Die Kannibalismusgroteske Delicatessen machte die Werbefilmer Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro vor über 20 Jahren über Nacht zu Weltstars. Nach ihrem zweiten gemeinsamen Langfilm Die Stadt der verlorenen Kinder gingen die Franzosen dann weitestehend getrennte Wege. Jeunet begann mit der Arbeit an Alien – Die Wiedergeburt und brachte damit eine ganze Generation gegen sich auf. Mit seinem Nachfolgefilm Die fabelhafte Welt der Amélie erreichte er dann aber Unsterblichkeit und Mathilde – Eine große Liebe sowie Micmacs – Uns gehört Paris! bestätigten seine Führungsposition im Bereich des schrägen und doch wunderschönen Films.
Um seinen ehemaligen Kollegen Marc Caro blieb es hingegen lange Zeit sehr still. Bis er sich 2008 unerwartet mit der Science-Fiction-Parabel Dante 01 zurückmeldete.
Story
Hoch über dem Planeten Dante, irgendwo in den Weiten des Alls, schwebt die Raumstation Dante 01. Wahnsinnige Schwerverbrecher können sich freiwillig dafür melden, in diese Anstalt verlegt zu werden, um so ihrer Hinrichtung zu entgehen. Dort können sie sich in einem Netzwerk aus kahlen Räumlichkeiten frei bewegen, ihren Alltag selbstständig strukturieren und eine eigene Hierarchie aufbauen. Der hohe Preis für diese relative Freiheit ist, dass ein Team von Wissenschaftlern nach Lust und Laune Versuche mit ihnen durchführen darf.
Eines Tages betritt eine neue Wissenschaftlerin die Bildfläche und sät mit ihren moralisch fragwürdigen Prinzipien Zwietracht im Team. Auch der Alltag der Gefangenen gerät durcheinander, als sie ebenfalls einen Neuzugang verzeichnen. Es ist ein schweigsamer Namenloser, der ihre Reihen erweitert und mit seinen mysteriösen Taten alsbald schwerwiegende Veränderungen provoziert. Obwohl er oberflächlich lethargisch und lammfromm zu sein scheint, schlummert doch ein rätselhaftes Geheimnis in ihm. Das vormals schon sehr angespannte Verhältnis zwischen und in den Gruppen verschlechtert sich zusehends, während die Merkwürdigkeiten sich häufen.
Kritik
Als erstes ins Auge fällt Caros unverwechselbarer Stil. Ihm ist es zu verdanken, dass die Optik von Delicatessen einst so ästhetisch und doch gleichermaßen bedrohlich ausfiel und genau das ist auch bei Dante 01 der Fall. Die Welt der Gefangenen ist in ein schummriges Dunkelgrün getaucht, die Räumlichkeiten der Forscher präsentieren sich in kühlem Blau. Sämtlichen Bildern gemein ist eine aufsässig unruhige Kamera und viel finsterer Schatten. Dass alle Gefangenen kahlköpfig und uniformiert sind, erleichtert die Orientierung keinen Deut. Während die wenigen Außenaufnahmen der über dem kochenden Planeten Dante schwebenden Station durchaus gelungen sind, lassen sich die andauernden Kamerafahrten durch die Blutbahnen der Inhaftierten, an denen wieder mal ein neues Mittel getestet wird, nur als hässlich bezeichnen. Es sind optische Sperenzchen, so hektisch wie der Rest des Films, die zum reinen Selbstzweck verkommen und letztlich nicht mehr als eine weitere unnötige Tempovariation zum Gesamtwerk beisteuern.
Die ganze Filmhülle gibt sich sehr hip, sehr europäisch und befindet sich stets an der Grenze zum Experimentellen.
Wirft man einen Blick auf das Innere, wird einem rasch gewahr, dass all die Bemühungen, Aufmerksamkeit zu erheischen, all die Ambitionen, etwas enorm Wichtiges mitzuteilen, ausnahmslos im Sande verlaufen. Dante 01 ist vollgepumpt mit Symbolen, derer sich eines plumper und aufdringlicher gibt als das andere. Sämtliche Charaktere sind mit bedeutungsschwangeren Namen betitelt. So bewegen sich unter anderem Moloch, Lazarus, Buddha und Persephone über die Station, den unheimlichen Neuankömmling schmückt eine bedeutungsschwangere Tätowierung vom Heiligen Georg und die titelgebende Station hat die Gestalt eines gigantischen Kreuzes.
All dieser Bemühungen zum Trotz bleibt der Film jedoch ernüchternd hohl – die dürre Geschichte, die er erzählen möchte, wird durch die Hast der Kamera und die wirre Erzählweise unnötig verkompliziert, kommt im Kern aber nie über den einschläfernden Grundkonflikt hinaus. Inhaltlich speziell möchte Dante 01 durch seine esoterische Linie sein. Schnell wird klar, dass die ganze Mogelpackung auf eine ungelenke Erlösergeschichte hinausläuft, die sich am Ende erwartungsgemäß auch redlich Mühe gibt, möglichst viele Assoziationen mit 2001 – Odyssee im Weltraum zu wecken, dabei aber niemals eine eigene Klasse erreicht. Dass alle Charaktere sich auf eine einzige Eigenschaft reduzieren lassen, während sie in allen anderen Punkten vollends austauschbar sind, macht die Sache nicht interessanter.
Es fehlt dem Science Fiction-Film zudem eine taugliche Identifikationsfigur. Keiner der Reißbrettcharaktere ist sympathisch, alle wirken sie schräg und handeln vor allem furchtbar irrational. Ihr Tun bleibt durchgängig wenig nachvollziehbar und unverständlich aggressiv, die Dialoge beeindrucken mit erschreckend konsequenter Ideenlosigkeit.
Auch der gesamte soziale Mikrokosmos wirkt inkonsistent und wenig durchdacht – dem anarchischen Status quo, in dem alle gegeneinander intrigieren, mangelt es allseits an Überzeugungskraft.
Fazit
Marc Caros heißersehntes Revival ist eine herbe Enttäuschung. Sein erstes eigenes Werk ist ein exzentrisches B-Movie in leidlich interessanten Bildern, das genauso skurril wie anstrengend ist. Was bleibt, ist ein phasenweise schmuckes Setting, das weitestgehend überflüssig bleibt. Dante 01 hätte nämlich ebenso gut unter der Erde oder auf dem Meeresboden spielen können, seine Verortung im Weltraum ist genauso Augenwischerei wie die übrigen Bestandteile.