Manchmal sind Titel so lang, dass sie schon alles vorwegnehmen, was man im Beitrag schreiben könnte. Insofern:
Autor: Martin
Briefe eines Toten
1986 brachte Konstantin Sergejewitsch Lopuschanski mit dem postapokalyptischen Nihilismusmanifest Briefe eines Toten ein Biest von einem Magnum Opus hervor, das damals wie (vor allem) heute viel zu wenig Zuwendung seitens der Medien erhielt und -hält. Zwar spukt der Film immer noch ganz oben in den heiligen Hallen einiger Filmliebhaber herum, die Aufmerksamkeit, die er ungebrochen verdient, bleibt ihm aber bisher verwehrt. (Das nachstehende Video ist ausnahmsweise kein Trailer, da sich keiner finden ließ, sondern ein beispielhafter Ausschnitt.)
I love it for it’s tragic fate.
Story
Die Welt, wie wir sie kennen, verbrannt einer Art von Feuer, die sich Prometheus wohl nie zu erträumen gewagt hätte. Die Menschen verscharren sich selbst in maroden Kellergewölben und bauten mit der Zeit eine Gesellschaft aus den Trümmern des Jetzt, die ihre ganz eigenen, den widrigen Umständen angemessene Gepflogenheiten hat. Alle leben in Angst davor, dass die Regierung das versprengte Trüppchen aufspürt und mit in ihre zweifelhaften Pläne zur Rettung der Menschheit einbezieht, die noch weniger geheuer sind als das Todesurteil des Status quo, in der jede Art von Existenz nur ein Provisorium im Schatten des Zerfalls sein kann.
Die Verbliebenen schaffen sich mit ihrer unbeholfenen Sicherheit eine absurde, grausam neue Art von Alltäglichkeit, wenn sich die Menschen ihre Hüte auf die Gasmasken setzen und Normalität aus etwas machen müssen, was ein ständiges Extrem ist. Sie versuchen weiterzumachen. Nicht aus Hoffnung, sondern weil ihnen nichts anderes bleib.
Ein Professor versucht derweil, etwas Zuversicht zwischen den sich und einander aufgebenden Trümmermenschen zu säen.
Kritik
Die Kamera bewegt sich rückwärts aus dem Bunker, durch ein Loch in einer Wand aus Schutt, die unsinnig dem radioaktiven Wind trotzt, und die Musik schwillt an, wird unangenehm, als würde uns ein Hauch von eben diesem berühren. Wir begeben uns nach draußen, durch das Loch, aus dem Loch, in das sich die Menschen zurückgezogen haben, um wie in einem Kerker zu kauern und darauf zu warten, dass alles endet Doch noch sehen wir nichts. Langsam schält sich der Rest von Zivilisation aus dem Giftdunst. Es zeichnen sich Wracks ab, noch mehr Schutt, Müll in Säcken und ohne Säcke, und Wahnsinn. Unrat auf Unrat, Elend neben Elend. Am Ende der Fahrt, wenn die Rückwärtsbewegung stoppt, stellen wir fest: Sie verdecke gar nichts, hinter der Kamera wurde uns nichts vorenthalten, denn mehr als das ist da draußen nicht. Nur die Asche der Vergangenheit, Staub und Nebel, so dicht gedrängt, das kein weiterer Platz für Hoffnung ist. Herzlich Willkommen in der Welt von Briefe eines Toten, ein Film, der aussieht, wie eine Krankheit.
Bei der Optik wurde auf Farben fast gänzlich verzichtet, sie sind dank bis aufs Maximum reduzierter Sättigung nur leicht, manchmal auch gar nicht vorhanden, lediglich ein eitriges Tschernobyl-Gelb färbt die Bilder des Bunkers – semantisch andere Räume bekommen andere Farben, in jedem Fall aber sondern die monochromen Duplex-Töne eine unangenehme Wirkung ab.
Nach dem kurzen Blick auf das, was mal das Freie war, geht es zurück in die Katakomben. In dieser sonderbaren Welt werden auch die Bewohner sonderbar und wuchsen zu verschrobenen, bitteren Kreaturen heran, die als pathologisches Splitterwerk durch die Gedärme eines ehemaligen Museums rotten und nicht einmal sich selbst noch die Nahesten sind. Die Kinder schweigen als wären sie stumm, die Erwachsenen sind im besten Falle kalt, jeder lebt in seiner ganz eigenen Art von destruktivem Schock. Häufig bewegt sich die Kamera auf Kinderaugenhöhe. Der Zuschauer ist – wie auch jeder andere – in dieser Welt ein Kind, das das Grauen schaut und zum ersten Mal überhaupt nicht als Symbol für Hoffnung und Zukunftsglauben herhalten kann. Ständiger Wind ist auch in den tiefsten Kammern zu hören und über fast allem liegt ein elendes Dröhnen, als wäre es die Welt selbst, die unter Schmerzen klagt.
Man macht dort weiter, wo man aufhörte: Das Treffen fataler Entscheidungen aufgrund von Egoismus, verdrehter Annahme von Effizienz und höherem Allgemeinwohl. Aufgenötigter, in sich selbst verdorbener Altruismus siecht allüebrall und wucherte zu seiner eigenen Antithese heran. So oft man es sonst auch hört, hier stimmt es wirklich: Alle Hoffnung ist gefahren. Die Ausgangssituation von Briefe eines Toten ist bekannt, die Umsetzung aber absolut brillant. In gnadenloser Differenziertheit portraitiert der Film eine Gesellschaft von Übermorgen, die ihren eigenen Nährboden verseuchte und sich nun nur noch dabei betrachten kann, wie sie langsam von Innen heraus fault.
Völlige Verzweiflung schlägt in Wahnsinn um. In jeder Figur sitzt ein wenig davon, während sie ihre persönlichen Vorstellungen auf eigentümliche Weise in die traurige Tat umsetzt. Das gipfelt nicht nur in ein paar niederschlagenden Kuriositäten, sondern auch in interessante Gespräche. Gezeigt werden in einzigartig einnehmender Weise Dinge, die passieren, wenn eine Generation feststellt, dass alle Vorherigen vernichtet und alle Nachkommenden unmöglich sind.
Eine klar auszumachende Geschichte gibt es zwar ebenso wie einen Protagonisten, doch stehen beide ganz im Dienste der Situationsstudie. Wichtig ist nicht, was passiert, sondern dass es überall auf eben diese Weise passiert. Dabei verkommt Konstantin Lopuschanskis Abgesang aber niemals zu einer selbstgerechten und selbstzweckhaften Leidensschau, die nichts tut, außer mit all ihrem Pessimismus den Zuschauer zu quälen. Dank der handwerklichen Raffinesse des Filmes, dank der Passion, mit der gedreht wurde, und dank der völlig trittsicheren Regie ist der Film zu einem vollkommenen Erlebnis geworden, das nie langweilt, nie lediglich durch seine Ödnis betrübt, sondern ein bewundernswerter Schaukasten ist, der einen Blick auf eine Welt voller Details, ausgeklügelter Einfälle und unabsehbarer Ereignisse gewährt. Und später, wie aus dem Nichts, überrumpelt einen das tschechische Kleinod mit Bildern, die in ihrer Ästhetik zeitlos sind, in ihrer unnahbaren Mächtigkeit bestürzend und ob ihrer Schrecklichkeit schön, aber auch erstarren lassend. Eine von Wahnsinn beseelte Aufnahme des Auslösers dieses Elends trifft wie ein herzhafter Schlag in die Magengrube. Diese Szene ist der Kern des Filmes, unnachahmlich und unnachgiebig intensiv. Eine der schönsten Hässlichkeiten, die mit Widerhaken aus Zucker tief unter die Haut geht.
Wie um das zu verstärken, gibt es trotz dieses Bildes der vollkommenen Niederlage auch Humor. Ein paar Szenen sind umschmeichelt von stautrockenen Pointen, die in ihrem Rahmen aus Bitterkeit stichgleich Wirkung zeigen. Es ist wie die störrische Hoffnung, das ewige Weitermachen der Menschen, von dem der Film erzählt. Humor ist Teil davon, denn Humor ist das Ignorieren von Tatsachen, aus dessen Bewusstmachung eine Erkenntnis gerinnt, die Absurdität verlachen lässt. Humor ist eine Art Triumph trotzdem; etwas, das dem Menschen nicht genommen werden kann, mag auch alles andere vergehen.
Fazit
Bei Briefe eines Toten handelt es sich um das vielleicht eindringlichste Angstzeugnis aus Zeiten des Kalten Krieges. Es ist ein kluges Portrait über ein speziesübergreifendes Selbstbegräbnis mit eindringlichen Sequenzen, einer fesselnden Ästhetik erschütternden Bildern und voller Perfektion. Es wird nie langweilig oder zäh, immer ist es trotz dem repetitiven Bunkeralltag fesselnd und interessant. Die 87 Minuten sind voll mit durchdachte Bilder in durchdachter Reihenfolge, jede Szene birgt Potenzial für Gänsehaut und in seiner völlig eigenen Stimmung ist Briefe eines Toten letztlich selbst ein rares Unikat.
Konstantin Lopuschanski schuf einen großen Film mit großen Ideen und großer Eindringlichkeit, der in seiner Bekanntheit – zuvorderst wohl wegen Verfügbarkeitsproblemen – auf fast schon herätische Weise sehr klein geworden ist.
Maggie – Ein Trailer zum Zombie-Drama mit Arnold Schwarzenegger
Es war natürlich allen klar, dass Arnold Schwarzenegger nach seiner Rückkehr zum Film früher oder später in einem elegischen Zombie-Drama die Hauptrolle bekleiden würde, um vom Leiter des Tribeca Film Festivals als superber Schauspieler bejubelt zu werden.
Maggie ist dieser Film und hätte bereits im vergangenen Jahr seine Premiere auf dem Das Toronto International Film Festival gefeiert, wenn nicht Lionsgate flugs die Vertriebsrechte erworben und den Film zurückgezogen hätte. Am 8. Mai findet nun der reguläre US-Start statt.
Als Trost und Vorgeschmack gibt es nun den zweiminütigen Trailer.
TIE Fighter – Animierter Kurzfilm
Ein ambitionierter Fan hat über 4 Jahre hinweg seine Wochenenden dafür aufgeopfert, um der Welt zu zeigen, wie es wohl ausgesehen hätte, wenn in den 90er Jahren ein Anime erschienen wäre, der sich an das das Videospiel Star Wars: TIE Fighter anlehnt.
Herausgekommen ist ein imposantes Ergebnis, das trotz ein wenig nervender Musik ein intensives Schlachtenfeeling transportiert.
Viel Spaß.
Doctor Who – Staffel 8
Wir sind zurück für eine Stippvisite bei Doctor Who, der langlebigsten TV-Serie und dem wandlungsfähigsten Nomaden der Weltgeschichte und darüber hinaus der einzige Artikelanlass, bei dem der Schreiber dieser Zeilen in der Ich-Form rezensieren wird. Denn wenn jemand so wenig Ahnung von der Materie hat und so viele Dinge nicht weiß, ausließ und schlicht völlig verkennt und dem Rezensionsobjekt darüber hinaus eine Armada an Fans gegenübersteht, verkäme es zu einem Hohelied an die Albernheit, einen Artikel schreiben zu wollen, der von einem Hauch von Sachlichkeit getragen wird. Was hier zu lesen ist, das ist keine Kritik im eigentlichen Sinne, sondern ein Essay. Und Essays haben offensichtlich von Natur aus lange Einführungstexte. Warum auch nicht, man kann ja schreiben, was man will.
Dass jede Kritik im eigentlichen Sinne eh ein Essay ist, lasse ich hier außer Acht, um den Effekt des Ganzen nicht zu hintergehen.
Please, don’t even argue.
Story
Der Doctor – ignoriert man die Kriegs- und die Bio-Meta-Krisen-Variante – regeneriert zu seiner zwölften Form. Sie ist älter, gleichgültiger, zynischer, befremdlicher. Das merkt auch Clara Oswald, die für die vorherige Ausführung des Timelords weit mehr als nur platonische Gefolgschaft war und sich nun völlig neu positionieren muss, wenn sie weiterhin Reisender in der TARDIS sein möchte.
Unterdessen schmiedet eine alte Bekannte ihre ganz eigenen Pläne. Pläne, die mit etwas zusammenhängen, was man als das Paradies – das Leben nach dem Tod – bezeichnen könnte.
Kritik
Es hat sich einiges zugetragen und als erstes fällt auf, dass die Autoren sich erfolgreich Mühe gegeben haben, all dies nicht über Gebühr zu verkleinern oder gar zu verleugnen, sondern Geschehenes als tragendes Element für die große Story voraussetzen, die Geschichten dabei aber trotzdem auf eine Weise zu erzählen, dass sich Quereinsteiger nicht verloren- und alleingelassen fühlen. Dass dem so ist, dafür kann ich als Quer- und Wiedereinsteiger bürgen.
Das Problem beim 2005er-Neuanfang war seinerzeit ein so einfaches wie großes. Weder die Geschichten noch die Figuren überzeugten. Was blieb, war eine halbwegs gut funktionierende Beschwingtheit, britischer Akzent und etwas Charme, dem zwischen den zahllosen uninspirierten Minigeschichten aber irgendwann die Puste ausging.
Um von hinten anzufangen: Die Charaktere, das Herzstück einer jeden Serie mit fortlaufender Geschichte, sind nicht nur ein bisschen, sondern deutlich besser. Die Begleiterin nervt nicht, sondern ist ein resoluter Charakter mit ordentliche Profil und deutlich mehr Aufgaben als eben nur Begleiter zu sein, weil ein Doctor nun mal Begleiter hat. Das geht sogar so weit, dass sie einen ganzen Storystrang für sich beansprucht. Und das ist wiederum ein Problem, denn die Geschichte darüber, wie schwer das Herumgedoktore und ihre sich gerade entwickelnde Liebesbeziehung zu einem Kollegen aus dem Lehrerzimmer namens Danny Pink miteinander vereinbar sind, ist fad und jedes Mal ein ziemlicher Stopper für Geschwindigkeit, Fortschritt und Spaß.
Der (nunmehr zwölfte) Doctor selbst ist hingegen ein ziemliches Highlight – weil Peter Capaldi ein solches ist, mit dem wohl erstmalig ein Oscargewinner in die Haut des Timelords schlüpft. Dass es den Goldjungen 1995 für einen von ihm selbst gedrehten Kurzfilm gab, tut hier nichts zur Sache, denn ein formidabler Darsteller ist der Gentleman durch und durch. Die etwas ergraute Erscheinung in Verbindung mit der sprunghaften, aber nie (und das ist wirklich bemerkenswert) dümmlichen Mimik ist die perfekte Hülle für einen zeitreisenden Schlingel, der noch nie so sehr Alien war, wie in diesem Fall. Empathielos, Ich-Besessen und nie so recht durchschaubar präsentiert sich hier ein Doctor Who, bei dem der Zuschauer häufiger mal ins Stocken kommt und sich die Frage stellt, ob der gute Mann vielleicht überhaupt gar nicht so gut ist. Dass eine Serie so etwas wiederkehrend leisten kann, verdient Lob. Und das bekommt sie hier.
Die Figuren – den aggressionsfördernden Freund von Clara Oswald mal außen vor gelassen – sind also ansprechend und machen Spaß. Und die Geschichten selbst?
Nun, da ist der Tee schon nicht mehr ganz so klar, aber immer noch lecker. (An dieser Stelle fällt auf, dass das mit der Ich-Form nicht klappt. In Folge brauchte es einen Teevergleich, der ja zum Glück auch bestens der britischen Serie zu Gesicht steht.) Mal wird sich geschrumpft und ein Ausflug ins Innere eines vermeintlich gutmütigen Daleks unternommen, um Eine phantastische Reise von 1966 zu ehren, mal werden bedeutsame Persönlichkeiten aus der menschlichen Historie unter die Lupe genommen. Und so fort. Der Punkt ist aber, dass die Inszenierung einfach um Welten ausgereifter ist als noch vor 10 Jahren, und dies ist tatsächlich schon die halbe Miete, wenn man willig ist, sich von schönen Schauplätzen, einem gelungenen Schnitt und sensibler Musik ein wenig bezirzen zu lassen. Obschon die überwiegenden Stories im Kern sehr durchschnittlich sind, funktioniert das Konzept dennoch, weil die Charaktere einen so immensen Eigenwert besitzen und die Regie einfach so tut, als würde da eigentlich etwas ganz anderes, viel besseres erzählt werden. All das hebt den neuen Doctor Who weit über sein Alter Ego aus dem Jahre 2005 hinweg. Und dann gibt es da ja auch noch die Folgen, die eine Geschichte erzählen, welche es durch aus in sich hat.
Leider existieren aber auch sehr viele Momente, in denen es die Serie mit dem Evozieren von Dramatik und Bedeutungsschwere maßlos übertreibt. Plötzlich brechen die Dialoge ins Pathetische ab, die Musik fängt an zu seufzen und die Kamera wirft sich endlos schmachtend vor einer solchen Szene auf die Knie, während der Zuschauer (Ich!) sich bei so viel Theatralik auf den Arm genommen und übers Gesicht geleckt fühlt. Es ist nicht nur schade, es ist völlig unverständlich, wieso dies ab und an passiert, denn ansonsten haben die Regisseure, wie gesagt, ein wirklich gutes Händchen für den Umgang mit dem Stoff.
Fazit
Die 12 Folgen (zuzüglich des einstündigen Weihnachtsspecials), in der der 12. Doctor seinen Einstand hat, sind zeitgemäße, absolut gelungene Serienunterhaltung im 45-Minuten-Format, die seit dem Neustart aus dem Jahr 2005 enorm viel dazugelernt hat. Der charismatische und undurchsichtige Peter Capaldi ist die perfekte Besetzung und Clara Oswald eine starke Begleiterin – gemeinsam geben die beiden ein Gespann ab, das tadellos funktioniert und damit über eher mäßige Geschichten problemlos hinwegtröstet.
Die obligatorische und sich furchtbar überflüssig anfühlende Liebesnot von Clara hätte definitiv keinen eigenen, völlig inspirationslosen Part von so großem Gewicht verdient gehabt und die Augenblicke, in denen sich jäh alles in aufgesetzte Dramatik stürzt, trüben das Gesamtbild leider sehr.
Dennoch: Diese Reinkarnation ist eine gute, finde ich.
Die Innere Zone
Fosco Dubini macht mit teils großen Zeitabständen in erster Linie Dokumentarfilme mit ganz eigenen Themen. Seit 1978. Mit Die Innere Zone liegt nun sein zweiter Spielfilm vor, nachdem er mit 2001 mit Die Reise nach Kafiristan einen ersten Erfolg im Raum des Fiktionalen einfahren durfte.
Wo ist Walter?
Story
Seit die Psychologin Marta vor zwei Jahren – im Jahr 2024 – bei einem Biosphärenexperiment eine Hirnschädigung davontrug, leidet sie unter Erinnerungslücken und Halluzinationen, ein Phänomen, das sie Echos tauft.
Als sie zu einer Tunnelbaustelle in die Schweizer Alpen gerufen wird, beschleicht sie die Ahnung, dass die Experimente von früher genau dort wieder aufgenommen wurden.
Sie trifft auf einen verwirrten Ingenieur und eine russische Krankenschwester. Gemeinsam müssen sie die labyrinthischen Tunnels nach vermissten Wissenschaftlern durchforsten und herausfinden, ob die sich häufenden seltsamen Vorkommnisse von radioaktiver Strahlung aus den Tiefen rührt, von klimaverändernden Luftgemischen ausgelöst werden oder aus ganz anderer Quelle stammen.
Kritik
Es wogt eine rätselhafte Stimmung durch die Bilder, die gleichsam ruhig und unruhig erscheinen, weil eine eigenständige Kameraführung natürliche Blickbewegungen imitiert, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. So erinnert der Blick auf das Geschehen häufig wie der eines stillen Beobachters, der oftmals schon am Ort des Geschehens wartet, bevor die Akteure eintreffen. Und irgendwie passt dies auch, ist der Zuschauer doch der Inspekteur von Martas Seelenzustand, um sich mittels Interpretationen eine Analyse anzumaßen. Bereits von Anfang an, wenn eine betörende Cellointerpretation von Nothing Else Matters eine Kamerafahrt durch die Alpen steuert, generiert Die Innere Zone eine sehr eigene Atmosphäre aus sich heraus, die vor allem von der gut abgemischten Geräuschkulisse profitiert, die die Bilder aufwühlt und dem Film einiges an Tiefe verleiht. Die Regie und auch die Produktionsmittel sind definitiv keine Mankos des Science-Fiction-Filmes aus schweizer Landen.
Gerade zu Beginn ist ein wohlartikulierter Offtexte des Zuschauers Begleiter, der aber etwas zu wohlartikuliert wirkt, als wäre er von einer Bühne herunter gesprochen und nicht ein Gedankenmonolog. Die Assoziation mit Theater kommt nicht nur hier hervor – auch viele Darsteller agieren nicht so natürlich, wie man es sich wünscht. Und „viele“ bedeutet hier, dass jeder vom wahrhaft schmalen Cast ein bisschen neben der Spur spielt – von der Hauptdarstellerin Jeannette Hain mit ihrem charakterstarken Gesicht abgesehen, die ihre Sache wirklich gut macht. Dietmar Mössmer als schräger Ingenieur im Paranoiataumel, Nikolai Kinski als in Melancholie und Gestein vergrabener Forscher und Lilli Fichtner als engelsgleiche Krankenschwester mit Kindergesicht und völlig übertriebenen russischen Akzent sind sämtlich überzeichnet und stimmen ihr Spiel auch darauf ab. Den Dialogen fehlt es gleichfalls an Natürlichkeit. Hier kommt eine Last zum Vorschein, die einigen deutschsprachigen Produktionen eigen ist und einen immer wieder aus der Welt herausholt.
Das schlichte, eine große Ruhe ausstrahlende Setting ist dafür aber stimmig eingefangen, meist hält man sich in den Räumen eines leerstehenden Krankenhauses auf, später dann in lichtfernen Tunnels. Tatsächlich ist es gerade diese reduzierte Kulisse, eingefangen durch die erwähnt gute Regie, die den Film seine Anziehungskraft verleiht. Trotz der einzelnen Szenen mit den nicht immer nachvollziehbaren Dialogen mit ihrem nicht immer alltagstauglichen Aufbau, die nicht immer verständlich aneinandergereiht werden, verkommt das Schauen nie zum zähen Ärgernis. Und dann sind da auch noch die wirklich guten Ideen, die in regelmäßigen Abständen das Geschehen auflockern und dem gesamten Streifen eine eigene Note geben, weil sie mit einer nicht erwartbaren Einstellung oder einem nicht erwartbaren Musikeinsatz eine Überraschung servieren, die schlicht Spaß macht und darüber hinaus dafür sorgt, dass Die Innere Zone ein in sich schlüssiges Ästhetikkonzept für sich beanspruchen darf.
Vielfach hört man den Vorwurf, in einigen Szenen sei unklar, ob der Film lustig sein wolle oder nicht. Doch warum muss dies ein Makel sein? Wenn plötzlich zwei eindeutig labile Charaktere anfangen miteinander zu tanzen, ist das natürlich irritierend, aber keineswegs schlecht. Und dass man andernorts gar von slapstickhaften Ausflügen zu berichten weiß, ist das Resultat plumper Übertreibungslust, die Die Innere Zone Unrecht tut.
Keineswegs tut man dem Film aber Unrecht, wenn man ihm 10 Minuten vor Schluss ausmacht. Am Ende möchte die ganze Chose nämlich möglichst gut erklärt werden, weswegen man folgerichtig einen auf denkbar künstliche Weise einen Erklärbären in den letzten Akt pfropft, der den Film mit jedem gesprochenen Wort schlimmer macht. Hier wird einer ordentlich erzählten Geschichte nachträglich Komplexität genommen und ein vernünftiges Drehbuch zum Schluss als ein leeres Versprechen entlarvt. Weniger wäre hier definitiv mehr gewesen. Zudem das auch nichts daran ändert, dass die vorherige Verklettung von pythagoreischer Kosmologie, Verschwörungstheorie und blasigen Andeutungen hin ins Jahr 1969 mit seiner Schweizer Reaktorkatastrophe trotzdem keinen Sinn machen.
Fazit
Regie, Kameraarbeit und natürlich das Setting machen aus Die innere Zone einen eigenständigen, eigentlich guten Film. Schade, dass die Dialoge und das hölzerne Spiel von allen außer Jeannette Hain das positive Gesamtbild immer wieder trüben.
Trotzdem darf man dem Film von Fosco Dubini eine Chance geben – auch wenn man am Ende nicht und zugleich viel zu genau weiß, um was genau es eigentlich ging, ist das Schauen ganz bestimmt keine Zeitverschwendung.
Kingsman – The Secret Service
Mit Der Sternenwanderer, Kick-Ass und X-Men: Erste Entscheidung lieferte Matthew Vaughn, der lange im Schatten Guy Ritchies umherschlich, drei Filme am Stück ab, die durchweg ausgezeichnet waren.
Nach dem rasanten Trailer zu seiner neusten Comicverfilmung von Millars The Secret Service durfte man sich eigentlich sicher sein, dass diese Reihe nicht abbrechen würde.
It’s not that kind of a movie.
Story
Die Kingsmen sind ein international agierender Geheimdienst, der mit dankenswerter Regelmäßigkeit die Welt rettet. Wer dort Mitglied ist, ist quasi ein Superheld ohne Superkräfte, aber mit jeder Menge Wundergadgets, die ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus sind. Ein wenig wie Iron Man – nur ohne Flugfähigkeit, inkognito, mit maßgeschneidertem Anzug statt Rüstung und einem Höchstmaß an Etikette.
Als Agent Lancelot auf einer Mission ermordet wird, muss die leere Stelle besetzt werden und, wie es die Tradition gebietet, schlagen alle Mitglieder einen vielversprechenden Rekruten vor, der sich gegen die anderen im unerbittlichen Training behaupten muss.
Veteran Harry Hart überrascht – zum wiederholten Male – mit einer unkonventionellen Wahl, als er den unmanierlichen Tunichtgut Eggsy in die Gruppe holt. Einst war es sein Vater, der mit Harry Seite an Seite kämpfte.
Während die Anwärter im Wettkampf ihre Prüfungen durchlaufen, ballt sich im Hintergrund eine globale Katastrophe zusammen – angeleitet von dem lispelnden Milliardär Valentine.
Kritik
Die drei in der Einleitung genannten Filme haben eines gemeinsam: Ihre toll anzusehende Verpackung agiert im Dienste des Inhalts. Sie alle hatten eine Mission; jedenfalls wirkt es so, so sehr schäumen Inspiration und Esprit aus ihnen heraus. Es sind Filme, die auf einer Metaebene angesiedelt sind, immer ein – in der Regel notwendiger – Kommentar zum aktuellen Zustand des jeweiligen Genres.
Vaughns neuster Streich richtet sich nicht nach dieser besonderen Leitlinie. Deswegen ist Kingsman: The Secret Service kein schlechter Film und ganz ohne Frage unterhaltsam. Gemessen am vorherigen Schaffen des Briten stellt er trotzdem eine mittelschwere Enttäuschung dar. Denn plötzlich steht kein cleveres Motiv hinter der Kurzweil. Sondern das Clevere fehlt beinahe zu Gänze.
Da wäre die Story, die nach dem klassischsten Muster verläuft und nicht ein einziges Mal von diesem abweichen will. Die Ereignisse der mehr als zwei Stunden sind zu jedem Zeitpunkt vollkommen antizipierbar. Das reicht bis zu den Beweggründen des Oberschurken Valentine, der in Tun und Wollen austauschbarer kaum sein könnte. Samuel L. Jackson vermag der Figur keine Energie einzuhauchen, nervt im Deutschen dafür aber ungemein durch seinen Synchronsprecher, der den Sprachfehler des Schurken zur vollkommenen Farce werden lässt. Das Resultat ist, dass die Szenen mit ihm zu den schlechtesten des Filmes gehören.
Kick-Ass machte durch seinen unerwarteten Gewaltgrad nicht nur von sich reden, er lebte auch durch ihn. Plötzlich waren Kampf und Tod wieder etwas Furchterregendes im milde gewordenen Superheldenkosmos des vorsichtigen Mainstreams. Funktionieren konnte die mutige Entscheidung nur deshalb so gut, weil Kick-Ass gerade nicht von übermenschlichen Leuchtfiguren erzählte, sondern von durchschnittlichen Menschen mit all ihren dummen und peinlichen Träumen. Das Superhelden-Genre war nach Matthew Vaughns Abrechnung nicht mehr ganz dasselbe.
Kingsman: The Secret Service weidet sich an seiner martialischen Gewaltdarstellung, die gesichtslose Niemande auf brutalste Weise und mit keineswegs scheuer Kamera das Zeitliche segnen lässt. In den durchchoreographieren Schlachtfesten werden Passanten wie Vigilanten gnadenlos hingerichtet, sodass der Film es trotz seiner Lust an der Übertreibung sicher nicht ganz leicht bei der Altersfreigabe hatte. All das dient der Unterhaltung als reiner Selbstzweck, ohne sich auch nur alibihaft auf eine Aussage festlegen zu wollen. Die rauschhaften Kämpfe sind toll anzusehen und Colin Firth als stoischer Todesengel ist definitiv ein Augenschmaus, doch sind sie einfach nur Spektakel um des Spektakels Willen – und haben ob der Art dieses Spektakels einen etwas bitteren Beigeschmack. Besondere Erwähnung verdient die Kamera die gerade in den Handgemengen als selten blinzelndes Auge mit imponierenden Manöver durch das Massaker tourt, auch wenn es manchmal ein wenig zu deutlich wird, dass an diesen Stellen großzügig mit dem Computer getrickst wurde. Besonders fraglich wird das Spektakel in einer späteren Szene, in der auf allen Anstand gepfiffen wird und etwas geschieht, was man dem Film mit nur geringfügig bösen Absichten als den Versuch vorwerfen könnte, auf primitive Weise einen kleinen Skandal provozieren zu wollen.
Wenn man überhaupt so etwas wie einen über das Gesagte hinausgehenden Sinn erkennen will, dann könnte es eine Beschäftigung mit genau diesem Voyeurismus sein. Ein paar Szenen könnten auch durchaus als Hinweis hierauf gelesen werden, genaugenommen gibt sich der Plot aber keine große Mühe, diese Deutungsmöglichkeit wirklich zu erwägen.
All dies steht, wofür Vaughns fünfter Film im Gesamten steht: Für nichts als sich selbst, reine Kurzweil, die wie ein Fisch nur für ein paar Minuten überleben kann, hängt sie erst einmal am Haken an der Luft. Und hier ist ein Vergleich vonnöten, der sich von Anfang an schon aufdrängte: Hier ist viel weniger Kick-Ass, viel weniger Stardust und viel weniger X-Men drin, denn das Freche dieser Filme wich hier routiniertem Handwerk. Dafür findet man aber eine ganze Menge Wanted gemischt mit der Kühle von Vaughns Debut Layer Cake. Und so sehr Wanted seinerzeit durch seine Kampfsequenzen Wind machte, so vergessen ist er heute, läppische 7 Jahre in der Zukunft.
An dieser Stelle wird es auch nicht mehr groß verwundern, dass auch der Humor – immer eine Stärke des Regisseurs und Autors – deutlich durchschnittlicher und voraussehbarer ausfällt. Wirklich witzig ist der Film nur im Ausnahmefall aufgrund eines klugen Wortes, sondern meist nur dann, wenn er in Sachen boshafter Geschmacklosigkeit noch einmal eine Schippe drauflegt und mit einem weiteren visuellen Tabubruch verblüfft.
Was bleibt, sind gute und gut aufgelegte Darsteller in einem blutroten Pudding, der sich selbst nie so ganz sicher zu sein scheint, ob er lieber Hommage oder Persiflage sein will. Man ist nie gelangweilt, fühlt sich nie um sein Eintrittsgeld betrogen, hat aber gleichsam auch nie das Gefühl, etwas wirklich Wichtiges zu sehen. Im ganzen Film existiert nur ein kleiner Moment, der an die bekannte und hier überwiegend unterdrückte Genialität des Autors erinnert. Hier halten Film und Zuschauer kurz inne und suchen nach Neuorientierung. Sind diese kurzen Sekunden verstrichen, kehrt die Geschichte aber nahtlos zurück in ihr Korsett. Das Ganze ist so gefällig, dass es kaum eine Rolle spielt, dass das Buch einige Fehler aufweist, die es lieblos erscheinen lassen, und auch die Figuren nicht immer mit größter Überzeugung in die Geschichte geschrieben worden zu scheinen.
Fazit
Kingsman – The Secret Service beendet den Siegeslauf von Matthew Vaughn vorerst. Doch auch wenn er nicht die Brillanz seiner Vorgängerfilme teilt, ist er doch ein sehr unterhaltsamer, augenzwinkernder und in seinen gewaltreichen Kampfeinlagen berauschend gefilmter Spaß, der sich – genau wie so mancher Agent – an seinem eigenen Stilbewusstsein viel zu sehr erfreut, um etwas darüber Hinauswollendes anzustreben.
Mit 129 ist der Film nur etwas zu lang geworden, um noch als kurzweiliger Snack durchzugehen. Und wer kann, der sollte die deutsche Synchronisation unter allen Umständen umgehen.
Beeindruckender Proof-of-Concept Trailer zu ‚The Leviathan‘
2002 wurde Ruairí Robinsons Kurzfilm Fifty Percent Grey für den Oscar nominiert, 2013 wurde sein erster Langfilm The Last Days on Mars uraufgeführt. Anderen mag er aus dem Jahr 2007 ein Begriff sein, wo er als Regisseur für eine Live-Action-Adaption von Akira in den Fokus genommen wurde. Ein entsprechendes erstes Video zu dem Projekt ist hier zu sehen.
Sein neuestes Projekt soll The Leviathan sein. Ein Science-Fiction-Film über die zukünftige Menschheit, die den Rohstoff für Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit aus den Eiern einer seltenen und ausgesprochen großgewachsenen Tierart gewinnt. Der erste Proof-of-Concept Trailer soll ein Studio für die Idee gewinnen.
Und so aussichtslos ist ein solches Unterfangen nicht, funktionierte es jüngst doch auch schon bei Filmen wie District 9, Whiplash und Deadpool.
Die Stadt der verlorenen Kinder
Niemand in Frankreich, vielleicht niemand in ganz Europa, hat eine so unverkennbare Handschrift wie Jean-Pierre Jeunet. Von Delicattessen über Die fabelhafte Welt der Amélie bis hin zu Die Karte meiner Träume blieb er seinem Vexierblick auf seine ganz eigene Art von Universum treu.
Die Stadt der verlorenen Kinder ist sein zweites Werk, aus dem Jahr 1995, bei dem Marc Caro noch eng an seiner Seite war.
Die besondere Last der Einsamkeit bleibt niemandem erspart.
Story
One ist ein gutmütiger Riese, der mit der Weisheit eines Einfältigen seinen massigen Körper dafür nutzt, vor Publikum mit kleinen Zirkusnummer die Muskeln spielen zu lassen. Als sein kleiner Bruder gekidnappt wird, begibt er sich auf die Suche. Unter einer Gruppe von Waisenkindern, die zu kleineren Raubzügen gezwungen werden, findet er das flinkzüngige Mädchen Miette, das beschließt, gerührt von seinem Vorhaben, ihn bei der Suche zu unterstützen.
Die Spur der nicht abbrechenden Reihe von Kindesentführungen führt zu einer entlegenen Bohrinsel, wo ein seelenloser Wissenschaftler, eine Gruppe aus Klonen, eine Zwergin und ein sprechendes Gehirn ihre Spielchen mit der Welt und miteinander treiben.
Kritik
Was sich bei Delicatessen schon abzeichnete, erhält nun ganz unverhüllt Eintritt in die Filmwelt von Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro. Es ist, als entführe man Terry Gilliam (Brazil, The ZeroTheorem), um mit dessen Hilfe und drei Jugendlichen ein französisches Ungeheuer zu erschaffen. Das kann kaum gutgehen, tut es hier aber.
Ron Perlman, kluge Leute behaupten, einer der schlechtesten Schauspieler aller Zeiten, spielt einen Russen, der aussieht wie ein irischer Kugelstoßer aus dem Hause Frankenstein. Dass der Film es bewerkstelligt, den amerikanischen Riesen Perlman als den am zurückhaltendsten agierenden Darsteller des ganzen Ensembles aufzuführen, ist für sich schon eine erstaunliche Leistung, zu gleichen Teilen aber auch eine ungemein präzise Aussage darüber, was man hier zu sehen bekommt.
Die Stadt der verlorenen Kinder ist ein ungeordneter Tummelplatz wirrer Ideen, die in ihrer Aneinanderreihung erst einmal beliebig wirken. Ein irrlichternder Soundtrack, der für das verantwortliche Duo typische Aquarium-Grünstich, zum Horizont reichende Selbstbaukulissen und eine Vorliebe für den Fischaueneffekt verbunden mit skurrilem Overacting, das amoklaufende Stereotypen gebiert, die derart überzogen sind, dass sie in ihrem unkontrollierten Schaulauf schon wieder hypnotisch wirken, vermischen sich zu einem Schaum des überbordenden Wahns. Lässt man dem Film seine Zeit, entfaltet sich nach und nach aber ein Kosmos, der mit jeder Sekunde anschwillt, besser funktioniert und in sich schlüssiger wirkt. Wie ein Motor muss sich dieses südeuropäische Kuriosum erst einmal warmlaufen. Hat man ihm aber diesen Vorlauf gelassen, darf man staunen, wie einzigartig diese Maschine schnurrt – und wohin sie einen bringt.
Die Stadt der verlorenen Kinder ist das, was passiert, wenn ein Zirkus explodiert.
Ausstattungstechnisch stapft man durch eine Mischung aus Raumpatrouille Orion, Siebenstein und einer Kopie von The Zero Theorem, Schafft mit Detailversessenheit und Maßlosigkeit aber eine unverkennbare Welt voller Eigenheiten, die bei ihrer erschlagenden Vielfalt immer homogen wirkt, wenn auch nicht immer auf eine angenehme Weise. Irgendwann verliert die Eigenlogik dieser Welt aber ihre abstoßende Wirkung und man gehört als Zuschauer auf eine Weise dazu, die man 10 Minuten vorher nicht für möglich gehalten hätte.
Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen, die alles auf die Karte des kompletten Irrsinns setzen, und dadurch mit fortschreitender Dauer nur noch angestrengt und steif wirken, gelingt dem Werk das kaum Erreichbare, indem es tiefer und logischer wird, weil der ganze Unsinn eben doch nicht so willkürlich zusammengerührt wurde, wie es beim ersten Hinschauen noch scheinen mag. Die Stadt der verlorenen Kinder ist der erwähnte Zirkus, aber auch ein Aquarium, das man sowohl vollstopft mit perlenbeinhaltenden Muscheln als auch bis zum Rand mit Algen füllt.
Dominique Pinon, der hier eine ganze Heerschar an Figuren mimt, gibt dabei die enthemmteste und überdrehteste Leistung seiner Karriere ab und dürfte gleich zu Beginn der abschreckendste Einfall des ganzen Filmes sein, wie der Rest des Filmes ergibt aber auch sein überbordendes Spiel nach einer Weile Sinn. Trotz der allgegenwärtigen Verfremdung und den märchenartigen Figuren ist Die Stadt der verlorenen Kinder keineswegs ein Kinderfilm, stellen ein paar perfide Szenen klar, dass die Zielgruppe viel mehr der etwas wunderliche Erwachsene aus dem benachbarten Hexenwäldchen ist. Einen solchen Film in so konsequente Weise zu machen, wäre auch heute noch ungeheuer mutig. Die gesamte Produktion mit ihrem für die Zeit verblüffend guten Spezialeffekten, zu denen auch schon Computeranimationen zählte, unter denen lediglich ein hypnotischer grüner Rauch mit seiner comicartigen Darstellung hervorsticht, kostete allein bei der Umsetzung immerhin 18 Millionen Dollar.
Fazit
Lässt man der versteckten Struktur Zeit, sich zu offenbaren, dann betritt man, mit einem Bein im Surrealen watend, eine höchst befremdliche Wunderkiste voll mit Schrulligkeiten und einer fiebertraumartiger Atmosphäre.
Die Stadt der verlorenen Kinder ist ein märchenhaftes Ausstattungswunder, das vor guter Ideen nur so sprudelt und dabei keine Rücksicht auf den Zuschauer nimmt.
Der Erfolg des Filmes ließ Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro in der Science-Fiction bleiben. Jeunet drehte direkt im Anschluss Alien – Die Wiedergeburt, Monsieur Caro hingegen ließ 13 Jahre bis zu seinem nächsten Projekt Dante 01 verstreichen.
Beides sind Filme von eher zweifelhaftem Ruf.
Tomorrowland – Ein neuer Trailer zu Brad Birds neuem Sci-Fi-Film
Wirklich viel kriegt man von Brad Birds Tomorrowland nicht zu lesen. Da tut es gut, dass ein neuer Trailer daran erinnert, dass man sich auf den fantasievollen Film sehr freuen darf: