Parallels

Netflix schreibt sich offensiv auf die Fahne, die Potenziale unbekannter Leute zu fördern und ihnen eine Plattform zu geben. Für neue Ideen und außergewöhnliche Konzepte. Neben den üblichen Verdächtigen von House of Cards bis zum gerade durch die Decke gebrochenen Daredevil sind es immer mal wieder auch Filme, die das Glück haben, vom Streaming-Giganten unter die Fittiche genommen zu werden. Auch Christopher Leone, der bisher höchstens durch seine Regiearbeiten für die Serie Wolfpack of Reseda, bekannt sein dürfte, hat das Glück, seinen Film Parallels durch und über Netflix produzieren zu dürfen. Mitgeschrieben und produziert hat der Herr aus Los Angeles allerdings auch Das verschwundene Zimmer – und das gibt schon einen guten Hinweis auf Ton und Richtung seines ersten großen eigenen Werks.

I’m a little afraid of racoons.

Kritik

Vor Jahren kapselte sich Ronan von seiner Familie ab und kam mehr schlecht als recht bezahlten Jobs als Schaukämpfer über die Runden. Seine Schwester Beatrix hat unterdessen die Laufbahn einer aufstrebenden Akademikerin eingeschlagen. Als beide eine rätselhafte Nachricht von ihrem Vater erhalten, finden sie ungeplant im leerstehenden Elternhaus zusammen. Zusammen mit Harry, einer Klette aus Jugendtagen, der sich in der Nachbarschaft anschließt, um eine Atempause von seiner herrischen Mutter zu nehmen, folgen sie einem Hinweis aus dem zurückgelassenen Wagen des Familienvaters.
Dieser führt sie in ein leerstehendes Bürogebäude, welches sich bereits nach wenigen Minuten als selbstgesteuerte Transportmöglichkeit entpuppt, um – scheinbar zufällig – zwischen Parallelwelten umherzureisen, wo es für genau 36 Stunden am Standort bleibt, bis es sich in die nächste Dimension begibt. Bei ihrem ersten Aufenthalt im geheimnisvollen Komplex wächst die Gruppe nicht nur um die forsche Polly, die das Gebäude schon lange ihr Zuhause nennt.

Kritik

Die ersten Sekunden beginnen wie der Vorspann einer Serie – kurze Impressionen, die vermuten lassen, dass sie einem was sagen sollten. Die übliche Methode, mittels Zeitdokumentschnipseln, deren Verankerung im Kollektivbewusstsein unanfechtbar ist, eine Collage darzubieten, die dem Zuschauer bei der Verortung der Geschehnisse unterstützen soll, wird bei Parallels bereits ad absurdum geführt, wenn wir geflutete Großstädte und Feuerhagel auf selbige zu sehen bekommen. Nun kann man hoffen, dass dies ein Vorzeichen darauf ist, dass man mit Vorannahmen bei Parallels vielleicht lieber zurückhaltend sein sollte, weil hier einiges anders läuft. Alternativ denkt man sich, dass es sich bei diesem Film vielleicht tatsächlich um eine Serie handelt und geht vorsichtshalber schon einmal davon aus, dass die Geschichte nach den sportlichen 83 Minuten alles andere als zu Ende ist. Doch zurück zu dem Vorspann, der nach Minute 1 endet. Das hier vorgegebene Tempo hält Parallels nämlich ein, wenn der Sci-Fi-Film seine Geschichte straff und ohne überflüssiges Gepäck mit einer Dynamik erzählt, die den Zuschauer von der ersten Sekunde an mitnimmt. Und so finden drei rundum und mitsamt ihres alltagsproblematischen Hintergrundes etablierte Figuren, von denen jede glaubwürdig und kernig wirkt, bereits neun Minuten später nach einer flotten Odyssee und ein kleines schwarzes Ding, das wie ein Todesstern-Souvenir aussieht und die Geschichte in Gang setzt. Das Erzählen ist nicht gehetzt oder künstlich komprimiert, es wird einfach nur auf natürliche Weise Unnötiges weggelassen.
Diese Tugend wird – mit kleinen Abstrichen – beibehalten und mit Polly stößt recht früh ein Neuzugang dazu, der nicht nur gelungen kess ist, sondern mit Fresh Off the Boat-Star Constance Wu auch gelungen besetzt wurde.
Was dann aber folgt, bestätigt die erste Ahnung, dass Parallels im Herzen eigentlich eine Serie ist. Nachdem mit der Frage, warum es ein durch Dimensionen springendes Gebäude gibt und wer dahinter steckt, ein saftiger Köder ausgeworfen wurde, dreht sich der Plot erst einmal um und schwimmt in eine andere Richtung. Jede der zwei Dimensionen hat ihre eigene Geschichte, die die Protagonisten nebenbei durchleben müssen, wodurch rasch auch das Gefühl von Episodenhaftigkeit einstellt. Das ist nun erst einmal nicht weiter schlimm, denn die Erzählweise bleibt ökonomisch und das Kennenlernen der Figuren macht ebenso viel Spaß wie das Durchforschen der fremden Welten, im Hinterkopf bleibt aber das Wissen, dass der Film mit einem spielt und seine Antworten hinauszögert.
Tatsächlich besiegelt das Ende das, was man bereits ahnte: Statt richtiger Antworten gibt es viele neue Fragen und mit einem ganzen Bündel halbgarer Cliffhanger begrüßt einen der Abspann. Ob es weitergeht? Regisseur und Drehbuchautor Christopher Leone twittert, dass dem aller Voraussicht nach so sei – Parallels ist tatsächlich als Serie von Filmen angelegt. Doch wirklich Handfestes gibt es zu dem aktuellen Stand noch nicht zu erfahren.
Die Serie, die der Film ist, ist folgerichtig auch gar keine so hochwertige, sondern eher im Mittelfeld anzusiedeln, was die Produktionswerte und Erzählschemata angeht. Doch ein griffiger Charme, hervorgerufen durch die immense Lust am Großen, ist der Sache merklich zu eigen, weshalb das Schauen auch nie langweilig wird.

Kurz noch zu ein paar Kleinigkeiten.
Parallels ist eine kleine Produktion von Leuten, deren Hinterhof nicht neunhundert Quadratkilometer groß ist und deren neunhundert Quadratmeter großer Hinterhof auch nicht voll mit Fässern steht, die von Geld und Erfahrung überschäumen. Manchmal blitzt ein kleiner Rest von Unsicherheit durch und dann wieder hält sich kurz das Gefühl, dass der Film gerne mehr gezeigt hätte, das hierfür nötige Effektteam aber nicht hatte. Letztlich aber verhält es sich mit alledem wie mit den Dialogen – zwar lässt sich hier und da, wenn man sucht, eine Spur Unbeholfenheit erahnen, doch zu 95% sind sie ordentlich gut geschrieben, machen Spaß und nehmen den Zuschauer problemlos mit.
Auch das Drehbuch ist immer optimal geschrieben, versöhnt aber durch die erwähnte Erzählgeschwindigkeit.
Leider gibt es aber auch weniger verzeihbare Zugeständnisse zu diesem Zweck, wenn die Protagonisten nur deswegen vermeidbare Fehler begehen, um den nächsten Plot Point herbeizudiktieren.
Was bleibt, sind Fragen der Logik. Wieso sprechen auf allen möglichen Erden alle das gleiche Englisch? Wieso spricht man überhaupt Englisch? Wieso heißen die Städte gleich? Wieso sind Moden weitestgehend identisch? Wieso zum Geier verlief die Evolution in den exakt gleichen Bahnen? Folgt das Dimensions-Roulette etwa einem göttlichen Plan? Gibt es womöglich einen prästabilierten Rhythmus im Kern jeden Seins, der dazu führt, dass die Richtung bei jeder möglichen Variante trotzdem immer in etwa dieselbe bleibt? Das sind Fragen, die stellt sich der Zuschauer, der Film aber hält sich nicht mit so essentiellen Plausibilitätsangelegenheiten auf. Bei solchen Feinheiten muss die Story einfach mit den Schultern zucken, denn auf Derartiges Rücksicht zu nehmen, hätte geheißen, sich in Details und zu verstricken und sich auf Umwege zu begeben. Doch ein kurzer Versuch, diese Umstände zu erklären, wäre der bessere Weg gewesen – nur um aufzuzeigen, dass man an sie gedacht hat und den Zuschauer für fähig hält, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Stattdessen behauptet der Film, dass allen parallel möglichen Realitäten auch jeder Mensch erneut auftritt – nur in anders variierter Rolle, als hätten sich die Geschicke der Welten nicht irgendwann, sondern immer vor etwa einer Generation getrennt. Es mag ja sein, dass das Häuslein dafür konzipiert wurde, nur derartige Realitäten anzusteuern, aber der Film verweigert die Aussage und schweigt über das schwierige Thema. Chance vertan, Missgeschick ausgeführt.

Fazit

Eine vielversprechende Ausgangssituation, moderate Schauspieler in einem souverän gefilmten Sci-Fi-Setting und viel Bewegung. Parallels ist ein durch und durch unterhaltsamer Film, der hie und da zwar Anlass zum Kopfschütteln bietet und die Atmosphäre damit kurz dünner werden lässt, den im Generellen aber bis zum Ende der Reise mitzunehmen weiß.
Der für viele wohl kritischste Punkt ist aber wohl das Faktum, dass das vermeintliche Ende keines ist, sondern stattdessen ein künstlich mysteriöser Twist einen zweiten Teil ankündigt, von dem nicht klar ist, ob er jemals kommen wird.

Das verschwundene Zimmer

Der Sci Fi Channel/SyFy ist berüchtigt für viele schlechte Filme und bekannt für viele gute Science-Fiction-Serien. Auch Hochkaräter wie Battlestar Galactica, Firefly, Babylon 5 und Farscape gehen auf das Konto des Senders. Weniger bekannt sind die produzierten Miniserien. Eine davon ist Das verschwundene Zimmer aus dem Jahre 2006, das bei Erscheinen einige  Nominierungen entete, unter anderem für den Emmy und den Writers Guild of America Award.

Timmy brought in a huge earthworm. I touched it.

Story

Detective Millers Frau ist über alle Berge und das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter droht ihm entzogen zu werden. Von seiner Ausweglosigkeit geplagt, stürzt er sich in Arbeit. Ein jugendlicher Kleinkrimineller, dem er früher geholfen hat, wieder auf die Beine zu kommen, stirbt vor seinen Augen – und hinterlässt ihm einen unscheinbaren Motelschlüssel, der sich in jedem beliebigen Schloss herumdrehen lässt. Dies getan, gelangt man durch die entsprechende Tür in ein mysteriöses Zimmer mit der Nummer 10, das abseits der Gesetze von Raum und Zeit zu existieren scheint. Von dort aus lässt sich jede vorstellbare Tür auf der ganzen Welt erreichen.
Gemeingefährliche Kriminelle eröffnen die Jagd auf den Detective und zu allem Überfluss verschwindet seine Tochter in dem Motelzimmer. Er wird der Entführung seines eigenen Kindes bezichtigt und Gut wie Böse sind daraufhin auf seinen Fersen.
Viele Parteien schlecken sich die Finger nach dem wertvollen Schlüssel und wie von selbst stößt der leiderprobte Vater auf weitere kuriose Artefakte. Von einem teleportierenden Fahrschein über eine eierkochende Armbanduhr bis hin zum todbringenden Kugelschreiber. Alle hängen sie irgendwie mit dem geheimnisvollen Raum zusammen, besitzen einzigartige Kräfte und haben fanatischen Sammler, die es um jeden Preis auf sie abgesehen haben.
Miller wird klar, dass er das Zimmer und die Objekte verstehen und beherrschen muss, um seine Tochter zurückzubekommen.

Kritk

Das verschwundene Zimmer Startet ziemlich temporeich, aber auch ein wenig unbeholfen. Generell sind die darstellerischen Fähigkeiten nicht die Stärke der Serie und auch die Dialoge verdienen ganz gewiss keine Preise. Eine Ausnahme – jedenfalls was den ersten Punkt angeht – bilden Protagonist Miller und seine hinreißende kleine Tochter, gespielt von Elle Fanning, die 2001 mit J.J. Abrams 80er-Jahre-Sci-Fi-Hommage Super 8 weltweite Berühmtheit erlangte. Und das zu Recht.
Bemerkenswert ist, wie man mit einfachsten Mitteln so viel Mystery zu erzeugen imstande ist. Von ein paar simplen, sorgsam eingenähten Effekten abgesehen, kommt Das verschwundene Zimmer ohne großen Budenzauber aus. Was für das Verständnis und Glaubwürdigkeit benötigt wird, das wird auch gezeigt, doch entwickeln sich die meisten Verstrickungen und auch der Hauptteil der Spannung aus den Gesprächen und Begegnungen heraus.
Dies darf man nicht missverstehen. Zwar wird viel gesprochen, trotzdem geht es für eine Miniserie ausgesprochen turbulent zu. Ständig passiert irgendetwas und alles ist immer in Bewegung. Über Langeweile und ereignislose Durststrecken wird man sich bei der Sci-Fi-Mystery-Serie unter Garantie nicht beschweren. Der Preis hierfür sind natürlich massenhaft Zufälle. Dass dies nicht zu sehr zulasten der Plausibilität geht, liegt an der simplen Eigenlogik der Serienwelt, die die meisten aufkommenden Fragen mit mystischem Objektdeterminismus beantwortet. Dass man es sich hier sehr einfach gemacht hat, ist kaum von der Hand zu weisen. Gerechtfertigt wird das Schlupfloch aber durch die angenehme Tatsache, dass die Erzählung herrlich straff vorgetragen wird. Das sorgt nicht nur dafür, dass der Zuschauer ständig mitgezurrt wird, sondern kaschiert zudem geschickt die eine oder andere Ungereimtheit. Auch der trockene Humor trägt seinen Teil hierzu bei. Fragen wie „Wie zum Geier passt der Schlüssel in jedes Schloss?“  oder „Was geschieht, wenn man eine Tür als Ankunftsort auswählt, die bereits geöffnet ist und in der jemand drinsteht?“ sollte man dennoch nicht zu laut stellen.
Die Serie tut einfach gut daran, ihre Geschichte in nur 6 Episoden zu erzählen. Anderswo hätte man sich 18 Folgen für denselben Plot genommen und wäre gescheitert.
Vor allem die tragische Spirale, dass mit jedem scheinbar durchdachten Schritt alles ein klein wenig schlimmer wird, funktioniert für eine ganze Weile mustergütig. Die an sich mittelmäßige, aber geschickt eingesetzte Musik tut ihr übriges. Überhaupt ist die Sache technisch sehr solide umgesetzt – auch wenn man weiß, dass der Sci Fi Channel eigentlich zu mehr in der Lage ist. Besonders die Kamera überrascht an einigen Stellen mit einer interessanten Eigenwilligkeit.
Das Wichtigste ist, dass Das verschwundene Zimmer es gelingt, spielend eine sehr spezielle Atmosphäre heraufzubeschwören, die von Folge von Folge aktualisiert wird. Dadurch stellt sich bereits in den ersten Minuten ein markantes Gefühl ein – ein Individualismus, den die meisten Serien einfach nicht erreichen.
Nach Folge drei könnte man zu glauben beginnen, dass die kleine Produktion davor stünde, sich in einen Leerlauf zu begeben. In der nachstehenden Episode geht es aber wieder steil nach oben, das Tempo überschlägt sich fast und es folgen noch ein paar bemerkenswert unterhaltsame Ideen, bis man mit einem Finale endet, das die Sache nicht toterklärt, aber hinlänglich befriedigend abschließt.
Als richtiger Schandfleck stellt sich leider Dennis Christopher heraus, dessen Charakter Martin Ruber sich früh als niederträchtiger Schuft im Forensiker-Fell herausstellt. Hier ist derart viel Overacting im Spiel, dass man den Kerl zwar automatisch unsympathisch findet, aber aufpassen muss, dieses Gefühl nicht im nächsten Schritt auf die restliche Serie mit zu übertragen, so schmerzhaft neben der Spur ist sein Schauspiel. Und auch der anfangs so gerissene passionierte Sammler Karl Kreutzfeld scheint im späteren Verlauf aus irgendeinem Grund eine gehörige Portion Intelligenz eingebüßt zu haben, wird zunehmend passiver und unwissender und verspielt damit einen Gutteil seines Charismas. Gerade bei einer charakterbetonten Serie wie dieser fallen solche Patzer überdurchschnittlich schnell auf und schwer ins Gewicht.

Fazit

Das verschwundene Zimmer ist eine angenehme Sci Fi Channel-Produktion mit eigenem Charme, hübschen Ideen, einer charakterbetonten Umsetzung und hohem Tempo. Aufgrund der sehr konzentrierten Erzählung lässt sich die Miniserie perfekt an einem Wochenende beenden und bleibt trotz kleinerer Schwächen gut im Gedächtnis.

Übrigens ist eine Fortsetzung in Comicform geplant, wurde trotz des versprochenen 2011er Termins aber bisher nicht eingehalten. Red Five Comics beteuern, dass sich das Projekt weiter in Entwicklung befinde.