Her

Tausendsassa Spike Jonez, der noch nie einen schlechten Film drehte, Besitzer einer Skateboardmarke ist, kreativer Kopf von Vice und Erfinder von Jackass bekam letztes Jahr seinen ersten Oscar für das Drehbuch zu Her.
Diese Kritik will zeigen, warum das anders nicht hätte kommen dürfen.

The past is just a story we tell ourselves.

Story

Nach der Trennung von seiner Jugendliebe und Exfrau Catherine hat der introvertierte Theodore Twombly kein großes Glück in der Liebe. Stattdessen konzentriert er sich ganz auf seinen Beruf – das Anfertigen von handschriftlichen Briefen für die privaten Belange von Dritten. In dieser Branche ist er dank seines hohen Empathievermögens ein Naturtalent.
Als er aus Neugierde eine frisch auf den Markt gekommene Künstliche Intelligenz erwirbt und diese installiert, trifft er nach langer Zeit auf jemanden, dem er sich anvertrauen kann. Samantha, so der Name der digital erzeugten Stimme, wird seine engste Bezugsperson. Bis beide eines Tages feststelle, dass sie ineinander verliebt sind.
Geschichten von anderen Beziehungen zwischen Mensch und Maschine machen die Runde und fordern die Überlegung heraus, das Konzept von Liebe und Beziehung vielleicht neu definieren zu müssen, während sich die rasant lernenden Künstlichen Intelligenzen exponentiell weiterentwickeln.

Kritik

Wir befinden uns im Gemengelage der Modernität, gebettet in einem unüberschaubaren Rausch aus kulturellen Strahlen, hineingeworfen in einen Alltag aus Arbeit für den Kulturbetrieb und Freizeit in dem Kulturbetrieb, der, weitestgehend technisiert und automatisch ablaufend, sich selbst in unaufhaltsam ansteigendem Tempo selbst reproduziert. E-Mails, Reklametafeln, Wecker aus, Laptop auf, E-Mails checken beim Spaziergang durch den Tag, Essen bestellen, dabei Nachrichten hören, soziale Netzwerke füttern, als Konsummensch überall untilgbare Fußstapfen hinterlassen, selbst konsumiert, dechiffriert, defragmentiert, nach Belieben in diversen Formen neu zusammengesetzt werden. Ein Rausch aus Bildern, multiplen Realitäten, Laptop zu, Augen zu, Träume, die sich beim Piepen des Handyweckers verflüchtigen. Die Welt von Theodore Twombly ist unserer nicht unähnlich, modisch nur ein paar Jahrzehnte zurückgeworfen, technisch dafür ein gutes Jahrzehnt fortgeschrittener.
In einer solchen Zeit etwas so basales wie Liebe zu finden, scheint eine Notwendigkeit zu sein, die bisher noch nicht eliminiert werden konnte, obwohl doch jedes Bedürfnis quasi per Knopfdruck durch ein kulturelles Artefakt befriedigt werden können müsste. Her ist die Geschichte über einen Mann, dem es gelingt, dass das auch für Liebe gilt, und der feststellt, dass dies nicht weniger wahrhaftig sein muss, als unsere herkömmliche Vorstellung von Zuneigung, Geborgenheit und Schmetterlingen im Bauch.
Dass Spike Jonzes Film über so etwas eine so formvollendete und berauschend gut funktionierende Erzählung geworden ist, liegt an den großartigen Hauptdarstellern, die sich beide auf ihre Weise selbst übertreffen. Joaquin Phoenix‘ Theodore ist ein nahegehender, aber niemals einfach nur bemitleidenswerter Mann geworden, der mit Problemen und Sorgen ausgestattet wurde, die so ehrlich und pointiert selten auf einer Filmfigur gebündelt worden sind. Dem zurückhaltenden, absolut beherrschten Schauspiel, das Theodore eine ganz eigene Mimik und Körperhaltung verschafft, ist es zu verdanken, dass der unglückliche Mann mit dem Schnauzer keine Sekunde lang armselig oder gar jämmerlich wirkt, sondern schlichtweg nur direkt aus dem Leben gegriffen und damit entwaffnend glaubwürdig.
Samantha ist die zweite Hauptperson, wobei man eher sagen müsste, die Stimme von Scarlett Johansson (im Deutschen, nahezu ebenbürtig, Luise Helm) ist die zweite Hauptperson, die mit ihrem warmen, gefühlvollen Klang und ihrer natürlichen, manchmal verblüffenden Wortwahl den Film zu einem wahren Erlebnis, vor allem aber zu etwas ungemein Privatem werden lässt. Auf der anderen Seite geht von ihrem Wesen immer eine Spur von Bedrohung aus, ohne dass man sagen könnte, ob dies ein begründeter Eindruck oder aber nur die hysterische Gewohnheit ist, die man sich in unzähligen anderen Filmen dieses Themenkomplexes zu eigen gemacht hat. Die Ansichten, Wünsche und Orientierungen, die Samantha im Laufe des Filmes artikuliert, erinnern immer wieder auf beunruhigende Weise daran, dass dort eine Entität heranwächst, die unabhängig vom Menschen gedeiht und auf viel unvoreingenommenere Weise zu so viel mehr fähig ist, als ihr Erbauer.
Dem exzellenten Drehbuch ist es aber zu verdanken, dass die Beziehung der beiden schon 10 Minuten nach dem ersten Kontakt eine intensive ist und dass der Film in einer halben Stunde, also ab einem Viertel seiner Spieldauer, inhaltlich so fortgeschritten ist, wie andere Filme mit dieser Thematik erst ganz am Ende. Überhaupt – die Geschwindigkeit, mit der der Film vorangeht, ist zwar kaum spürbar, aber dafür umso höher. Jede einzelne Szene bringt die Geschichte voran und ist zugleich eminent wichtig für sie, jedes Gespräch bedeutet einen Fortschritt in der Gefühlswelt der Figuren – und damit auch im Wissen des Zuschauers über diese. Her besitzt ein Script, das so effizient ist, wie kaum ein zweites. Der Oscargewinn hierfür war mehr als gerechtfertigt.
Erst auf den zweiten Blick fällt auf, wie viel das Ausstattungskonzept zu der Atmosphäre beisteuert. Die Figuren bewegen sich durch eine Welt, die in Sachen Farbgebung, Mode und Design leicht an die späten 70er angelehnt ist, während die technische Ausstattung jedoch der Zukunft entspricht. Wo derartige Stilkontraste in anderen Filmen manchmal etwas selbstzweckhaft anmuten, trägt die Kombination in Her bemerkenswerterweise dazu bei, dass die Welt intimer und die Stimmung sensibler wird, weil so ein ganz eigenes, fast schon magnetisches Universum geschaffen wird.

Es zeigt eine ganz sanft verspielte, ansonsten aber sehr behutsame Kamera ein Wechselspiel von nachdenklich schönen und traurigen Szenen, untermalt von der perfekt gewählter Musik von Arcade Fire und das alles so gekonnt inszeniert, dass die Geschehnisse keine einzige Sekunde kitschig zu werden drohen.
Das sind verdammt große Worte für einen Film, der sich um eine emotionale Beziehung zwischen einem Mann und seinem Computer dreht, doch ist es auch ein verdammt großes Erlebnis, diesen zu schauen – und vor allem ist es in jeder Sekunde enorm menschlich. Dass das Thema ja gar nicht so fantastisch ist, trägt seinen Teil dazu bei, dass man Her nicht nur in vollen Zügen genießen kann, sondern dass der Film außerdem auch ein vielleicht gar nicht so unwichtiger Beitrag zum gerade erst beginnenden Diskurs über Maschinenethik darstellt, angereichert mit ein paar gewieften Assoziationen zur Idee der technologischen Singularität.

Fazit

Spike Jonzes Film über einen Mann in der Retrozukunft, der sich in eine Computerstimme verliebt, ist ein großer Wurf, der dafür danken lässt, dass Joaquin Phoenix sein Experiment, rappender Vollbart zu sein, ad acta gelegt hat.
Das Ergebnis ist der warmherzigste, menschlichste, emotional ehrlichste Science-Fiction-Film seit langer Zeit. Doch hat Her neben seiner Liebesgeschichte noch viele weitere Ebenen, die sich immer implizit mitentwickeln. Somit ist der Science-Fiction-Liebesfilm nicht nur in seltenem Maße ergreifend, sondern regt darüber hinaus auch auf seine besondere Weise zum Nachsinnen über das an, was da in Zukunft kommen mag.

Man of Steel

Mit Dawn of the Dead überraschte er, indem er 2004 Romeros Klassiker zwar seiner Gesellschaftskritik beraubte, ihn aber mitreißend und einschneidend in die Moderne katapultierte. 300 deutete das Adaptionstalent an, das Watchmen – Die Wächter mit Bravour bestätigte. Hat der Mann eine Vorlage, dann kann er sie wie kein anderer in Film verwandeln.
Sucker Punch machte dann mit katastrophaler Deutlichkeit klar, was passiert, wenn ihm einer solchen Vorlage ermangelt.
2013 versucht Regisseur Zack Snyder mit Man of Steel, seine anfänglichen Erfolge wieder aufleben zu lassen. Mit berühmter Comic-Vorlage und niemand geringerem als Chrisopher Nolan und dessen Schreibgehilfen David S. Goyer (The Dark Knight Rises) als Storylieferanten an der Seite, soll ihm das gelingen, was Bryan Singers Superman Returns aus dem Jahr 2006 wegen seiner Treue zum Altmodischen missglückte, um Tür und Tor für die 2017 anstehende Justice League zu öffnen.

I am your father, Kal.

Story

Der Kryptonier Jor-El und seine Frau Lor-Van haben ehrgeizige Ziele. Nachdem sie erfolglos gegen die Zerstörung ihres Heimatplaneten angekämpft haben, bringen sie, die strenge Geburtenkontrolle missachtend, das erste natürlich gezeugte Kind seit langer Zeit zur Welt, stellen sie sich gegen den brutal revoltierenden General Zod und seine skrupellosen Handlanger, entwenden den Kodex des Volkes und schicken diesem mitsamt ihrem Neugeborenen in einer Kapsel ins All, kurz bevor ihr Heimatplanet in Stücke gerissen wird. Das Ziel des Flugobjekts lautet Erde, welches es unspektakulär erreicht, indem es auf das Land der Farmerfamilie Kent knallt, die sich des Knirpses annimmt und mit dem Namen Clark großzieht.
Der Junge wächst auf, ohne dass sein Geheimnis ans Tageslicht kommt und selbst um es weiß. Leicht hat er es nicht, denn die für seinen Organismus ungewohnte Strahlung der noch jungen Erdensonne überreizt regelmäßig seine Sinne. Dies und seine übermenschliche Stärke machen Clark zum Außenseiter in Schule und Leben.
In seinen 30ern streicht er durchs Land, hilft Menschen allerorts und versucht, das Geheimnis seines Ursprungs zu ergründen.
Ein Traum, der auf unerwünschte Weise in Erfüllung geht, als General Zod und seine Mannen in Raumschiffen aufkreuzen, die Auslieferung des letzten Kryptoniers einfordern und gleichzeitig mit der Ausrottung der Menschheit flirten. Ihr Ziel ist die Erschaffung eines neuen Krypton.
Und der zweifelnde Clark Kent wird zum  zweifelnden Superman.

Kritik

Auch Superman ist nur ein Mensch. Eine Erkenntnis, die nötig war, um den Stählernen in Zeiten mehrfach gebrochener Helden noch reizvoll zu machen. Es ist nur folgerichtig, dass Superman als Neugeborenes gezeigt wird, splitterfasernackt, vollkommen ungeschützt und wie am Spieß schreiend. Auch Überwesen wie er sind verletzlich und schutzbedürftig – und das, umso größer ihr Gerechtigkeitsempfinden ist. Auch wenn um sie herum Welten zugrunde gehen und im Hintergrund ein grimmiger Russel Crowe die Schergen Zods zu Dutzenden dezimiert.

Nach 20 Minuten ist Krypton Geschichte und Superman flitscht durchs All, um einen Wimpernschlag später mit brennendem Waschbrettbauch und viel Rambazamba eine Bohrinsel zu evakuieren, wo er die Zeit unter Wasser nutzt, um an seine schwere Kindheit als gemiedener Sonderling zu denken.
Wer nach Batman, Iron Man und Co. einen ambivalenteren Helden mit innerem Konflikt erwartet, liegt tendenziell richtig. Wer denkt, dass dieser von einer durchdachten, mit Überraschungen gespickten Story ummantelt wird, der wird enttäuscht. Die Geschichte ist banal, vorhersehbar und mit anderen Bildern unzählige Male zuvor erzählt worden. Das Motiv von General Zod (der übrigens aussieht wie ein Space Marine aus dem Warhammer 40.000-Universum) ist alles andere als verblüffend, sondern schon mehrmals durchgekaut und bereits ab dem Prolog deutlich erkennbar.
Eine banale Geschickte wird Origin-Stories von Superhelden im Regelfall verziehen. Einfach deshalb, weil Comicvorlagen nun mal so sind und die Basis für Weiteres schließlich irgendwie geschaffen werden muss. Doch kann das „Andere machen es auch nicht besser“-Argument nicht unendlich oft als Ablass herhalten. Erst recht dann nicht, wenn man versucht, damit etwas einzuleiten, das vier Jahre später Marvel’s The Avengers in seinem Fundament erschüttern soll.
Davon ab ist man nicht ohne Erfolg bemüht, den dürren Plot wenigstens halbwegs schlüssig zu erzählen. Auch wenn man als Zuschauer schlucken muss, dass Superman die Katastrophen, für deren glimpflichen Ausgang der sorgt, förmlich anzieht, und der Film sich trotz langer Laufzeit nicht die Zeit nimmt, Logikschwächen auszubügeln. Weshalb Reporterin Lois Lane einfach so durch das offenkundig außerirdische Flugobjekt lustwandeln darf, das in der Arktis von Regierungsbeamten umzäunt und mit höchster Geheimhaltungsstufe versehen wurde, das macht der Film zum Beispiel nicht ganz deutlich. Außerdem sind die Dialoge manchmal gefährlich nah an der Grenze zu schlimm, strengen sich aber an, diese Grenze nie ganz zu überschreiten. Das trifft auch auf viele andere Dinge zu. Muss Superman als Kind denn wirklich Platon lesen, damit wir verstehen, was für ein einzigartiger Junge er doch ist?
Dass man den Zuschauer für völlig begriffsstutzig hält und anstatt die eindeutigen Bilder für sich sprechen zu lassen, vorsichtshalber einen Einstein-Verschnitt vor einem Haufen dumme Fragen stellender Soldaten noch einmal alles erklären lässt, rückt die Sache leider in kein besseres Licht. Zudem des Weißkittels beste Idee dann doch nur ist, bei akuten Schwierigkeiten mit der geballten Faust einmal kräftig auf das Problem zu schmettern.
Aber es gibt auch feine Ideen. Zum Beispiel, dass unser Held in Zeiten der Ratlosigkeit in einer Kirche nach Antworten sucht. und, ganz der Erdenvater, dort auch fündig wird.

Dann ist da ja noch das ewig gültige Snyder-Standard-Argument: Schöne, schöne Bilder.
Wenn der Herr auch kein überzeugender Geschichtenerzähler ist, ein großer Ästhet steckt in ihm ganz ohne Zweifel. Und ein recht ordentlicher Regisseur noch dazu. Das führt dazu, dass wir eine erzählerische Ideenlosigkeit in nicht nur ziemlich hübschen, sondern auch sehr unterhaltsamen Bildern präsentiert bekommen. Wie so einiges von Herrn Snyder fühlt sich also auch Man of Steel auf schale Weise gut an. Ein „gut“, das sich ab Minute 90 enorm zu steigern weiß, weil dann eine Schlacht einsetzt, die für die verbleibenden  50 Minuten des Filmes andauern wird. Aber es lässt einen auch merkwürdig kalt, wenn da in Kleinstarbeit die ganze Welt zwischen trudelnden Helikoptern, gefällten Hochhäusern und dröhnenden Terreformern einzuknicken droht.
So geht und ging es vielen Zuschauern und mehr als nur einmal wurde die etwas unsichere Frage gestellt, woher es denn wohl komme, dass dieses absolute Maximum an darstellerbarer Zerstörung unseres Heimatplaneten uns so seltsam ungerührt lässt. Die Antwort darauf ist eine denkbar einfache: Weil uns der Protagonist und alle anderen Figuren der Diegese kaum wichtig sind. Betrachtet man es genauer, stellt man fest, dass bisher in keinem Snyder-Film so etwas wie eine nennenswerte Charakterentwicklung vorkam. Bei Man of Steel gesellt sich erschwerend hinzu, dass da eigentlich auch kaum was existiert, das sich entwickeln könnte. Obwohl der Film fast 2 ½ Stunden die Geschichte von Superman erzählt, weiß man am Ende nicht so recht nicht, wer dieser komische Knilch im Anzug eigentlich ist. Klar, das passt irgendwie, denn als Kind zweier Welten, das nirgends beheimatet und willkommen ist, ist so eine saftige Identitätsstörung ganz gewiss nicht unglaubwürdig. Aber wollen wir Filme doch nicht für etwas loben, das sie gar nicht wollen. Auch wenn Henry Cavill sich anstrengt, in jeder Szene schwermütig und zerrissen dreinzuschauen, erhält sein Charakter nicht die Tiefe, die die neue und düstere Version dieser Geschichte für sich so gerne in Anspruch nehmen möchte.

Fazit

So frisch, düster und einzigartig, wie der abermalige Superman-Neustart gerne wäre, ist er nur in seltenen Momenten. Dafür ist die Geschichte zu eindimensional und altbacken und die Charaktere sind trotz der großen Darsteller mit Hang zu depressiven Blicken einfach nicht stofflich genug.
Zack Snyders Talent, lahme Dinge rasant und intensiv  zu inszenieren, entschädigt aber auch bei Man of Steel über weite Strecken und macht den Film zu einem audiovisuellem Genuss, dessen Reize einen dazu verführen, den vielen Mängeln gerne mit Nachsicht zu begegnen.