Mangaglobe, die vor allem durch ihren Anime Samurai Champloo bekannt wurden, produzierten 2006 eine der interessantesten, aber auch unbekanntesten Animeserien des neuen Jahrtausends. Ein mehr als nur empfehlenswerter Mix aus Cyberpunk, Road Movie, Psychoanalyse und Charakterdrama, dessen Fanbase aber kontinuierlich anwächst.
Story
Die Zukunft ist düster, wieder einmal. Die Welt wurde von einer Katastrophe heimgesucht, die das Tageslicht verbannte, den Planeten in eine postapokalyptische Wüste verwandelte und die Menschen in gewaltige Kuppelstädte scheuchte. In der Außenwelt scheint ein Leben kaum möglich. Unter der schützenden Kuppeln hat man versucht, den Alltag so behaglich wie möglich zu gestalten. Androiden, sogenannte Autoreivs, dienen den Menschen mit serviler Höflichkeit, ein jeder geht seinem Tagewerk nach – das Leben ohne Himmel ist seit Generationen normal und auch der totalitär anmutende Überwachungsapparat wird ohne Widerstand hingenommen.
Eine dieser Städte ist Romdeau und eine ihrer Bewohner ist Re-l Mayer, Inspektorin der Inneren Sicherheit. Als sich merkwürdige Todesfälle häufen, die sämtlich von Autoreivs verursacht werden, die mit dem Cogito-Virus infiziert wurden und in Folge eigenmächtig zu handeln begannen, wird Ra-l Mayer damit beauftragt, der Sache auf den Grund zu gehen.
Im Zuge ihrer Ermittlungen stößt sie auf Pino, einen kindlichen Roboter, der als Ersatzkind für den Generaldirektor diente, und den Immigranten Vincent Law, der unter Gedächtnisverlust leidet und von der Regierungsbehörde gejagt wird. Außerdem wird sie immer wieder mit einem Proxy konfrontiert – einem scheinbar übersinnlichen Wesen, das mit seiner enormer Stärke und undurchsichtigen Absichten das empfindliche Gleichgewicht der Stadt zu stören droht.
Früher oder später wird das Dreiergespann aus Ra-l, Vincent und Pino zusammen mit dem Autoreiv Iggy die Stadt verlassen und die lebensfeindliche Wüste in einem schwebenden Schiff bereisen. Alle aus unterschiedlichen Gründen, alle mehr oder weniger freiwillig und alle ohne Klarheit darüber, was sie in der lebensfeindlichen Außenwelt erwarten wird.
Kritik
Wäre Ergo Proxy inhaltlich nur anhand des obigen Textes einzuordnen, müsste man sich wohl vorstellen, wie Ghost in the Shell, Blade Runner, THX1138 und ein großer Batzen Logan’s Run auf mittlerer Flamme in einem Topf zu Brei gerührt werden. Die Inhaltsangabe bezieht sich aber lediglich auf die wenigen ersten Folgen mit ihrem dominanten Einführungscharakter. Dort, wo Logan’s Run endet, legt Ergo Proxy aber erst so richtig los.
Doch sind es auch diese ersten Folgen, die bei Erstsichtung nur allzu Generisches erwarten lassen. Zu vertraut wirkt das Szenario, zu abgedroschen die Fragerei nach der Möglichkeit, ob Maschinen eine Seele haben können. Was anfangs neugierig macht, sind die schroffen Auftritte des Proxys. Was bei der Stange hält, ist das einzigartige audiovisuelle Erlebnis, das Ergo Proxy auch in seinen etwas bieder wirkenden Anfangsfolgen ist.
Wenn sich die Gruppe schließlich in ihrem rustikalen Schwebeschiff auf den Weg macht, nimmt auch die Serie an Fahrt auf. Eingangs recht statisch, befindet man sich nun in permanenter Vorwärtsbewegung. Ein Großteil der Serie handelt vom Reisen. Trotzdem bleiben die Mysterien vom Anfang nicht im Rücken – sowohl Proxy als auch Cogito-Virus spielen bis zum Abspann eine prominente Rolle und auch an den parallel verlaufenden Geschehnisse in der Stadt lässt man den Zuschauer zuweilen teilhaben.
Immer wieder machen die Reisenden Zwischenstopps an einzelnen Stationen, die ihre ganz eigenen Geschichten bieten, die auf den ersten Blick zu großen Teilen in sich abgeschlossen wirken, im Rückblick aber eine erstaunlich feste Bindung zum Gesamtkonzept aufweisen. Es ist die große Kunst dieses Animes, dass sich die Rahmenhandlung stetig Stück für Stück erweitert, dies aber so reibungslos und subtil vonstattengeht, dass es oftmals gar nicht auffällt. So tanzen auch zwei rabiat mit dem optischen wie inhaltlichen Konzept brechenden Episoden im letzten Drittel nur auf den ersten Blick aus der Reihe.
Das bedeutet aber auch, dass der Zuschauer überdurchschnittlich viel zu puzzeln hat, da der Anime mit offensichtlichen Erklärungen geizt. Macht man sich jedoch die Mühe, einen genaueren Blick auf Geschehnisse und Zusammenhänge zu werfen, offenbart sich eine der am meisten durchdachten und ausgefuchsten Geschichten, die man in den letzten Jahren im Serienabteil der Science Fiction antreffen durfte.
Dem Verständnis dienlich, aber nicht zwingend notwendig sind die unzähligen Anspielungen auf europäische Geistesgeschichte. So tragen z.B. ganz wie in Battlestar Galactica viele Charaktere bedeutungsschwere Namen mit sich herum. Das Einflechten der mannigfachen Kulturreferenzen wirkt dabei aber nie plump und aufgesetzt, sondern fügt sich reibungslos und unaufdringlich in das Gesamtbild ein und beschenkt es mit einer zusätzlichen Facette. Doch selbst, wenn man darauf verzichtet, die Geschehnisse in Ergo Proxy Folge für Folge en détail zu entschlüsseln, bereiten die insgesamt 23 Episoden großes Vergnügen, da sie eben auch außerhalb der Hauptlinie auf ihre Art anstandslos funktionieren.
Im Vordergrund steht meist die Charakterentwicklung, für die sich auf elegante Weise viel Zeit genommen wird. Auf engstem Raum miteinander auskommen müssend und einander so gut wie fremd, lernen sich die Figuren langsam und nicht immer ganz freiwilig besser kennen und gewinnen so rasch an Tiefe und Persönlichkeit.
Zwar gibt es actionhaltige Ausbrüche, die auch sehr energisch daherkommen, meist geht es jedoch ruhig und stimmungsvoll zu. Fad wird es dabei aber nie – auch im Stillen ist Spannung, insbesondere aber Atmosphäre immer präsent.
Anders als andere Animes, verzichtet die Serie fast gänzlich auf typische Merkmale: Keine riesenhaften Augen, keine wirklichkeitsfremden Körperproportionen, keine abgehakten Animationen und vernachlässigte Hintergründe. Auch das beliebte Kindchenschema ist einzig und allein Pino vorbehalten, die sich durch ihr Figurendesign stark vom Rest abhebt. Mit seinen geschmeidigen Animationen, dem öfters kunstvoll abstrahierten Zeichenstil, dem glaubhaften Minenspiel der Protagonisten und den düsteren Farbtönen wirkt Ergo Proxy sehr eigenständig und lässt sich seine japanisch Herkunft kaum anmerken, ohne sie dabei zu verleugnen.
Dazu passend ist die musikalische Untermalung, die viel Einfühlungsvermögen beweist und die Szenen stets passend mit elegischen, trotzdem aber hoffnungsvollen Klängen ausschmückt, die dem Gesicht der Serie eine sehr individuelle und markante Schönheit verleihen.
Das düstere Intro und das von Radioheads Paranoid Android formidabel getragene Outro runden das Gesamtbild ab.
Fazit:
Eine Serie, die zu Unrecht immer noch als Geheimtipp gehandelt wird. Klug, mitreißend und ungemein ästhetisch ist dieser Import aus Japan und somit auch vorbehaltlos all jenen zu empfehlen, die sonst mit Animes wenig anfangen können. Hat man den falschen Eindruck des Anfangs abgeschüttelt, bezirzt Ergo Proxy mit seiner düsteren Welt, der faszinierenden Geschichte mit Tiefgang und den sorgfältig konzipierten Charkateren.
Leider wirken die deutschen Sprecher im Vergleich zur japanischen Synchronisation etwas gelangweilt und oftmals unpassend. Ganz so schlimm wie der im Trailer zu hörende Dilettant ist es zum Glück aber nicht.