Avalon – Spiel um dein Leben

Eine wirklich seltsame Welt ist es, in der Avalon spielt. Es scheint den Menschen nicht sonderlich gutzugehen. Ob die Armut in dieser nur vage definierten Zukunft auf der ganzen Welt mit gleicher Heftigkeit regiert wie in dem Gebiet, das der Zuschauer zu Gesicht bekommt, bleibt ebenso im Verborgenen wie der Grund für ihre Dominanz. Wir sehen Menschen lethargisch an Bahngleisen stehen, gierig das pampige Essen runter schlingen, in Räumen, die an Suppenküchen erinnern. Überall hängen Plakate an den schäbigen Backsteinmauern der namenlosen Stadt, „Stoppt Avalon“ verkünden sie.

Story:

Ash lebt in dieser Welt. Mit dem geräumigen Wohnraum, der ihr zur Verfügung steht, gehört sie vermutlich schon zur Oberschicht. Auf jeden Fall besitzt sie mit Zigaretten und Schnaps rare Güter und hat dennoch ausreichend Mittel zur Verfügung, einen Hund zu halten und diesen mit frischerem Essen zu versorgen, als sie sich selbst gönnt und der Durchschnittsmensch sich leisten könnte.
Ihr relativer Wohlstand rührt nicht von ungefähr. Avalon ist ein verbotenes Spiel und Ash ist die wohl erfolgreichste Spielerin.
Ein Online-Spiel um genau zu sein, MMORPG. Und dieser Streifen von 2001 hat diesbezüglich einen erstaunlich prophetischen Blick in die Zukunft geworfen.
Anders als der Name vermuten lässt, werden die Teilnehmer dieses Spieles nicht in ein mittelalterliches Szenario geworfen, wo sie in schlecht sitzenden Ritterkostümen die Klingen kreuzen. Vielmehr dient eine zerbombte Industrielandschaft als Schlachtfeld, wo sich die Spieler mit zeitgenössischem Kriegswerkzeug gegenseitig zu Leibe rücken. In Avalon befehligt man nicht eine Figur via Anweisungsinventar, sondern befindet sich selbst mit vollem Körpergefühl am Schauplatz, bis man siegt oder von einem Gegner ausgeknockt und in Folge aus dem Spiel befördert wird. Damit der Zuschauer den virtuellen Kampfplatz vom Offline-Geschehen unterscheiden kann, hat man ersichtlich Mühe mit dem Design der Spielwelt gegeben. Explosionen sind aufeinanderliegende zweidimensionale Schichten, die Personen stecken in schnittigen Steampunk-Rüstungen und Getroffene zersplittern unblutig in ihre Einzelteile. Es wird viel Wert auf taktisches Zusammenspiel gelegt und die Teams setzen sich aus altbekannten Klassen zusammen: Krieger, Bischöfe, Diebe, Zauberer.
Avalon ist jedoch nicht nur wegen des brutalen Spielprinzips verboten. Während sich die Aufstrebenden Mammon und Prestige verdienen, nehmen andere für den virtuellen Erfolg die reale Selbstaufgabe in Kauf – Avalon hat den Status einer Volksdroge inne. Zudem scheinen immer mehr Spieler Opfer eines plötzlichen Hirntods zu werden. Es sind die sogenannten Verschollenen.
Auch ein ehemaliges Teammitglied der Protagonistin vegetiert geifernd in einem Krankenhausbett vor sich hin. Während sie den Grund dafür herauszufinden versucht, wird ein unbekannter Mann zum ernsthaften Rivalen für die zuvor außer Konkurrenz spielende Spitzenkandidatin. Im Zuge ihrer Recherchearbeiten trifft Ash auf ihn im richtigen Leben und erhält immer wieder entscheidende Hinweise von einem alten Freund. Bei all dem verliert sie aber nie ihr eigentliches Ziel aus den Augen: Das Erreichen der sagenumwitterten Ebene „Special A“, quasi das finale Level.

Kritik:

Für sein Alter und das vergleichsweise begrenzte Budget sind die künstlichen Welten durchaus noch ansehnlich. Die ein oder andere optische Grobschlächtigkeit sticht zwar ins Auge, doch wird recht geschickt die Glaubwürdigkeit aufrechterhalten – Menschen haben volle Bewegungsfreiheit in einer Welt die ihren grundsätzlich synthetischen Charakter nicht verbergen kann. Das ein oder andere Detail wirkt aus heutiger Sicht natürlich antiquiert, doch das ist wohl das zwangsläufige Schicksal eines jeden Filmes, der es sich zur Aufgabe macht, die Entwicklung bereits bestehender Techniken weiterzuspinnen. Es hat aber auch seinen Reiz, z.B. die (auch zum Produktionszeitpunkt schon) alles andere als zeitgemäße Bedienoberfläche der Computer und die beinahe perfekten Kunstwelt als Einheit zu erleben. Dieses beinahe widernatürlich anmutende Aufeinandertreffen zweier Technikgenerationen versprüht schließlich seit jeher einen merkwürdigen Charme und führt dazu, dass die Diegese nicht allzu geleckt daherkommt.
Auch der extreme Farbfilter, der sich als Sepia-Schleier über das Geschehen legt und in manchen Szenen fast an Schwarzweiß grenzt, trägt zur rauen Gesamtoptik bei. Überhaupt setzt Avalon in erster Linie auf Atmosphäre und degradiert die kriegerischen Konflikte fast schon zur Randnotiz.
Dies ist das entscheidende Spezifikum Avalons. Es herrschen lange Einstellungen vor, die uns triste aber auch ästhetische Bilder bringen. Untermalt werden sie von sphärischen Klängen, hin und wieder aber auch bombastischen Operngesängen, die – natürlich – von der Insel Avalon und den Abenteuern der Tafelrunde erzählen. Selbst über Scharmützeln liegt ein wogender Klangteppich aus ruhiger Musik, der dem Schlachtengetümmel eine fast schon meditative Grundstimmung verleiht.
Bezeichnenderweise offenbart Avalaon immer dann inszenatorische Schwächen, wenn von diesem Konzept abgewichen und die Action in den Vordergrund gerückt wird.

Mamoru Oshii ist der Mastermind hinter diesem Projekt – es ist sein erster Film, der ohne gezeichnete Figuren auskommt. Mit Assault Girls von 2009 wagte er ein ähnliches Experiment. Bekannt wurde er als Schöpfer von Jin-Roh und der Ghost in the Shell-Filme. Die Stärke in den besinnlichen Momenten, in denen die Charaktere sich demaskiert dem Alltag stellen müssen, ist stets seine unverkennbare Handschrift gewesen.
Kenner seiner Filme wird es freuen, dass auch ein ganz bestimmtes Motiv der Marke Basset Hound seinen Weg in das Werk gefunden hat. Außerdem zeigt die Szene, in der Ash ihre einsame Wohnung betritt und für sich und ihren Hund mit routinierten Handgriffen das Essen zubereitet, unverkennbare Parallelen zur Heimkehr Batous im zweiten Ghost in the Shell. Zudem ist eine grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen Ash und dem bekannten Major nicht ganz von der Hand zu weisen – wenn auch die lilafarbenen Haare fehlen.
Bemerkenswert ist, dass des Regisseurs Ausflug in den Realfilm auf polnischem Boden stattfand und mit ausschließlich polnischer Crew und in polnischer Sprache gedreht wurde. Trotz dessen funkelt der japanische Stil immer deutlich unter der osteuropäischen Szenerie hervor. Spätestens der Kampf gegen einen Riesenroboter gibt die asiatischen Wurzeln preis. Leider fällt gerade diese Szene unbeholfen und erschreckend einfallslos aus, was umso unverständlicher wirkt, wenn man sich das großartige Maschinendesign aus Oshiis anderen Werken ins Gedächtnis ruft.

Es ist somit längst nicht alles eitel Sonnenschein in Avalon. Der Spiele-Fachjargon driftet an einigen Stellen ins Lächerliche ab, wenn sich die Figuren etwa über Experience Points austauschen. Auch muten wenige Dialoge wie das Finale eines Phrasenwettbewerbs an. Außerdem dürfte die konsequent überstilisierte Optik, die bisweilen gar die Grenze zur Unerkennbarkeit überschreitet, bei dem ein oder anderen Zuschauer deutliche Ermüdungserscheinungen hervorrufen, denen auch die etwas schwülstige Dramatik nicht viel entgegenzusetzen hat. Insbesondere am Ende ist nichts mehr subtil oder nur angedeutet – von einem ganzen Orchester begleitet findet das finale Duell statt, das an Pathos jede Bühneninszenierung tief in den Schatten stellt.
Gerade in den etwas rasanteren Sequenzen gerät der prinzipiell stilsichere Film an die Grenzen seiner Möglichkeiten, sodass er sein Alter und die fehlenden Finanzen trotz inflationär eingesetzter Verfremdungseffekte und Zeitlupen nicht zur Gänze verbergen kann und mit seinem Lagerhallen-Look gar ein wenig billig wirkt. Auch wurden viele der Nebenfiguren mit leicht überfordert wirkenden Darstellern besetzt, die zu bestechendem Overacting neigen. Doch sollte man einem Film keinen allzu großen Vorwurf daraus machen, dass er mit kleinen Mitteln große Ambitionen verfolgt. Schön hingegen spielt der Gamemaster, welcher Ash immer wieder an den Terminals über einen Bildschirm ins Spiel geleitet und ihr hin und wieder widerwillig auch mit spärlichen Informationen dienlich ist. Seine Auftritte sind kurz, seine Erscheinung aber ist gleichsam autoritär wie väterlich.

All der aufgezählten Makel zum Trotz gelingt es Oshii fast immer, die goldene Mitte zu finden, sodass der Film trotz hohen Lächerlichkeits- und Kitschpotenzials meist glaubwürdig und kohärent bleibt. Insbesondere in Anbetracht des gewählten Themas ist das ein Verdienst, den man kaum hoch genug anrechnen kann.
Die hohen Ansprüche an sich selbst merkt man ihm auch an jeder Ecke an. Bezüge zur Artussage finden sich an allen Ecken, ob es das erwähnte Opernstück ist oder die Interpretation der Herrin vom See ist. Es sind Elemente, die nichts aktiv zur Geschichte beitragen, wohl aber einen gewichtigen Teil zur Stimmung. Ständig werden kleine Fetzen zur Filmmythologie eingestreut, die niemals wieder aufgegriffen werden. Das schafft eine gewisse Glaubwürdigkeit, kann den Zuschauer aber auch unbefriedigt zurücklassen, da die wirklkich interessantesten Ansätze immer bloß am Wegesrand stehen, während die eigentliche Geschichte häufig ins Straucheln gerät.

Fazit:

Avalon ist eine krude Mixtur aus Gamer-Drama, Dystopie und Sagenräuberei mit einigen
lohnenden Bildern und einigen deutlichen Mängeln. Zurecht avancierte er nicht zum Kultfilm, wie es die Manga-Adaptionen Mamoru Oshiis taten, doch ist er trotzdem eine unterhaltsame Fingerübung, die vor allem durch die richtigen Dosierungen besticht.