazit

Eine Idee mit Potenzial, gute Schauspieler und ein friesisch-kalter Handlungsort. Eigentlich beste Voraussetzungen für erdrückende Atmosphäre und eiskalte Nervenreiberei. Dass der Film bis hin zu seinem Ende etwas zu routiniert abgespult wird und auch die Figuren zu beliebig angelegt sind, führt aber dazu, dass Retreat trotz guter Ansätze unterm Strich nur Durchschnittskost ist.

Quintett

8 Jahre nach dem famosen McCabe & Mrs. Miller, dem einzigen Film, der die Bezeichnung ‚Antiwestern‘ mit Recht trägt, und 6 Jahre nach Der Tod kennt keine Wiederkehr, der besten Chandler-Verfilmung, die es gibt, drehte Robert Altman Quintett, einen heute fast vergessenen Endzeitfilm. Die Kritik erörtert, weshalb der Film dem Vergessen anheimfiel.

Trying to find a meaning where there is none?

Story

Essex kommt aus dem Süden, wo er die letzten lebenden Robben erlegt und verspeist hat. Er ist ein Mann in einer postapokalyptischen Welt, die nur noch aus Eis und Tod besteht. Als er nach über 10 Jahren zusammen mit seiner Begleiterin seine alte Heimatsiedlung betritt, begegnen ihm die Bewohner mit Argwohn.
Kurz nachdem er seinen Bruder ausfindig gemacht hat, wird eine Bombe in dessen Haus gezündet. Sein Bruder, dessen Familie und Essex‘ Begleiterin kommen um. Letztere war die einzige bekannte Frau, die noch schwanger werden konnte. Der Reisende findet eine Liste mit Namen bei den Opfern und stellt Nachforschungen an. Die erwähnten Personen verbindet eine ausgeprägte Leidenschaft zum frenetisch bejubelten Brettspiel Quintett, das der alleinige Lebensinhalt der überlebenden Menschen zu sein scheint.

Kritik

Altman ist dafür bekannt, dass seine Filme Genres dekonstruieren. Sei es der Western, sei es der Film Noir. Immer wieder zerpflückte der Regisseur analytisch die standardisierten Erzählstrukturen, hielt narrativen Konventionen den Spiegel vor und ließ sie so vor sich selbst erschrecken. Man darf, so man Quintett noch nicht kennt, sich also fragen, ob hier vielleicht Science-Fiction im Generellen oder Endzeitszenarien im Speziellen umgegraben werden.

Die Welt des Filmes ist eine betuliche, kalte Welt. Der Film ist ein betulicher, kalter Film. Alles ist grau und weiß, die wenigen dreckbelegten Glühbirnen bringen eine Farbe ins Spiel, die nicht warm und einladend, sondern kränklich und gefährlich wirkt. Die Handlung ist unterlegt mit klirrend frostigen Klängen, die unentwegt im Hintergrund raspeln und das Gehör mit der ein oder anderen fast schon kakophonischen Spitze auf die Probe stellen. Um das Bild liegt permanent ein verengender Raureifeffekt, der große Teile des Gezeigten milchig macht und inständig an sowjetische Märchenfilme erinnert.
Quintett wirkt insgesamt viel älter und inszenatorisch überholter als die zeitlosen Altman-Werke, die vor diesem Film entstanden sind.
Wer stirbt, den holen die Hunde, die in Rudeln offenbar herrenlos um die Häuser streifen und auf frische Kadaver warten. Gesellschaftstiere als Gegenpart einer Gemeinschaft ohne Werte und Zusammenhalt, die sich selbst zerfleischt. Hunde, die in ihrer Geschlossenheit und gegenseitigen Loyalität die größte Bedrohung darstellen für eine Spezies der Vereinzelung, bei der Missgunst und Korruptheit andere Werte aushöhlten.

Das Wort „betulich“ am Anfang des vorigen Absatzes ist mit schwerer Betonung und in der langsamsten Artikulation zu lesen. Denn Quintett schleppt sich mühselig dahin und kommt selbst damit nicht vom Fleck.
Diese Langsamkeit ist nicht zwingend schlecht, zumindest nicht dann, wenn man Zugang findet. Dann ist der Film mit seinem vereisten Tempo fraglos atmosphärisch. Findet man den Zugang nicht, ist er in erster Linie wohl ganz unerträglich zäh. Die Gespräche sind seltsam komponiert, die Handlung seltsam strukturiert und die Figuren mit ihren lächerlichen Hüten und bedeutungsschwangeren Namen seltsam konzipiert. Dreh- und Angelpunkt ist das Brettspiel, das dem Film seinen Namen gibt und dessen Regeln für den Zuschauer wie auch für den Protagonisten undurchschaubar bleiben.
Da schimmert dann doch ein wenig der bekannte Stil des Filmemachers durch: Einen Endzeitfilm zu drehen, dessen Kern ein Gesellschaftsspiel ist, dafür bedarf es schon einen Querdenker wie ihn.
Aber auch dann, wenn man sich mit dem gemächlichen Tempo so sehr anfreunden kann, dass man bereit ist, es der Habenseite des Filmes zuzurechnen, kann man die offensichtlichen Fehler der Regie nicht sämtlich schönreden. Ebensowenig wie die Tatsache, dass die über 2 Stunden erzählte Geschichte eigentlich grässlich mager ist. Zudem die Verwicklungen innerhalb des Figurenkosmos nur leidlich interessanter Natur sind.
Zwar sorgen die hübsche Ausstattung mit den netten Ideen, die die Kultur dieser Gesellschaft charakterisieren, für ein spannendes Szenario, was sich in diesem dann an Filmhandlung abspielt, ist jedoch bestenfalls mit ‚seltsam‘ zu beschreiben. Es werden Handlungsstränge angestoßen, die dann niemals fortgeführt werden (so spielt es nach den ersten Minuten keine Rolle mehr, dass und warum keine Kinder mehr geboren werden können), Gespräche geführt, die nirgends hinführen und eine Spannung behauptet, die schlichtweg nicht existiert. Das alles ist derart kurios, in einem solchen Maße seltsam, dass man die Summe der schwer bekömmlichen und nicht zueinander passen wollenden Versatzstücke, aus denen der Film besteht, nur schwer als Versehen oder Unvermögen abtun kann. Jemand wir Robert Altman muss sich der Tatsache bewusst gewesen sein, was für einen großen Schmu er da produziert.

Man kann es dann auch so sehen, dass Altman hier nicht die Antithese zu einem bestimmten Genre formuliert, sondern gleich das letzte Level betritt und einen Anti-Film im Sinn hatte. Bewegungslos, ohne Fokus, zusammenhangslose Figurenkonstellationen und eine Geschichte, die nicht mal als Alibiplot durchgeht. So gesehen ist das nicht nur eine interessante, gegen den Strich gebürstete Seherfahrung, sondern kann dann sogar verstanden werden als Charakterisierung einer Welt,  die sich schlicht weigert, ihre Probleme anzuerkennen – vom Lösen ganz zu schweigen.
Das ist die Welt von Quintett. Eine Welt, wo es nicht zum guten Ton gehört, Türen zu verriegeln, weshalb es keine Schlüssel gibt, während Nacht für Nacht eingebrochen wird.
Und es geht irgendwie auf. Ein Spiel, dessen Regeln wohl nicht mal Altman kannte, eine Welt aus Nichts, ein Finale, das der Zuschauer nicht bekommt, und ein Ende, das das Ganze noch einmal mit Weiß unterstreicht. Ein törichter Film über eine törichte Welt. Ein experimentelles Kuriosum, das keinen Spaß macht und streckenweise fast schon quälend daherkommt, womöglich deswegen sein Ziel erreicht, jedoch auf keinen Fall Sehvergnügen im herkömmlich gemeinten Sinne bereitet.

Fazit

Selbst wenn man Quintett mit viel gutem Willen als ‚Anti-Film‘ betrachten kann, als welcher er durchaus funktioniert, hat man es schwer mit diesem Machwerk. Die zerfaserte, aus dem Nichts kommende und ins Nichts führende Handlung, die selbst nur eine abgewandelte Form von Nichts ist, vermag nur aufgrund ihrer Absonderlichkeit und des konsequenten Nihilismus zu fesseln. Im herkömmlichen Sinne zu loben sind Ausstattung und kleinere Ideen, während die weiteren Bestandteile im besten Fall Mittelmäßigkeit erreichen.
Selbst mit viel Toleranz, Offenheit und Liebe zum Anderssein lässt sich aus Quintett wohl nur Ratlosigkeit gewinnen. Experiment geglückt, vielleicht.

Doomsday Book – Tag des Jüngsten Gerichts

Zwei Regisseure, drei Filme – ein Omnibusfilm. Nichts Ungewöhnliches in der asiatischen Filmwelt. Die involvierten Personen sind es schon. Mit Yim Pil-sung (Hansel & Gretel) und Kim Ji-woon (I Saw the Devil, The Last Stand, A Tale of Two Sisters) sind mehr als nur anerkannte Filmemacher. Während auf ersterem die Hoffnung ruht, dass er noch Großes leisten wird, hat Kim Ji-woon sein Talent bereits vielfach unter Beweis gestellt. Ursprünglich sollte für den dritten Beitrag  Regisseur Han Jae-rim, der mit Portrait of a Gangster einen der wundervollsten und schrulligsten Thriller der letzten Jahre schuf, mitwirken, doch stieg dieser aus, woraufhin sich Kim und Yim am letzten Film gemeinsam versuchten.

Ich will jeden Moment aufzeichnen. Egal, ob schöne Momente oder schlechte Momente.

Story

Brave New World: Der nicht erfolglose, von seiner Familie aber völlig unterschätzte Yoon muss für ein paar Tage alleine den Haushalt schmeißen, während die Sippe Urlaub macht. Was Reinlichkeit anbelangt, waren seine Verwandten leider alles andere als motiviert. Das traute Heim strotzt vor Schmutz und in vielen Ecken modern ehemalige Nahrungsmittel  mit unkenntlich gegärten Zusätzen vor sich hin.
Widerstrebend entsorgt der junge Mann den Unrat. Doch wie die Wiederverwertungsindustrie nun einmal ist, wird eben dieser Hausmüll zu Tiermehl weiterverarbeitet, an hungrige Rinder verfüttert und irgendwo schleicht sich auch noch ein garstiger Keim ein. Die chemische Kombination ist natürlich – ein Zombie-Virus! Und das kontaminierte Fleisch landet direkt auf Yoons Teller, während dieser ein Date hat.

Heavenly Creature
: Androiden sind zu alltäglichen Stützen geworden, ein gemeinsames Leben mit ihnen ist lang schon Normalität.
In einem entlegenen Kloster ereignet sich aber Seltsames. Der Androide RU-4 erlangte das, was Mönche ihr ganzes Leben lang suchen: Erleuchtung. Ein Techniker wird geschickt, um den Sonderfall zu untersuchen und den Defekt zu finden, damit der Androide ersetzt und zerstört werden kann.

Happy Birthday: Die kleine Park hat einen sehr billardvernarrten Vater und ist daher nicht geringfügig in Sorge, als sie versehentlich seine schwarze 8 kaputt macht. Um den Vorfall zu vertuschen, bestellt sie auf einer etwas merkwürdig anmutenden Internetseite Ersatz und entledigt sich der des defekten Runds.
Zwei Jahre später hält ein Meteorit mit 10 Kilometern Durchmesser und der Form einer Billardkugel auf die Erde zu und kündigt das Ende an.

Kritik

Brave New World scheint anfangs nur von einem jungen Mann zu handeln, der endlich mal sturmfrei hat und die Zeit nutzt, sich vor Müll zu ekeln. Das Ganze ist ansprechend und unterhaltsam gefilmt und dazu so überzogen gespielt, dass man sich die ersten sieben Minuten einem reinen Slapstick-Film wähnt. Kurze Zeit später wird dann Schönes auf unappetitliche Weise dargestellt und mir nichts, dir nichts greift die Zombie-Plage um sich. Wobei zwischen Infektion und Verwandlung einiges an Zeit vergeht. Sowohl mit der Phase vor dem Ausbruch als auch mit diesem selber befasst sich der Film – im Verhältnis zu seiner Laufzeit – recht ausführlich. Die letzte Phase, wenn das Virus global um sich gegriffen hat und rostige Strukturen aufbricht, erfährt dann etwas weniger Aufmerksamkeit, obwohl sie die mit Abstand interessanteste ist.
Das alles ist nett anzusehen, beleidigt den Zuschauer nicht und macht auch nichts Entscheidendes falsch. Aber es ist auch einfach nichts Besonderes. Und bei einem Kurzfilm über Zombies etwas falsch zu machen, ist sowieso ein Ding der Unmöglichkeit.
Schade, dass man sich der eingangs so ausgewalzten Schmutz-Phobie des Protagonisten nicht weiterhin zugewendet hat, um die Geschichte mit Schwerpunkt auf ihr zu erzählen. Vielleicht wäre es dann kein besserer Film geworden, seine teilweise Austauschbarkeit hätte er dadurch aber auf jeden Fall verloren.
Die Invasion selbst wird nur angedeutet und, wohl aus finanziellen Gründen, nicht bebildert. Stattdessen dienen unterschiedliche TV-Beiträge als Ersatz für Illustration, wobei ganz nebenbei Verschwörungstheoretiker charmant aufs Korn genommen werden. Das Bunte Potpourri aus Nachrichten, Talkshows und pseudowissenschaftlichen Reportagen stellt eine herrlich skurrile Collage da, die viel besser funktioniert als der Rest des Filmes. Ganz zum Schluss nimmt das Geschehen noch einen Schwenk, der tatsächlich ein wenig an Cronenbergs Frühwerk Shivers erinnert.
Der Film wirft einige Fragen auf. Zum Beispiel, warum es in Korea offenbar normal ist, dass Leute an Fließbändern dafür bezahlt werden, den Hausmüll anderer Leute zu durchwühlen. Oder ob Kühe tatsächlich mit einem Rechen geschlachtet werden.
Nach alledem fragt man sich nach der letzten Sequenz etwas ratlos, was Brave New World denn überhaupt sein will. Kritik an Medien? Kritik an Massentierhaltung? Kritik am Umgang mit unserem Müll? Kritik an der Gesellschaft und Dekadenz allgemein? Kritik an Klarnamenzwang im Internet? Oder ist der Rote Apfel, mit dem es beginnt und endet, das Symbol für die Versuchung der schönen neuen Welt? Das Bibelzitat am Ende deutet an, dass all das, noch viel mehr und vielleicht auch gar nichts gemeint sein könnte. Vermutlich hat Yim Pil-sung einfach nur 40 Minuten Spaß gesucht und gefunden. Ganz ähnlich fühlte man sich auch bei seinem Debütwerk Hansel & Gretel.
Fassen wir zusammen: Launiger Anfang, Unterhaltsamer Endpart, zu gewöhnlicher Hauptteil – und damit in einer Kurzfilmsammlung eigentlich bestens aufgehoben.

6/10

Heavenly Creature ist der Mittelteil und widmet sich wenig überraschend den alten Fragen, ob Maschinen eine Seele haben können, ab wann künstliche Intelligenz nicht mehr zu unterscheiden ist von menschlichem Gemüt und warum wir Gutes fürchten, wenn es fremd ist. Heavenly Creature versucht von etwas zu erzählen, das wir als gleichwertig ansehen sollten, wenn wir nur einmal unseren per se voreingenommenen Blick in den naiven, nicht vorbelasteten Modus setzen könnten.
Das klingt bis hierhin wenig aufregend, da schon unzählige Male in unzähligen Variationen gesehen. Regievirtuose Kim Ji-woon  gelingt es aber, das Thema nicht kitschig oder sentimental, sondern erfrischend unkonventionell anzugehen und damit in einer noch ganz unverbrauchten Variation darzustellen. Er stellt die richtigen Fragen, erzeugt nur mit Worten große Spannung und setzt sein Werk aus traumhaft schönen, ungewohnt präzisen Bildern zusammen, die aus aufregenden Perspektiven betrachtet werden. Die Farben sind klar und warm, der Kontrast zwischen bebend ruhigem Kloster und stoischem Roboter ist berauschend und die Musik so makellos ausgewählt wie eingesetzt. Kernstück ist natürlich Androide RU-4, der sich bedächtiger bewegt als jeder Mensch, fremdartig, friedlich und unheimlich zugleich wirkt und perfekt komponiert durch den Film führt. Das offensichtliche Design-Vorbild I, Robot wird ab Sekunde 1 uneinholbar abgehängt.
Ein Roboter, der weiß, dass er nur Schraubenprodukt ist, der weiß, dass er repariert werden muss – und dennoch sein Gleichgewicht hat; produziert von einem Wesen, das fürchtet, von seiner eigenen Schöpfung überflügelt zu werden, deswegen das Zeitalter der Computer verflucht und Heil in hektischer Rückwärtsbewegung sucht. Sogar eine Prise Frankenstein lässt sich mit gutem Willen ausmachen.
Abfällig – unnötig abfällig – ausgedrückt, könnte man Heavenly Creature als ‚Laberfilm‘ abstempeln. Es wird geredet, eigentlich wird nur geredet. Allerdings ist es ein Laberfilm mit einem Roboter, der selbst kaum redet, über den dafür aber umso ausschweifender geredet wird – und darum geht es. Um Lebewesen, die zu eigenen Schlüssen fähig sind, über deren Köpfe aber hinweg entschieden wird. Klingt auf diesen Kern runtergebrochen platt, ist in der Ausführung aber mit seltener Eleganz geglückt.

Schade ist lediglich, dass der SF-Film zum Ende hin die Zügel loslässt und ins Pathetische ausbricht. Eine Erhöhung des Tempos – inhaltlich wie stilistisch – hätte es nicht gebraucht. Doch der Moment ist kurz und schnell kehrt wieder dem Tempel angemessene Ruhe ein.
Ein in Summe großartiger, cineastisch wertvoller Film, für den alleine sich der Kauf von Doomsday Book bereits lohnen würde.

8,4/10

In Happy Birthday befindet sich, wie schon im ersten Beitrag, eine große Spitze gegen das Fernsehen – natürlich, denn Selbstreflexivität kommt immer gut an. „Hätten sie auch gerne einen Bombenkeller, können sich aber kein eigenes Haus leisten?“
Eigentlich besteht das Filmchen zu einem Drittel aus Sketchen in Form von absurden Fernsehbeiträgen, die über das nahende Ende der Welt berichten und reichlich viele reichlich unvernünftig handelnde Menschen zeigen. Und das ist überhaupt nicht schlimm. Die Spots sind zwar durchgehend albern, überzeugen aber durch ein schönes Timing, haben funktionierende Pointen und machen den Film so zu einer hübschen Mischung aus purem Unsinn und einer weiteren Art von Unsinn, der aber eine düsterere Stimmung hat.
Die Familie um das kleine Mädchen, das die Apokalypse übers Internet bestellt hat, leidet nämlich ungemein unter der verfahrenen Situation und zeigt, auch durch das Spiel der Darsteller, große Emotion. Ein interessanter Dualismus, den der Film trotz seiner unsinnigen Thematik mit Geschick errichtet.
Technisch ist das Ganze ebenso gut umgesetzt wie der vorangehende Film. Sowohl musikalisch als auch visuell ist Happy Birthday eine Delikatesse. Die optische Eleganz liegt weniger an der Bildkomposition und mehr an der ungewöhnlichen Kameraführung, die nie Langeweile im Bild aufkommen lässt.
Leider ist die Geschichte um die Fernsehbeiträge herum nicht übermäßig spannend und erschöpft sich tatsächlich in der Prämisse der bestellten Billardkugel. Deswegen haben sich zwischendrin immer mal wieder einige Längen einschleichen können. Etwas, das bei grob 40 Minuten Spieldauer eigentlich nicht passieren sollte. Trotz allem auf seine Art empfehlenswert, obwohl der Film zwischen Comedy und seltsamer Familientragik im Bunker häufig desorientiert wirkt und keine der beiden Möglichkeiten voll ausnutzt.

6,9/10

Fazit

Alle Filme sind, wenn auch in unterschiedlichem Grad, sehenswert. Heavenly Creature ist sogar weitaus mehr als nur das.
Drei Filme, zwei Regisseure mit unterschiedlicher Handschrift. Yim Pil-sungs Arbeit ist handwerklich gut, zerfällt aber in zu viele Teile. Kim Ji-woon überzeugt nicht nur mit technischer, sondern auch mit inhaltlicher Raffinesse. Dem Schlussbeitrag Happy Birthday merkt man die Gemeinschaftsarbeit der Beiden in jeder Szene im Guten wie im weniger Guten an.
Was aus diesem Beitrag geworden wäre, wenn Han Jae-rim dem Projekt treu geblieben wäre, lässt sich leider nur raten. Doch auch so ist Doomsday Book – Tag des Jüngsten Gerichts eine schöne Anthologie über die Gründe, weshalb die Welt sich nicht mehr allzu lange drehen wird.

Another Earth

Mir läppischen 20.000 Dollar in der Budget-Kasse und ein paar Freunden im Schlepptau schuf Regie-Frischling Mike Cahill Stück für Stück seinen Film Another Earth. Die Schauspieler gaben sich mit Krümel-Gagen zufrieden und alles hing lange Zeit am seidenen Faden und drohte mehrmals ganz zu scheitern.
Doch der Film wurde fertig, durfte auf dem  27. Sundance Film Festival uraufgeführt werden, nahm zwei Preise mit und wurde wenig später weltweit vertrieben.

What now?

Story

Wie aus dem Nichts taucht ein neuer, ziemlich naher Planet am Himmel auf. Ein Planet, der der Erde bis aufs Kleinste zu ähneln scheint.
Der Abend dieses Ereignisses ist ein schöner. Die eifrige Rhoda Williams hat ihn sich zum Feiern ihres neuen Uniplatzes ausgesucht hat. Es ist warm, man ist ausgelassen und man trinkt.
Als Rhoda auf dem Rückweg etwas zu angeheitert in einen Wagen rast, löscht sie die ganze Familie von Musikprofessor John Burroughs aus, der selbst nur knapp überlebt.
Nach vier Jahren Gefängnis ist sie ein anderer Mensch, verschlossen, scheu und schwer depressiv. Ihre wissenschaftliche Karriere ist verworfen und sie hat einen Job als Hausmeister angenommen. Unterdessen kommt die zweite Erde immer näher.
Eines Tages treiben sie die Schuldgefühle an die Tür von John Burroughs, der vom Unfall ebenso gezeichnet ist wie sie. Anstatt um Vergebung zu bitten, heuert sie bei ihm als Putzfrau an und besucht ihn von nun an täglich. Zwischen den beiden entsteht eine unsichere Verbindung, während Rhoda an einem Wettbewerb teilnimmt, um zu den ersten Menschen zu gehören, die mit einem privaten Unternehmen die Reise zur mysteriösen zweiten Erde antreten.

Kritik

Überraschenderweise startet Another Earth nicht ruhig und langsam, sondern gediegen hip. Eine träumerische Interpretation der Jupiter-Aufnahmen aus der Yoyager-Sonde, knutschende Teens und beatlastige Elektromusik, zu der die Lettern des Filmtitels abwechselnd rhythmisch aufflackern. Nur die aus dem Off berichtende Frauenstimme ist etwas belegt und melancholisch.
Das ist der vorgegebene Ton, den der Sci-Fi-Film über seine Dauer hält. Das Hippe bleibt in der Umsetzung enthalten. Die schnellen Schnitte, die Art der Bildgestaltung und der Schauspielführung zeugen von inszenatorischem Eifer und viel Experimentierfreude. Dabei drohen die kleineren Ausbrüche in der Machart aber niemals den Rahmen zu verlassen.
Das Melancholische bleibt im Rest. Die Realität ist grau und bar jeder Erlösung. Die Stadt, das Wetter, selbst die Klamotten der Protagonistin: Alles in einem fahlen, trostlosen Grau. Grau ist auch Rhoda selbst, die eingemummt und versteckt hinter Mützen und Schals versucht, sich vor der Welt verbergen und ihr Leben in Unscheinbarkeit hinter sich zu bringen. Sie ist ein Phantom, das unter der Last der Schuld beinahe zusammenbricht. Der aufstrebende und vielseitig talentierte Jungstar Brit Marling (Jahrgang 83 und nicht nur Drehbuchautorin, Filmproduzentin, Regisseurin und Schauspielerin, sondern auch eingeschworener Anhänger kleinerer Produktionen) schafft es, das fragile Wesen dieser Frau äußerst überzeugend darzustellen. Ihre Gemütsschwere ist nach wenigen Einstellungen für den Zuschauer voll nachzuempfinden.
Eine interessante Wahl ist William Mapother (übrigens ein Cousin von Tom Cruise) als Ex-Professor jenseits der Selbstaufgabe. Sein Spiel wirkt anfangs nicht ganz rein und immer um ein paar Zoll überzogen, doch hat man sich erst einmal auf seine individuelle Art eingestellt, funktioniert sein Charakter auf eine ganz eigene und sehr spannende Weise. Neben guten Drehbuchmomenten ist das auch seinen markanten Zügen zu verdanken, denn das einprägsame und durch LOST nun gefragtere Gesicht sieht man meist nur in kleineren Nebenrollen. Völlig zu Unrecht. Die Art, wie er seiner Figur, der wenig mehr geblieben ist, als der Alkohol und verbittertes Starren, Glaubwürdigkeit verleiht, ist faszinierend. Er ist ein geschickt gewählter Gegenpol zum hinreißend unglücklichen Gesicht seiner Filmpartnerin.
Beide zusammen geben eine in ihren Tendenzen höchst destruktive Mischung ab, da sowohl die Protagonistin wie auch der Zuschauer wissen, dass die Art und Weise, wie die Figuren sich bebend näherkommen, zwangsläufig in einer alles unter sich begrabenden Enthüllung gipfeln muss.
Ein bleischweres Charakterdrama also.

Und dann ist da ja noch der Part mit der zweiten Erde, die einfach so als Zwilling neben der unsrigen auftaucht. Das riecht von Anfang an eigentlich stark nach einer schwülstigen Metaphernschlacht.
Eine Anfangsbefürchtung, die sich auch teilweise bewahrheitet. Die zweite Erde in Another Earth ist natürlich zuvorderst eine klobige Metapher.
Anders könnte der Film auch nie funktionieren. Schließlich wäre man in einer metaphernfreien Welt nicht erst nach ein paar Jahren auf den Zwilling im All gehopst und hätte außerdem mit leistungsstarken Teleskopen die Sandkörner und Hautschuppen des Erdenduplikats bereits am ersten zählen können. Stattdessen ist die ganze Zeit völlig unklar, was mit dem blauen Ball vorgeht und wer oder was sich auch ihm befinden könnte. Nur ein paar Talkshows spekulieren wild herum, was das Weltraum-Mysterium wohl bedeuten könnte.
Eigentlich geht es natürlich um Schicksal, um den Frieden mit sich selbst und den eigenen Taten. Um Selbstbetrug, Schuld, falsche Träume und nicht minder falsche Sühne. Die großen Fragen des Individuums, mit denen das Schicksal jeden irgendwann einmal konfrontiert.
Ist das Vorhaben gelungen oder sind die Metaphern zu platt und die Botschaften zu simpel?

Eine gar nicht so leicht zu beantwortende Frage. Feststeht, dass der Sci-Fi-Film mit viel Liebe gedreht wurde und darüber hinaus nicht nur mit handwerklicher Überzeugungskraft, sondern vor allem mit einer starken Darstellerleistung der Hauptdarstellerin punkten kann. Ganz außer Frage steht aber auch, dass einige Stellen definitiv das Potenzial besitzen, gehörig zu nerven. Nahe an kitschig, nahe an banal, nah an der Grenze zur Plattitüde. Doch kriegt Another Earth meist noch die Kurve und lässt das Potential klugerweise ungenutzt. Denn im entscheidenden Moment fühlt man wieder die Liebe, die in dem Film steckt, und merkt an sich selbst, dass  der gefährliche Cocktail letzten Endes doch wirkt und sogar ausgesprochen gut mundet. Another Earth ist unterm Strich bedrückend herrlich. Und somit schafft der Film einen großen Teil von dem, was er schaffen will. Sein größtes Verdienst ist es vielleicht, dass es gelingt, das Traurige in schönem Schein erstrahlen zu lassen. Überhaupt wächst Another Earth mit jeder Minute. Ist anfangs noch Raum für Zweifel und die Ungewissheit, wohin der Film möchte, bleibt später kein Platz mehr für solche Fragen und die Art, wie die Geschichte um Rhoda und John  erzählt wird, entfaltet eine Sogwirkung, die bei all dem Fatalismus der Geschichte seltsam optimistisch wirkt.

Die Verbundenheit von Regisseur Mike Cahill zur Science-Fiction ist dabei unverkennbar.
Die Protagonistin liest den Foundation-Zyklus von Isaac Asimov, die Menschen leiden unter den typischen Invasionsängsten und schmieren sie mit Kreide in großen Lettern auf die Straßen. Sogar eine Avatar-Anspielung ist vorhanden und ‚Earth 2‘, wie unser Planetendoppelgänger genannt wird, ist im Sci-Fi-Sektor ja auch kein Neologismus.

Atmosphärisch stark wird Another Earth immer dann, wenn er modern und gleichzeitig ruhig wird. Damit weist er eine eigentlich überdeutliche Parallele zu Love auf, der ja seinerseits viele Elemente seiner Geschichte als Metapher missbraucht. Beide Filme wurden mit weniger mehr als einem Taschengeld, im Elternhaus ihrer Macher und eben mit sehr viel Liebe zum Kino gedreht. Beide sind sie bei weitem nicht perfekt, aber auf ihre Weise definitiv sehenswert, wenn man auf außergewöhnliche Science-Fiction-Kost wert legt, die weniger in die Sterne und mehr in den Menschen blickt.

Fazit

Another Earth ist in erster Linie ein sehr ernstes Charakterdrama. Die Sci-Fi-Elemente sind Schmuck und bleiben die ganze Zeit im Hintergrund, um durch metaphorische Aussagekraft die Botschaft zu unterstreichen und die Sehnsüchte zu visualisieren. Das macht aus Another Earth ganz sicher keinen klassischen Science-Fiction-Film, bietet dafür aber eine frische Kombination unterschiedlicher Elemente, die auf diese Weise überraschend gut harmonieren. Kleinere Schwächen im Drehbuch sind da ein verzeihliches Manko.