Regelmäßige Leser des Blogs wissen, dass Zeitreisefilme so ziemlich das Beste sind, was es gibt. Auch für junge Filmemacher, denn so werden spektakuläre Geschichten erzählbar, ohne dass ein großer materieller Aufwand für ihre Realisation betrieben werden müsste. Ein motiviertes Team und ein tolles Drehbuch ersetzen hohe Produktionswerte, denn die Zeitreise liefert auch auf der bloßen Behauptungsebene bei geschickter Verpackung eine wundervolle Erklärung für so ziemlich alles. Bradley Kings Langfilmdebut Time Laps lockt darüber hinaus mit einer reichlich interessanten Umkehrung des altbekannten Zeitsprungsystems.
You don’t fuck with time.
Story
Finn ist Hausmeister aus Notwendigkeit und Maler aus Leidenschaft. Letzteres jedoch schon seit Längerem ohne einen Funken Inspiration. Jasper ist sein bester Kumpel, der in erster Linie Wetten mit Sport und Videospiele mit Finn mag. Callie ist Finns Freundin und pragmatisch genug verurteilt, um die Wohngemeinschaft dieser drei Menschen in ihren Zwanzigern am Funktionieren zu halten.
Da einer der Mieter des – sehr kleinen und umzäunten – Wohnbezirks bereits zwei Monate mit seiner Miete im Rückstand ist, schaut Finn dort nach dem Rechten.
Tatsächlich: Mr. Bezzerides, der schuldige Mieter, scheint verschwunden, vielleicht sogar tot. Was die Drei anstatt seiner in der Wohnung entdecken, ist eine riesige Kamerakonstruktion, die direkt auf ihr eigenes Wohnzimmerfenster ausgerichtet ist und alle 24 Stunden ein Bild schießt. Doch Mr. Bezzerides war kein Spanner, sondern Wissenschaftler. Und das Bild, das die Kamera ausgibt, ist kein normales. Fotografiert wurde das Wohnzimmer, wie es am Folgetag, genau 24 Stunden in der Zukunft aussieht.
Kritik
Es fühlt sich an nach frischem Wind im Zeitreise-Subgenre, das immer wieder toll, dessen ungeachtet aber auch immer nach demselben Prinzip funktioniert. Time Lapse lockt mit einer knackigen Umkehrung. Dieses Mal wird nicht von der Gegenwart in die Vergangenheit gereist, um zu verhindern, dass die Gegenwart aufgrund von weiteren Reisen in die Vergangenheit gestört wird, sondern es ist ein täglicher Blick in die Zukunft, der nun die Gegenwart diktiert. Und drei junge Menschen stecken plötzlich in einem eisern zugeschnürten Handlungskorsett, weil sie sich an die Vorgaben aus der Zukunft halten müssen, die sie einen Tag später selbst machen – nicht aus logischer Motivation heraus, sondern schlicht, weil sie vom Gestern wissen, dass das Heute so auszusehen hat. Denn: Don’t fuck with time.
Das klingt nicht weniger, sondern eher verstärkt kompliziert. Time Lapse kann seine Ausgangssituation allerdings in guter Zeit verständlich einführen und dann darauf aufbauen. Das klappt anfangs auch sehr gut. Der Film geht forsch voran und das Übergewicht auf dem Deterministischen forciert ein starkes Gefühl des Unwohlseins. Immerhin wissen die Personen, die sich selbst aus der Zukunft lenken, die ganze Zeit nicht so recht, warum sie das überhaupt tun. Hinzu kommt natürlich das wie üblich schwere Los der eigenen Verführbarkeit. Als triefe die Miesere nicht schon bedrohlich genug in den Alltag, verleitet die Gier auch noch dazu, die Situation zum größtmöglichen eigenen Vorteil auszuschöpfen und damit selbstredend eine Kettenreaktion in Gang zu setzen, die nicht nur Schlimmes zur Folge hat, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch der letztgültige Auslöser der ganzen mysteriösen Handlungskette ist. Denn diese Time-Travel-Film-Tradition – so viel sei verraten – wird dann doch beibehalten. Ganz so innovativ ist die Idee der Autoren King und Cooper auch nicht. Denn in der zweiten Staffel von The Twilight Zone aus dem Jahre 1960 bediente sich die Episode A Most Unusual Camera eines ganz ähnlichen Prinzips. Nur dass die Kamera nicht einen ganzen Tag, sondern fünf Minuten in die Zukunft fotografierte. Da die Idee aber bestens für einen Spielfilm geeignet ist, sei ihr die Originalität in Time Lapse daher nicht abgesprochen.
Callie, Finn und Jasper sind anfangs noch nette Teilzeitnerds, die in ihrer etwas konstruiert wirkenden, trotzdem aber sympathischen Wohngemeinschaft vom Film als Personen eingeführt werden, die mit ihren Träumen und Angewohnheiten recht nah am Klischee, deswegen aber nicht unsympathisch sind. Ebenso wie die Geschichte geht das lange Zeit gut. Und über die Hälfte der Laufzeit ist Time Lapse ein in gutem Sinne sehr unangenehmer Film. Und während man die Figuren offenen Auges gen Katastrophe gehen sieht, sieht man auch gerne über kleinere Schwächen in Drehbuch und Regie hinweg – und ebenso über die zu hölzerne Charakterentwicklung.
Letzteres fällt nach der Halbzeit dann aber verstärkt ins Gewicht. Figuren verhalten sich teilweise etwas arg unnachvollziehbar bis irrational und gerade die Wandlung eines bestimmten Charakters hin zum völligen Wahn ist deutlich zu überzeichnet, während die anderen beiden dieser Wendung unerklärlich gelassen beiwohnen. Unstimmig ist auch die Filmarchitektur. Die geheimnisvolle Kamera im Fenster auf der anderen Seite ist problemlos zu erkennen und die zahlreichen intimen Handlungen im Wohnzimmer würde niemand vollziehen, der ein ähnliches Riesenfenster direkt zur gaffenden Welt hat.
Deutlich schwerer ins Gewicht fällt aber die Tatsache, dass sich Time Laps am Ende als ein nicht sonderlich geschickter Schwindel herausstellt. Fast alle Punkte, die anfangs noch offen und ungeklärt sind und damit die Neugierde befeuern, werden nicht befriedigend aufgelöst, sondern am Ende stattdessen einfach faul als Plotwerkzeug gebraucht, um die Geschichte schlüssig zum Ende zu bringen. Vermeintliche Kernmysterien verkommen damit zu einer langen Nase, die der Film dem Zuschauer dreht. Hier warten keine spannenden Antworten und Wendungen, sondern nur faules Gleitmittel für eine noch faulere Geschichte.
Nachträglich bekommt die kammerspielartige Sci-Fi-Story dadurch einen leicht faden Beigeschmack. Denn aus dem tollen Versprechen, eine gänzlich neue, quasi umgekehrte Idee für das Zeitreisefeld anzuwenden, sitzt man einer netten Flunkerei auf, die etwas interessanter klingt als sie es schlussendlich ist.
Fazit
Die letzten Zeilen klingen vernichtend „Flunkerei, die etwas interessanter klingt als sie es schlussendlich ist“. Der Punkt ist, dass die Idee hinter Time Lapse ziemlich verheißungsvoll ist. Dass im Schlusspart verstärkt offenbart wird, dass Bradley D. Kings Film ein paar Krücken zu viel braucht, um aus dem selbstgegrabenen Loch wieder herauszukommen, ist sehr schade. Umgekehrt macht es den Film aber auch nicht schlecht oder langweilig. Das Gefühl des Unangenehmen ist sorgt für eine intensive Seherfahrung, das Design der „Zeitreisemaschine“ für Atmosphäre und die interessante Prämisse funktioniert auch mit großen Abzügen immer noch gut genug, um die in den Film gesteckte Zeit keinesfalls als vergeudet bewerten zu müssen.